Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

wurde, daß die Ruhe Europas und die Macht Deutschlands nur durch eine
starke Bundesverfassung mit kaiserlichem Haupte gesichert werden könne und
in welcher durch die Beziehungen Rußlands zu Preußen auch für den russi¬
schen Einfluß auf Deutschland gesorgt war. Aber Preußen erklärte es für
eine Unmöglichkeit, daß zwei Staaten von selbstständiger Macht eine .der
anderen in einem wirklichen Bundesstaat sich unterordnen könne. Der preu¬
ßische Münster Humboldt sagte in seiner Gegenschrift, daß Preußen einer
wirklichen kaiserlichen Gewalt sich nicht unterwerfen könne. Vom deutschen
Gesichtspunkte aber entwickelte er, daß Oestreich die deutschen Interessen immer
seinen eignen opfern, die deutsche Krone nur dazu benutzen würde, um seine
östreichische Macht zu stützen. Ohne die Kriegsmacht des Reiches werde der
Kaiser schwach wie immer, mit ihr aber Herr in Deutschland sein. Das Ver¬
hältniß eines Bundes mit beschließender Mehrzahl ohne einheitliches Haupt
sei das allem mögliche. Diese Gründe waren unverwerflich. Ein Mittel zu
einem einheitlichen Deutschland mit Kaiserthum war, Oestreich ganz aus dem
Bunde zu lassen. Dieses Mittel wurde vor dem westphälischen Frieden von
Hippolytus a lapide vorgeschlagen: es wurde von den Männern er¬
griffen, die von Täuschungen sich frei erhielten. Ein großes Mittel war die
Vertretung der deutschen Nation am Bunde, denn auf einem Bundestage,
wo blos, die Fürsten vertreten waren, war die Bürgschaft der Landesverfassun¬
gen grade denen anvertraut, die ein Interesse hatten, sie zu untergraben.
Beide Mittel wurden von Stein nicht ergriffen. Er war ein Mann der Ver¬
waltung: die constitutive, ordnende Gabe hat ihm Wilhelm v. Humboldt mit
Grund abgesprochen. Aber auch Humboldts Entwürfe, in denen er sich mit
Hardenberg einigte, enthielten keine Vertretung am Bunde und machten in
Bezug auf das Recht der Bündnisse bedenkliche Zugeständnisse. Sie hielten
jedoch drei Punkte fest: eine kräftige Staatsgewalt, landständische, gewährlei¬
stete Verfassungen und ein Bundesgericht. Aber auch diese Punkte wurden
mit stumpfer Widerstandslosigkeit,von Hardenberg preisgegeben. ,

Ganz anders handelte Metternich im Interesse Oestreichs. Er wollte,
daß Deutschland ein möglichst lockerer Staatenbund werde, dessen Glieder dem
Einflüsse Oestreichs, des mächtigsten Gliedes, unterworfen seien.. Schon 1813
war Metternich gegen jede eigentliche Bundesverfassung, nur für ein ausge¬
dehntes System von Verträgen und Bündnissen zwischen den deutschen Für¬
sten zum Schutz gegen außen und untereinander, ohne Rücksichtnahme auf
die Ding.e der innern Verwaltung. Im December 18-Il brachte ferner der
östreichische Minister Wessenberg einen staatenbündischen Entwurf ein ohne
allgemeine deutsche Bürgerrechte, mit landständischen Rechten, die in den ein¬
zelnen Staaten nach Herkommen und Landesart bemessen würden : die Bundes¬
glieder sollten gleiche politische Rechte und theils einzelne, theils collective


Grenzboten. III. 18S6. .i"

wurde, daß die Ruhe Europas und die Macht Deutschlands nur durch eine
starke Bundesverfassung mit kaiserlichem Haupte gesichert werden könne und
in welcher durch die Beziehungen Rußlands zu Preußen auch für den russi¬
schen Einfluß auf Deutschland gesorgt war. Aber Preußen erklärte es für
eine Unmöglichkeit, daß zwei Staaten von selbstständiger Macht eine .der
anderen in einem wirklichen Bundesstaat sich unterordnen könne. Der preu¬
ßische Münster Humboldt sagte in seiner Gegenschrift, daß Preußen einer
wirklichen kaiserlichen Gewalt sich nicht unterwerfen könne. Vom deutschen
Gesichtspunkte aber entwickelte er, daß Oestreich die deutschen Interessen immer
seinen eignen opfern, die deutsche Krone nur dazu benutzen würde, um seine
östreichische Macht zu stützen. Ohne die Kriegsmacht des Reiches werde der
Kaiser schwach wie immer, mit ihr aber Herr in Deutschland sein. Das Ver¬
hältniß eines Bundes mit beschließender Mehrzahl ohne einheitliches Haupt
sei das allem mögliche. Diese Gründe waren unverwerflich. Ein Mittel zu
einem einheitlichen Deutschland mit Kaiserthum war, Oestreich ganz aus dem
Bunde zu lassen. Dieses Mittel wurde vor dem westphälischen Frieden von
Hippolytus a lapide vorgeschlagen: es wurde von den Männern er¬
griffen, die von Täuschungen sich frei erhielten. Ein großes Mittel war die
Vertretung der deutschen Nation am Bunde, denn auf einem Bundestage,
wo blos, die Fürsten vertreten waren, war die Bürgschaft der Landesverfassun¬
gen grade denen anvertraut, die ein Interesse hatten, sie zu untergraben.
Beide Mittel wurden von Stein nicht ergriffen. Er war ein Mann der Ver¬
waltung: die constitutive, ordnende Gabe hat ihm Wilhelm v. Humboldt mit
Grund abgesprochen. Aber auch Humboldts Entwürfe, in denen er sich mit
Hardenberg einigte, enthielten keine Vertretung am Bunde und machten in
Bezug auf das Recht der Bündnisse bedenkliche Zugeständnisse. Sie hielten
jedoch drei Punkte fest: eine kräftige Staatsgewalt, landständische, gewährlei¬
stete Verfassungen und ein Bundesgericht. Aber auch diese Punkte wurden
mit stumpfer Widerstandslosigkeit,von Hardenberg preisgegeben. ,

