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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band.

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so Gewordenen dem Heere zum Nutzen gereichte. Zunächst war die Mehrzahl
davon das schlechteste Gesindel, in welches nicht immer militärische Eigen¬
schaften hineingeprügelt werden konnten, ihre zerrütteten Körper und laster¬
haften Gewohnheiten füllten die Spitäler und Gefängnisse, und nur selten ge¬
wannen sie el-ne Anhänglichkeit, an ihre Fahne, sie liefen davon, sobald sie
konnten, wenig abgeschreckt durch die furchtbaren Strafen, welche auf Desertion
standen, beim ersten und zweiten Male Spiefzruthcn, beim dritten Male die
Kugel.

Es ist natürlich, daß bei solcher Heerverfassung die Desertionen nicht aufhör¬
ten. Es war das gewöhnliche Leiden aller Armeen und durch die furchtbaren Stra¬
fen, vollends im Felde, nicht zu verhindern. In jeder anstrengenden Campagne, nach
jedem Verlornen Treffen, ja selbst nach gewonnenen war die Anzahl der Deser-
tirten unverhältnißmäßig groß, und in unglücklichen Feldzügen waren ganze
Armeen in Gefahr, zu zerlaufen. Viele, die von einem Heer wegliefen, zogen
zu einem andern, wie die Söldner im dreißigjährigen Kriege; ja das Aus-
reißen und Wechseln erhielt für Abenteurer einen rohen gemüthlichen Reiz, un¬
gefähr wie das Einbrechen für manche Dicbsnaturen. Ein aufgefangener
Deserteur war in der Meinung des großen Haufens nichts weniger als ein
Uebelthäter, -- wir haben mehre Volkslieder, in denen sich das volle Mitgefühl
der Dorfsänger mit dem Unglücklichen ausspricht; -- der glückliche Deserteur aber
galt sogar sür einen Helden, wie auch in nicht wenigen Volksmärchen der
tapfere Gesell, welcher Ungeheuer bezwingt, dem Märchenkönige aus der Noth
hilft und zuletzt die Prinzessin heirathet, ein entsprungener Soldat ist.

Es ist nur ein Zufall, daß Preußen unter den deutschen Staaten des
18. Jahrhunderts wegen seiner gewaltthätigen Werbungen am übelsten be¬
rufen war. Die Vorliebe Friedrich Wilhelm I. für große Leuie, der ungeheure
Mcnschenverbrauch in den schlesischen Kriegen Friedrich II. und vor allem der
Umstand, daß in Preußen zuerst die Anfänge öffentlicher Meinung sich bildeten
und dort über das Unwesen lauter geklagt und mehr geschrieben worden ist, haben
diesen schlimmen Ruf verbreitet. In der That aber hatte kein deutsches Heer ein
Recht, dem andern etwas vorzuwerfen. Die Oestreicher, welche damals bei weitem
das meiste Material für Hecrbildung in ihren Landschaften hatten, warben mit der¬
selben rücksichtslosen Gewaltthätigkeit. Am gewissenlosesten vielleicht waren die
kleinen Fürsten, welche das natürliche Bestreben hatten, ihre eignen producirenden
und steuernden Unterthanen zu schonen. Es waren nicht nur die preußischen
Generale, der alte Dessauer und später Herzog Karl Wilhelm von Braun¬
schweig deshalb berüchtigt,*) sondern auch andere speculative Herren, welche



Der letztere trieb bis zu seinem Tode, bis 1806, bei seinem Regiment zu Halbcrstodt
einen unausgesetzten Menschenhandel, um lange Leute zu bekommen. In seiner Leibcvmvagnie

so Gewordenen dem Heere zum Nutzen gereichte. Zunächst war die Mehrzahl
davon das schlechteste Gesindel, in welches nicht immer militärische Eigen¬
schaften hineingeprügelt werden konnten, ihre zerrütteten Körper und laster¬
haften Gewohnheiten füllten die Spitäler und Gefängnisse, und nur selten ge¬
wannen sie el-ne Anhänglichkeit, an ihre Fahne, sie liefen davon, sobald sie
konnten, wenig abgeschreckt durch die furchtbaren Strafen, welche auf Desertion
standen, beim ersten und zweiten Male Spiefzruthcn, beim dritten Male die
Kugel.

Es ist natürlich, daß bei solcher Heerverfassung die Desertionen nicht aufhör¬
ten. Es war das gewöhnliche Leiden aller Armeen und durch die furchtbaren Stra¬
fen, vollends im Felde, nicht zu verhindern. In jeder anstrengenden Campagne, nach
jedem Verlornen Treffen, ja selbst nach gewonnenen war die Anzahl der Deser-
tirten unverhältnißmäßig groß, und in unglücklichen Feldzügen waren ganze
Armeen in Gefahr, zu zerlaufen. Viele, die von einem Heer wegliefen, zogen
zu einem andern, wie die Söldner im dreißigjährigen Kriege; ja das Aus-
reißen und Wechseln erhielt für Abenteurer einen rohen gemüthlichen Reiz, un¬
gefähr wie das Einbrechen für manche Dicbsnaturen. Ein aufgefangener
Deserteur war in der Meinung des großen Haufens nichts weniger als ein
Uebelthäter, — wir haben mehre Volkslieder, in denen sich das volle Mitgefühl
der Dorfsänger mit dem Unglücklichen ausspricht; — der glückliche Deserteur aber
galt sogar sür einen Helden, wie auch in nicht wenigen Volksmärchen der
tapfere Gesell, welcher Ungeheuer bezwingt, dem Märchenkönige aus der Noth
hilft und zuletzt die Prinzessin heirathet, ein entsprungener Soldat ist.

