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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band.

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Einführung des Feuergewehrs und Preußen verdankt der frühen und rücksichts¬
losen Annahme des neuen Systems sein militärisches Uebergewicht in
Deutschland, während z. B. in Oestreich bis zum Jahre 48 und in England
bis zur Gegenwart mehrfache Uebelstände des alten Söldnerheeres conservirt
worden sind. Wenn aber die directe Abhängigkeit der Heere vom Landesherrn
ein großer Fortschritt war, -- stehendes Heer statt der Söldnerhaufen, moder¬
nes Militärregiment statt der mittelalterlichen Feudaleinrichtungen -- so war
doch die neue Institution zunächst kein Fortschritt in der politischen Sittlichkeit.
Denn die Landesherrn selbst wurden viel gewaltthätigere und gefährlichere
Werber, als die Hauptleute der alten Söldner gewesen waren. Zwar wurde
zur Ergänzung des Heeres sehr bald ein Cantonsystem eingeführt, d. h. die
Regimenter wurden auf bestimmte Districte angewiesen, in denen die Communen
ihnen Ersatzmannschaft zu präsentiren hatten, da aber in den dünn bevöl¬
kerten Ländern entbehrliches Menschenmaterial sehr wenig vorhanden und
außer dem Adel, Beamten und Geistlichen auch viele andere Kategorien der
steuerzahlenden vom Kriegsdienst frei sein sollten, so reichte diese Art von
Completirung nirgend aus. Als Erweiterung zu dieser Einrichtung führte
Friedrich Wilhelm I. in Preußen das System der Beurlaubung ein. Darnach
waren die Landeskinder als Kantonisten nur im ersten Jahre ihrer zwanzig¬
jährigen Dienstzeit vollständig bei der Fahne, in allen spätern Jahren wurden sie
nur auf etwa vier Wochen zur Uebung herangezogen. Aber dieser erste Anfang
des gegenwärtigen Landwehrsystcms, der in Preußen von 1733 bis 180K bestand,
vermochte nicht, das Heer vollzählig und kriegstüchtig zu erhalten, die Hälfte
desselben, der Kern der Regimenter bestand immer noch aus gewordenen In¬
ländern und Ausländern, welche natürlich die Fahne nicht verlassen durften.
So war daS Heer auch in Friedenszeiten, noch mehr aber, wenn eine plötzliche
Vermehrung desselben nöthig war, doch wieder auf Werbung angewiesen. Und
obgleich die Uebelstände dieses Systems offen zu Tage lagen, wußte man sich
durchaus nicht dagegen zu helfen. Zwar die große Unsittlichkeit, welche dabei
stattfand, beunruhigte die Regierenden wenig, wol aber die Unsicherheit, Kost¬
spieligkeit und die vielen Händel und Schreibereien, welche damit verbunden
waren. Denn da in Kriegszeiten von mehrern Seiten geworben wurde, und
zwar im Auslande, und heimlich, so machten die fremden Werber einander
oft Concurrenz; Chikanen, Denunciationen, so wie Reclamationen fremder Re¬
gierungen hörten nicht auf. Die Werbeofsiziere selbst waren unsichere, ja
schlechte Menschen, deren Thätigkeit und Ausgaben nur ungenügend controlirt
werden konnten. Nicht wenige lebten Jahre lang mit ihren Helfershelfern in
der Fremde auf Kosten der Monarchen in Vollere!, berechneten theures Hand¬
geld und fingen zuletzt doch nur wenige oder konnten ihren Fang nicht un¬
verkürzt in das Land schaffen. Dazu ergab sich bald, daß nicht die Hälfte der


