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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band.

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männer glaubten, die Sache könne nicht ohne einen Krieg mit Preußen endigen.
Sie endigte aber damit, daß Hardenberg auch seine letzten Forderungen auf¬
gab. Dennoch behielt er sein Ministerium. In Deutschland pflegte man da¬
mals wie jetzt "den Minister anzusehen wie einen Soldaten, der, ob Vor¬
wärts oder Halt befehligt wird, in allen Fällen zu gehorchen hat."

Frankreich trat weiter nichts ab, als die meisten der fremden Gebiete, die
eS 1816- zu seinem frühern Umfang erhalten hatte.

Ebenso ungenügend war das Ergebniß der langen Verhandlungen über
die innere Einrichtung Deutschlands als Gesammtstaat. Schon -1807 hatte
man einsehen gelernt, daß die Unabhängigkeit Deutschlands nach außen eine
Hauptbedingung für die Ruhe Europas, baß für die deutschen Staaten im
Innern ein gewisses Maß ständischer Freiheit nothwendig sei. -18-13 durfte
man auf Einführung freier Bundesverfassungen und einer festen bundesstaat¬
lichen Gestaltung Deutschlands hoffen. Gleich im Anfang des wiener Con-
gresses bildeten auf Steins Betrieb die fünf königlichen Cabinetc Deutschlands
mit Ausschluß Sachsens für die Regelung der deutschen Frage einen besondern
Ausschuß, damir Deutschland, wie der Aufruf von Kalisch besagt, sich seine
Verfassung selbst gebe aus dem "ureigner Geiste" seines Volkes. Stein
hoffte dadurch die Einmischung Rußlands auszuschließen. Die Undeutschheit
der deutschen Fürsten und Minister aber nöthigte ihn, dieselbe immer aufs neue
anzurufen. Es war dies um so bedauerlicher, als Nußland schon im Kalischer
Ausruf als "Erretter Deutschlands", als "Beschützer der deutschen Verfassung"
aufgetreten war. Bevor aber noch dieser russische Einfluß zur Geltung kam,
scheiterte das deutsche Verfassungöwerk an dem hinterhältigen Benehmen Oest¬
reichs, an der Eisersucht der beiden deutschen Großmächte, an der gesonderten
Stellung des zu England gehörigen Hannovers und an den Anmaßungen
der Nheinbundsürsten.

Von einer möglichst einheitlichen Verfassung kam mau zuerst zu einer
zweiherrschaftlichen, dann zu einer sünfherrschaftlichen, weiter zu einer vielheit¬
lichen mit einheitlicher Spitze, endlich zu dem vielheitlichen Staatenbunde ohne
einheitlichen Schlußstein.

Stein war für die deutsche Staatseinheit. Er empfand mit Grimm, daß
Deutschland, welches an zwei Meeren, an den mächtigsten Flüssen, im Mittel¬
punkte Europas liegt, machtlos ist, weil es nicht eine Nation und einen
Staat bildet. Er hatte erfahren, daß das Leben in kleinen Staaten den Blick
verengt, den Charakter lahmt, kleinlich und spießbürgerlich macht, daß einem
getheilten Volke ohne große allgemeine Interessen jeder Gemeingeist, jede große
Triebfeder zu Ruhm und Thaten abgeht. Er war entrüstet über die Gewalt¬
thätigkeiten und den Landesverrat!) der rheinbündischen Fürsten und wollte
-1813 das Recht der Eroberung gegen sie in vollem Maße zur Anwendung


männer glaubten, die Sache könne nicht ohne einen Krieg mit Preußen endigen.
Sie endigte aber damit, daß Hardenberg auch seine letzten Forderungen auf¬
gab. Dennoch behielt er sein Ministerium. In Deutschland pflegte man da¬
mals wie jetzt „den Minister anzusehen wie einen Soldaten, der, ob Vor¬
wärts oder Halt befehligt wird, in allen Fällen zu gehorchen hat."

Frankreich trat weiter nichts ab, als die meisten der fremden Gebiete, die
eS 1816- zu seinem frühern Umfang erhalten hatte.

Ebenso ungenügend war das Ergebniß der langen Verhandlungen über
die innere Einrichtung Deutschlands als Gesammtstaat. Schon -1807 hatte
man einsehen gelernt, daß die Unabhängigkeit Deutschlands nach außen eine
Hauptbedingung für die Ruhe Europas, baß für die deutschen Staaten im
Innern ein gewisses Maß ständischer Freiheit nothwendig sei. -18-13 durfte
man auf Einführung freier Bundesverfassungen und einer festen bundesstaat¬
lichen Gestaltung Deutschlands hoffen. Gleich im Anfang des wiener Con-
gresses bildeten auf Steins Betrieb die fünf königlichen Cabinetc Deutschlands
mit Ausschluß Sachsens für die Regelung der deutschen Frage einen besondern
Ausschuß, damir Deutschland, wie der Aufruf von Kalisch besagt, sich seine
Verfassung selbst gebe aus dem „ureigner Geiste" seines Volkes. Stein
hoffte dadurch die Einmischung Rußlands auszuschließen. Die Undeutschheit
der deutschen Fürsten und Minister aber nöthigte ihn, dieselbe immer aufs neue
anzurufen. Es war dies um so bedauerlicher, als Nußland schon im Kalischer
Ausruf als „Erretter Deutschlands", als „Beschützer der deutschen Verfassung"
aufgetreten war. Bevor aber noch dieser russische Einfluß zur Geltung kam,
scheiterte das deutsche Verfassungöwerk an dem hinterhältigen Benehmen Oest¬
reichs, an der Eisersucht der beiden deutschen Großmächte, an der gesonderten
Stellung des zu England gehörigen Hannovers und an den Anmaßungen
der Nheinbundsürsten.

Von einer möglichst einheitlichen Verfassung kam mau zuerst zu einer
zweiherrschaftlichen, dann zu einer sünfherrschaftlichen, weiter zu einer vielheit¬
lichen mit einheitlicher Spitze, endlich zu dem vielheitlichen Staatenbunde ohne
einheitlichen Schlußstein.

Stein war für die deutsche Staatseinheit. Er empfand mit Grimm, daß
Deutschland, welches an zwei Meeren, an den mächtigsten Flüssen, im Mittel¬
punkte Europas liegt, machtlos ist, weil es nicht eine Nation und einen
Staat bildet. Er hatte erfahren, daß das Leben in kleinen Staaten den Blick
verengt, den Charakter lahmt, kleinlich und spießbürgerlich macht, daß einem
getheilten Volke ohne große allgemeine Interessen jeder Gemeingeist, jede große
Triebfeder zu Ruhm und Thaten abgeht. Er war entrüstet über die Gewalt¬
thätigkeiten und den Landesverrat!) der rheinbündischen Fürsten und wollte
-1813 das Recht der Eroberung gegen sie in vollem Maße zur Anwendung


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99919/78>, abgerufen am 22.07.2024.