Es ist nur ein Zufall, daß Preußen unter den deutschen Staaten des
18. Jahrhunderts wegen seiner gewaltthätigen Werbungen am übelsten be¬
rufen war. Die Vorliebe Friedrich Wilhelm I. für große Leuie, der ungeheure
Mcnschenverbrauch in den schlesischen Kriegen Friedrich II. und vor allem der
Umstand, daß in Preußen zuerst die Anfänge öffentlicher Meinung sich bildeten
und dort über das Unwesen lauter geklagt und mehr geschrieben worden ist, haben
diesen schlimmen Ruf verbreitet. In der That aber hatte kein deutsches Heer ein
Recht, dem andern etwas vorzuwerfen. Die Oestreicher, welche damals bei weitem
das meiste Material für Hecrbildung in ihren Landschaften hatten, warben mit der¬
selben rücksichtslosen Gewaltthätigkeit. Am gewissenlosesten vielleicht waren die
kleinen Fürsten, welche das natürliche Bestreben hatten, ihre eignen producirenden
und steuernden Unterthanen zu schonen. Es waren nicht nur die preußischen
Generale, der alte Dessauer und später Herzog Karl Wilhelm von Braun¬
schweig deshalb berüchtigt,*) sondern auch andere speculative Herren, welche



Der letztere trieb bis zu seinem Tode, bis 1806, bei seinem Regiment zu Halbcrstodt
einen unausgesetzten Menschenhandel, um lange Leute zu bekommen. In seiner Leibcvmvagnie
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[0108] so Gewordenen dem Heere zum Nutzen gereichte. Zunächst war die Mehrzahl davon das schlechteste Gesindel, in welches nicht immer militärische Eigen¬ schaften hineingeprügelt werden konnten, ihre zerrütteten Körper und laster¬ haften Gewohnheiten füllten die Spitäler und Gefängnisse, und nur selten ge¬ wannen sie el-ne Anhänglichkeit, an ihre Fahne, sie liefen davon, sobald sie konnten, wenig abgeschreckt durch die furchtbaren Strafen, welche auf Desertion standen, beim ersten und zweiten Male Spiefzruthcn, beim dritten Male die Kugel. Es ist natürlich, daß bei solcher Heerverfassung die Desertionen nicht aufhör¬ ten. Es war das gewöhnliche Leiden aller Armeen und durch die furchtbaren Stra¬ fen, vollends im Felde, nicht zu verhindern. In jeder anstrengenden Campagne, nach jedem Verlornen Treffen, ja selbst nach gewonnenen war die Anzahl der Deser- tirten unverhältnißmäßig groß, und in unglücklichen Feldzügen waren ganze Armeen in Gefahr, zu zerlaufen. Viele, die von einem Heer wegliefen, zogen zu einem andern, wie die Söldner im dreißigjährigen Kriege; ja das Aus- reißen und Wechseln erhielt für Abenteurer einen rohen gemüthlichen Reiz, un¬ gefähr wie das Einbrechen für manche Dicbsnaturen. Ein aufgefangener Deserteur war in der Meinung des großen Haufens nichts weniger als ein Uebelthäter, — wir haben mehre Volkslieder, in denen sich das volle Mitgefühl der Dorfsänger mit dem Unglücklichen ausspricht; — der glückliche Deserteur aber galt sogar sür einen Helden, wie auch in nicht wenigen Volksmärchen der tapfere Gesell, welcher Ungeheuer bezwingt, dem Märchenkönige aus der Noth hilft und zuletzt die Prinzessin heirathet, ein entsprungener Soldat ist. Es ist nur ein Zufall, daß Preußen unter den deutschen Staaten des 18. Jahrhunderts wegen seiner gewaltthätigen Werbungen am übelsten be¬ rufen war. Die Vorliebe Friedrich Wilhelm I. für große Leuie, der ungeheure Mcnschenverbrauch in den schlesischen Kriegen Friedrich II. und vor allem der Umstand, daß in Preußen zuerst die Anfänge öffentlicher Meinung sich bildeten und dort über das Unwesen lauter geklagt und mehr geschrieben worden ist, haben diesen schlimmen Ruf verbreitet. In der That aber hatte kein deutsches Heer ein Recht, dem andern etwas vorzuwerfen. Die Oestreicher, welche damals bei weitem das meiste Material für Hecrbildung in ihren Landschaften hatten, warben mit der¬ selben rücksichtslosen Gewaltthätigkeit. Am gewissenlosesten vielleicht waren die kleinen Fürsten, welche das natürliche Bestreben hatten, ihre eignen producirenden und steuernden Unterthanen zu schonen. Es waren nicht nur die preußischen Generale, der alte Dessauer und später Herzog Karl Wilhelm von Braun¬ schweig deshalb berüchtigt,*) sondern auch andere speculative Herren, welche Der letztere trieb bis zu seinem Tode, bis 1806, bei seinem Regiment zu Halbcrstodt einen unausgesetzten Menschenhandel, um lange Leute zu bekommen. In seiner Leibcvmvagnie

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992/108>, abgerufen am 23.07.2024.