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Einführung des Feuergewehrs und Preußen verdankt der frühen und rücksichts¬
losen Annahme des neuen Systems sein militärisches Uebergewicht in
Deutschland, während z. B. in Oestreich bis zum Jahre 48 und in England
bis zur Gegenwart mehrfache Uebelstände des alten Söldnerheeres conservirt
worden sind. Wenn aber die directe Abhängigkeit der Heere vom Landesherrn
ein großer Fortschritt war, — stehendes Heer statt der Söldnerhaufen, moder¬
nes Militärregiment statt der mittelalterlichen Feudaleinrichtungen — so war
doch die neue Institution zunächst kein Fortschritt in der politischen Sittlichkeit.
Denn die Landesherrn selbst wurden viel gewaltthätigere und gefährlichere
Werber, als die Hauptleute der alten Söldner gewesen waren. Zwar wurde
zur Ergänzung des Heeres sehr bald ein Cantonsystem eingeführt, d. h. die
Regimenter wurden auf bestimmte Districte angewiesen, in denen die Communen
ihnen Ersatzmannschaft zu präsentiren hatten, da aber in den dünn bevöl¬
kerten Ländern entbehrliches Menschenmaterial sehr wenig vorhanden und
außer dem Adel, Beamten und Geistlichen auch viele andere Kategorien der
steuerzahlenden vom Kriegsdienst frei sein sollten, so reichte diese Art von
Completirung nirgend aus. Als Erweiterung zu dieser Einrichtung führte
Friedrich Wilhelm I. in Preußen das System der Beurlaubung ein. Darnach
waren die Landeskinder als Kantonisten nur im ersten Jahre ihrer zwanzig¬
jährigen Dienstzeit vollständig bei der Fahne, in allen spätern Jahren wurden sie
nur auf etwa vier Wochen zur Uebung herangezogen. Aber dieser erste Anfang
des gegenwärtigen Landwehrsystcms, der in Preußen von 1733 bis 180K bestand,
vermochte nicht, das Heer vollzählig und kriegstüchtig zu erhalten, die Hälfte
desselben, der Kern der Regimenter bestand immer noch aus gewordenen In¬
ländern und Ausländern, welche natürlich die Fahne nicht verlassen durften.
So war daS Heer auch in Friedenszeiten, noch mehr aber, wenn eine plötzliche
Vermehrung desselben nöthig war, doch wieder auf Werbung angewiesen. Und
obgleich die Uebelstände dieses Systems offen zu Tage lagen, wußte man sich
durchaus nicht dagegen zu helfen. Zwar die große Unsittlichkeit, welche dabei
stattfand, beunruhigte die Regierenden wenig, wol aber die Unsicherheit, Kost¬
spieligkeit und die vielen Händel und Schreibereien, welche damit verbunden
waren. Denn da in Kriegszeiten von mehrern Seiten geworben wurde, und
zwar im Auslande, und heimlich, so machten die fremden Werber einander
oft Concurrenz; Chikanen, Denunciationen, so wie Reclamationen fremder Re¬
gierungen hörten nicht auf. Die Werbeofsiziere selbst waren unsichere, ja
schlechte Menschen, deren Thätigkeit und Ausgaben nur ungenügend controlirt
werden konnten. Nicht wenige lebten Jahre lang mit ihren Helfershelfern in
der Fremde auf Kosten der Monarchen in Vollere!, berechneten theures Hand¬
geld und fingen zuletzt doch nur wenige oder konnten ihren Fang nicht un¬
verkürzt in das Land schaffen. Dazu ergab sich bald, daß nicht die Hälfte der


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[0107] Einführung des Feuergewehrs und Preußen verdankt der frühen und rücksichts¬ losen Annahme des neuen Systems sein militärisches Uebergewicht in Deutschland, während z. B. in Oestreich bis zum Jahre 48 und in England bis zur Gegenwart mehrfache Uebelstände des alten Söldnerheeres conservirt worden sind. Wenn aber die directe Abhängigkeit der Heere vom Landesherrn ein großer Fortschritt war, — stehendes Heer statt der Söldnerhaufen, moder¬ nes Militärregiment statt der mittelalterlichen Feudaleinrichtungen — so war doch die neue Institution zunächst kein Fortschritt in der politischen Sittlichkeit. Denn die Landesherrn selbst wurden viel gewaltthätigere und gefährlichere Werber, als die Hauptleute der alten Söldner gewesen waren. Zwar wurde zur Ergänzung des Heeres sehr bald ein Cantonsystem eingeführt, d. h. die Regimenter wurden auf bestimmte Districte angewiesen, in denen die Communen ihnen Ersatzmannschaft zu präsentiren hatten, da aber in den dünn bevöl¬ kerten Ländern entbehrliches Menschenmaterial sehr wenig vorhanden und außer dem Adel, Beamten und Geistlichen auch viele andere Kategorien der steuerzahlenden vom Kriegsdienst frei sein sollten, so reichte diese Art von Completirung nirgend aus. Als Erweiterung zu dieser Einrichtung führte Friedrich Wilhelm I. in Preußen das System der Beurlaubung ein. Darnach waren die Landeskinder als Kantonisten nur im ersten Jahre ihrer zwanzig¬ jährigen Dienstzeit vollständig bei der Fahne, in allen spätern Jahren wurden sie nur auf etwa vier Wochen zur Uebung herangezogen. Aber dieser erste Anfang des gegenwärtigen Landwehrsystcms, der in Preußen von 1733 bis 180K bestand, vermochte nicht, das Heer vollzählig und kriegstüchtig zu erhalten, die Hälfte desselben, der Kern der Regimenter bestand immer noch aus gewordenen In¬ ländern und Ausländern, welche natürlich die Fahne nicht verlassen durften. So war daS Heer auch in Friedenszeiten, noch mehr aber, wenn eine plötzliche Vermehrung desselben nöthig war, doch wieder auf Werbung angewiesen. Und obgleich die Uebelstände dieses Systems offen zu Tage lagen, wußte man sich durchaus nicht dagegen zu helfen. Zwar die große Unsittlichkeit, welche dabei stattfand, beunruhigte die Regierenden wenig, wol aber die Unsicherheit, Kost¬ spieligkeit und die vielen Händel und Schreibereien, welche damit verbunden waren. Denn da in Kriegszeiten von mehrern Seiten geworben wurde, und zwar im Auslande, und heimlich, so machten die fremden Werber einander oft Concurrenz; Chikanen, Denunciationen, so wie Reclamationen fremder Re¬ gierungen hörten nicht auf. Die Werbeofsiziere selbst waren unsichere, ja schlechte Menschen, deren Thätigkeit und Ausgaben nur ungenügend controlirt werden konnten. Nicht wenige lebten Jahre lang mit ihren Helfershelfern in der Fremde auf Kosten der Monarchen in Vollere!, berechneten theures Hand¬ geld und fingen zuletzt doch nur wenige oder konnten ihren Fang nicht un¬ verkürzt in das Land schaffen. Dazu ergab sich bald, daß nicht die Hälfte der 13*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992/107>, abgerufen am 23.07.2024.