Ganz anders handelte Metternich im Interesse Oestreichs. Er wollte,
daß Deutschland ein möglichst lockerer Staatenbund werde, dessen Glieder dem
Einflüsse Oestreichs, des mächtigsten Gliedes, unterworfen seien.. Schon 1813
war Metternich gegen jede eigentliche Bundesverfassung, nur für ein ausge¬
dehntes System von Verträgen und Bündnissen zwischen den deutschen Für¬
sten zum Schutz gegen außen und untereinander, ohne Rücksichtnahme auf
die Ding.e der innern Verwaltung. Im December 18-Il brachte ferner der
östreichische Minister Wessenberg einen staatenbündischen Entwurf ein ohne
allgemeine deutsche Bürgerrechte, mit landständischen Rechten, die in den ein¬
zelnen Staaten nach Herkommen und Landesart bemessen würden : die Bundes¬
glieder sollten gleiche politische Rechte und theils einzelne, theils collective


Grenzboten. III. 18S6. .i»
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0081" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/100001"/>
            <p xml:id="ID_220" prev="#ID_219"> wurde, daß die Ruhe Europas und die Macht Deutschlands nur durch eine<lb/>
starke Bundesverfassung mit kaiserlichem Haupte gesichert werden könne und<lb/>
in welcher durch die Beziehungen Rußlands zu Preußen auch für den russi¬<lb/>
schen Einfluß auf Deutschland gesorgt war. Aber Preußen erklärte es für<lb/>
eine Unmöglichkeit, daß zwei Staaten von selbstständiger Macht eine .der<lb/>
anderen in einem wirklichen Bundesstaat sich unterordnen könne. Der preu¬<lb/>
ßische Münster Humboldt sagte in seiner Gegenschrift, daß Preußen einer<lb/>
wirklichen kaiserlichen Gewalt sich nicht unterwerfen könne. Vom deutschen<lb/>
Gesichtspunkte aber entwickelte er, daß Oestreich die deutschen Interessen immer<lb/>
seinen eignen opfern, die deutsche Krone nur dazu benutzen würde, um seine<lb/>
östreichische Macht zu stützen. Ohne die Kriegsmacht des Reiches werde der<lb/>
Kaiser schwach wie immer, mit ihr aber Herr in Deutschland sein. Das Ver¬<lb/>
hältniß eines Bundes mit beschließender Mehrzahl ohne einheitliches Haupt<lb/>
sei das allem mögliche. Diese Gründe waren unverwerflich. Ein Mittel zu<lb/>
einem einheitlichen Deutschland mit Kaiserthum war, Oestreich ganz aus dem<lb/>
Bunde zu lassen. Dieses Mittel wurde vor dem westphälischen Frieden von<lb/>
Hippolytus a lapide vorgeschlagen: es wurde von den Männern er¬<lb/>
griffen, die von Täuschungen sich frei erhielten. Ein großes Mittel war die<lb/>
Vertretung der deutschen Nation am Bunde, denn auf einem Bundestage,<lb/>
wo blos, die Fürsten vertreten waren, war die Bürgschaft der Landesverfassun¬<lb/>
gen grade denen anvertraut, die ein Interesse hatten, sie zu untergraben.<lb/>
Beide Mittel wurden von Stein nicht ergriffen. Er war ein Mann der Ver¬<lb/>
waltung: die constitutive, ordnende Gabe hat ihm Wilhelm v. Humboldt mit<lb/>
Grund abgesprochen. Aber auch Humboldts Entwürfe, in denen er sich mit<lb/>
Hardenberg einigte, enthielten keine Vertretung am Bunde und machten in<lb/>
Bezug auf das Recht der Bündnisse bedenkliche Zugeständnisse. Sie hielten<lb/>
jedoch drei Punkte fest: eine kräftige Staatsgewalt, landständische, gewährlei¬<lb/>
stete Verfassungen und ein Bundesgericht. Aber auch diese Punkte wurden<lb/>
mit stumpfer Widerstandslosigkeit,von Hardenberg preisgegeben. ,</p><lb/>
            <p xml:id="ID_221" next="#ID_222"> Ganz anders handelte Metternich im Interesse Oestreichs. Er wollte,<lb/>
daß Deutschland ein möglichst lockerer Staatenbund werde, dessen Glieder dem<lb/>
Einflüsse Oestreichs, des mächtigsten Gliedes, unterworfen seien.. Schon 1813<lb/>
war Metternich gegen jede eigentliche Bundesverfassung, nur für ein ausge¬<lb/>
dehntes System von Verträgen und Bündnissen zwischen den deutschen Für¬<lb/>
sten zum Schutz gegen außen und untereinander, ohne Rücksichtnahme auf<lb/>
