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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band.

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wie Baiern als Eingriffe in ihre fürstlichen Rechte. Beide erklärten sich mit
unpatriotischer Offenheit gegen die Absicht, "aus verschiedenen Völkerschaften
wie Preußen und Baiern sozusagen eine Nation schaffen zu wollen." Baiern
verlangte sogar das Recht, mit innern und auswärtigen Machten Bündnisse
zu schließen in Hinsicht auf Kriege, an welchen der Bund keinen Theil nehme.
Baiern und Württemberg wollten ein blos völkerrechtliches Bündniß, einen
Fürstenbund, nur zur Sicherung gegen außen, ohne allen Einfluß auf das
Innere, bis auf die militärischen Einrichtungen, und statt der Zweihcrrschaft
Oestreichs und Preußens verlangten sie eine Fünfherrschaft der königlichen
Häuser, eine Herrschaft der Mittelmächte auf Kosten der Kraft und Einheit
Deutschlands.

Dem widersetzten sich anfangs Preußen, Oestreich und Hannover. Preußen
verlangte einen wahren Bundesstaat und für die Einzelstaaten verfassungsmäßige
Rechte. Auch Oestreich sprach sich für die Festsetzung bestimmter Unterthanen¬
rechte aus. Der Minister Hannovers, Graf Münster, erklärte, "ein Reprä¬
sentativsystem sei in Deutschland herkömmlich und rechtlich, in dem Begriff der
Souveränetät liege nicht der Begriff der Despotie. Der König von Groß-
britanien sei offenbar so souverän wie jeder andere Fürst, die Freiheiten seines
Volkes aber befestigten seinen Thron statt ihn zu untergraben: nur mit liberalen
Grundsätzen könne man Ruhe und Zufriedenheit herstellen." Aber keiner der
drei Staaten hielt bei diesen Grundsätzen fest. Stein rief die Intervention
Rußlands an und erlangte die Billigung seines Planes durch Nesselrode.
Zugleich trieb er die kleinen deutschen Höfe zu Erklärungen gegen Württemberg
und Baiern. Am -IK. November 18-14 verlangten die Vertreter von 29 Staaten
und Städten die Theilnahme an den deutschen Berathungen. Sie erklärten
sich bereit, ihre Souveränetät zu beschränken und ein Minimum ständischer
Rechte zu gewähren. Sie beantragten zugleich die Herstellung der Kaiser¬
würde. An demselben Tage trat Würtemberg trotzig aus dem Fünferausschuß.
Aber die sächsisch-polnischen Zerwürfnisse störten damals den Fortgang der
deutschen Sache. Der Ausschuß trat Monate lang nicht zusammen und die
Zwischenzeit gab Baiern und Würtemberg gewonnenes Spiel.

Am 2. Februar 18-15 drangen 32 kleine Staaten auf Wiedereröffnung
des deutschen Congresses mit Zuziehung aller Beiheiligten. Stein, bis dahin der
heftigste Gegner der kleinen Staaten und Fürsten, stellte sich von Preußen weg auf
ihre Seite und förderte ihre Pläne, die wesentlich auf die Begründung eines Bun¬
desstaates mit kaiserlichem Haupte gingen. Oestreich war nicht dawider, es wollte
aber die Kaiserwürde, die es wieder annehmen sollte, mit mächtigen Mitteln
ausgestattet. Aber Preußen, Baiern und Hannover waren gegen daS Kaiser-
thum. Stein steckte sich wieder hinter den Kaiser Alexander und veranlaßte
eine Denkschrift des russischen Ministers Capodistria, in welcher nachgewiesen


wie Baiern als Eingriffe in ihre fürstlichen Rechte. Beide erklärten sich mit
unpatriotischer Offenheit gegen die Absicht, „aus verschiedenen Völkerschaften
wie Preußen und Baiern sozusagen eine Nation schaffen zu wollen." Baiern
verlangte sogar das Recht, mit innern und auswärtigen Machten Bündnisse
zu schließen in Hinsicht auf Kriege, an welchen der Bund keinen Theil nehme.
Baiern und Württemberg wollten ein blos völkerrechtliches Bündniß, einen
Fürstenbund, nur zur Sicherung gegen außen, ohne allen Einfluß auf das
Innere, bis auf die militärischen Einrichtungen, und statt der Zweihcrrschaft
Oestreichs und Preußens verlangten sie eine Fünfherrschaft der königlichen
Häuser, eine Herrschaft der Mittelmächte auf Kosten der Kraft und Einheit
Deutschlands.

Dem widersetzten sich anfangs Preußen, Oestreich und Hannover. Preußen
verlangte einen wahren Bundesstaat und für die Einzelstaaten verfassungsmäßige
Rechte. Auch Oestreich sprach sich für die Festsetzung bestimmter Unterthanen¬
rechte aus. Der Minister Hannovers, Graf Münster, erklärte, „ein Reprä¬
sentativsystem sei in Deutschland herkömmlich und rechtlich, in dem Begriff der
Souveränetät liege nicht der Begriff der Despotie. Der König von Groß-
britanien sei offenbar so souverän wie jeder andere Fürst, die Freiheiten seines
Volkes aber befestigten seinen Thron statt ihn zu untergraben: nur mit liberalen
Grundsätzen könne man Ruhe und Zufriedenheit herstellen." Aber keiner der
drei Staaten hielt bei diesen Grundsätzen fest. Stein rief die Intervention
Rußlands an und erlangte die Billigung seines Planes durch Nesselrode.
Zugleich trieb er die kleinen deutschen Höfe zu Erklärungen gegen Württemberg
und Baiern. Am -IK. November 18-14 verlangten die Vertreter von 29 Staaten
und Städten die Theilnahme an den deutschen Berathungen. Sie erklärten
sich bereit, ihre Souveränetät zu beschränken und ein Minimum ständischer
Rechte zu gewähren. Sie beantragten zugleich die Herstellung der Kaiser¬
würde. An demselben Tage trat Würtemberg trotzig aus dem Fünferausschuß.
Aber die sächsisch-polnischen Zerwürfnisse störten damals den Fortgang der
deutschen Sache. Der Ausschuß trat Monate lang nicht zusammen und die
Zwischenzeit gab Baiern und Würtemberg gewonnenes Spiel.

Am 2. Februar 18-15 drangen 32 kleine Staaten auf Wiedereröffnung
des deutschen Congresses mit Zuziehung aller Beiheiligten. Stein, bis dahin der
heftigste Gegner der kleinen Staaten und Fürsten, stellte sich von Preußen weg auf
ihre Seite und förderte ihre Pläne, die wesentlich auf die Begründung eines Bun¬
desstaates mit kaiserlichem Haupte gingen. Oestreich war nicht dawider, es wollte
aber die Kaiserwürde, die es wieder annehmen sollte, mit mächtigen Mitteln
ausgestattet. Aber Preußen, Baiern und Hannover waren gegen daS Kaiser-
thum. Stein steckte sich wieder hinter den Kaiser Alexander und veranlaßte
eine Denkschrift des russischen Ministers Capodistria, in welcher nachgewiesen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99919/80>, abgerufen am 22.07.2024.