die Ding.e der innern Verwaltung. Im December 18-Il brachte ferner der<lb/>
östreichische Minister Wessenberg einen staatenbündischen Entwurf ein ohne<lb/>
allgemeine deutsche Bürgerrechte, mit landständischen Rechten, die in den ein¬<lb/>
zelnen Staaten nach Herkommen und Landesart bemessen würden : die Bundes¬<lb/>
glieder sollten gleiche politische Rechte und theils einzelne, theils collective</p><lb/>
            <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten. III. 18S6. .i»</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0081] wurde, daß die Ruhe Europas und die Macht Deutschlands nur durch eine starke Bundesverfassung mit kaiserlichem Haupte gesichert werden könne und in welcher durch die Beziehungen Rußlands zu Preußen auch für den russi¬ schen Einfluß auf Deutschland gesorgt war. Aber Preußen erklärte es für eine Unmöglichkeit, daß zwei Staaten von selbstständiger Macht eine .der anderen in einem wirklichen Bundesstaat sich unterordnen könne. Der preu¬ ßische Münster Humboldt sagte in seiner Gegenschrift, daß Preußen einer wirklichen kaiserlichen Gewalt sich nicht unterwerfen könne. Vom deutschen Gesichtspunkte aber entwickelte er, daß Oestreich die deutschen Interessen immer seinen eignen opfern, die deutsche Krone nur dazu benutzen würde, um seine östreichische Macht zu stützen. Ohne die Kriegsmacht des Reiches werde der Kaiser schwach wie immer, mit ihr aber Herr in Deutschland sein. Das Ver¬ hältniß eines Bundes mit beschließender Mehrzahl ohne einheitliches Haupt sei das allem mögliche. Diese Gründe waren unverwerflich. Ein Mittel zu einem einheitlichen Deutschland mit Kaiserthum war, Oestreich ganz aus dem Bunde zu lassen. Dieses Mittel wurde vor dem westphälischen Frieden von Hippolytus a lapide vorgeschlagen: es wurde von den Männern er¬ griffen, die von Täuschungen sich frei erhielten. Ein großes Mittel war die Vertretung der deutschen Nation am Bunde, denn auf einem Bundestage, wo blos, die Fürsten vertreten waren, war die Bürgschaft der Landesverfassun¬ gen grade denen anvertraut, die ein Interesse hatten, sie zu untergraben. Beide Mittel wurden von Stein nicht ergriffen. Er war ein Mann der Ver¬ waltung: die constitutive, ordnende Gabe hat ihm Wilhelm v. Humboldt mit Grund abgesprochen. Aber auch Humboldts Entwürfe, in denen er sich mit Hardenberg einigte, enthielten keine Vertretung am Bunde und machten in Bezug auf das Recht der Bündnisse bedenkliche Zugeständnisse. Sie hielten jedoch drei Punkte fest: eine kräftige Staatsgewalt, landständische, gewährlei¬ stete Verfassungen und ein Bundesgericht. Aber auch diese Punkte wurden mit stumpfer Widerstandslosigkeit,von Hardenberg preisgegeben. , Ganz anders handelte Metternich im Interesse Oestreichs. Er wollte, daß Deutschland ein möglichst lockerer Staatenbund werde, dessen Glieder dem Einflüsse Oestreichs, des mächtigsten Gliedes, unterworfen seien.. Schon 1813 war Metternich gegen jede eigentliche Bundesverfassung, nur für ein ausge¬ dehntes System von Verträgen und Bündnissen zwischen den deutschen Für¬ sten zum Schutz gegen außen und untereinander, ohne Rücksichtnahme auf die Ding.e der innern Verwaltung. Im December 18-Il brachte ferner der östreichische Minister Wessenberg einen staatenbündischen Entwurf ein ohne allgemeine deutsche Bürgerrechte, mit landständischen Rechten, die in den ein¬ zelnen Staaten nach Herkommen und Landesart bemessen würden : die Bundes¬ glieder sollten gleiche politische Rechte und theils einzelne, theils collective Grenzboten. III. 18S6. .i»

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99919
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99919/81
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99919/81>, abgerufen am 22.12.2024.