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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band.

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rückzunehmen. Stein, Hardenberg, Gagern und Metternich erklärten im Haupt¬
quartier zu Heidelberg im Juni -1813, daß Elsaß, Lothringen und Französisch
Flandern von Frankreich abgelöst werden müßten. Nichts war billiger, als
daß man in der Juragrenze eine ähnliche Sicherung deS deutschen Westens
verlangt hätte, wie sie die Pyrenäen und Alpen Spanien und Italien ge¬
wahren. Stein forderte wenigstens, den Oberrhein und die Obermaaö durch
die Abreißung jener dreifachen Festungslinie sicher zu stellen, welche Frank¬
reich seine angreifende Stellung gegen Deutschland gibt. Englands Interesse
ging in diesem Punkte mit dem Interesse Oestreichs und Preußens zusammen.
Aber die deutschen Mächte hatten abermals versäumt, ihre Bedingungen vor
dem Kampfe zu stellen. Wellington, durch den überraschend schnellen Ausgang
des Krieges in den drei Junitagen die Lage beherrschend, wollte eine Besetzung
Frankreichs durch die Armee der Verbündeten, die er selbst zu befehligen hoffte,
keine Gebietöschmälerung Frankreichs, die diesen Staat zu einem neuen Kriege
gegen Deutschland stacheln werde. Er drang durch. England legte Frank¬
reich die Einstellung des Negerhandels auf und nahm für sich die ionischen
Inseln. Weitere territoriale Vortheile hatte es nicht" zu hoffen und gönnte
sie auch andern nicht.

Kaiser Alexander von Nußland brütete schon damals über dem Gedanken,
den christlichen Orient vom Joche der Türken zu befreien. Dazu bedürfte er
eines befreundeten und starken Frankreichs, um mit demselben England die
Wage zu halten, wie er Preußens gegen Oestreich sicher war. Dazu kam die
Besorgniß vor der äußern Vergrößerung und innern Erstarkung Deutschlands.
Der russische Minister Capodistria sagte zu Stein: Rußland habe ein Interesse
dabei, Frankreich stark zu lassen, damit nicht andre Mächte alle ihre Kräfte
frei hätten gegen Rußland. Auch die englischen Staatsmänner theilten
die Besorgniß vor der "Habsucht und Armuth" Oestreichs und Preußens.

Die deutschen Mächte waren uneinig. Gegen den Vorschlag Steins,
Elsaß und Lothringen als östreichische Secundogenitur an den Erzherzog Karl
zu geben, arbeitete Preußen. Gegen den Vorschlag, Elsaß an den Kron¬
prinzen von Würtemberg, Lothringen an Preußen zu geben, arbeitete Oestreich.
Metternich trat bald zu den Anträgen Englands und Rußlands über. Die
kleinen und mittlern deutschen Staaten verlangten einstimmig Sicherung ihrer
Grenze gegen Frankreich. Sie wurden abgewiesen. Hardenberg arbeitete mit
an dieser Abweisung. Er versäumte, die Niederlande, Hannover, Baiern und
Würtemberg mit Preußen zu versöhnen, Preußen an die Spitze dieser Staaten
zu stellen. Preußen blieb isolirt. Es blieb ohne die Stütze der kleinen Höhe:
es stand ohne Uebereinstimmung gegen England, Rußland und Frankreich.
Diese Jsolirung ließ alle seine Forderungen scheitern. Hardenberg ließ eS
zwar an großwortigen Forderungen nicht fehlen, so daß die englischen Staats-


rückzunehmen. Stein, Hardenberg, Gagern und Metternich erklärten im Haupt¬
quartier zu Heidelberg im Juni -1813, daß Elsaß, Lothringen und Französisch
Flandern von Frankreich abgelöst werden müßten. Nichts war billiger, als
daß man in der Juragrenze eine ähnliche Sicherung deS deutschen Westens
verlangt hätte, wie sie die Pyrenäen und Alpen Spanien und Italien ge¬
wahren. Stein forderte wenigstens, den Oberrhein und die Obermaaö durch
die Abreißung jener dreifachen Festungslinie sicher zu stellen, welche Frank¬
reich seine angreifende Stellung gegen Deutschland gibt. Englands Interesse
ging in diesem Punkte mit dem Interesse Oestreichs und Preußens zusammen.
Aber die deutschen Mächte hatten abermals versäumt, ihre Bedingungen vor
dem Kampfe zu stellen. Wellington, durch den überraschend schnellen Ausgang
des Krieges in den drei Junitagen die Lage beherrschend, wollte eine Besetzung
Frankreichs durch die Armee der Verbündeten, die er selbst zu befehligen hoffte,
keine Gebietöschmälerung Frankreichs, die diesen Staat zu einem neuen Kriege
gegen Deutschland stacheln werde. Er drang durch. England legte Frank¬
reich die Einstellung des Negerhandels auf und nahm für sich die ionischen
Inseln. Weitere territoriale Vortheile hatte es nicht" zu hoffen und gönnte
sie auch andern nicht.

Kaiser Alexander von Nußland brütete schon damals über dem Gedanken,
den christlichen Orient vom Joche der Türken zu befreien. Dazu bedürfte er
eines befreundeten und starken Frankreichs, um mit demselben England die
Wage zu halten, wie er Preußens gegen Oestreich sicher war. Dazu kam die
Besorgniß vor der äußern Vergrößerung und innern Erstarkung Deutschlands.
Der russische Minister Capodistria sagte zu Stein: Rußland habe ein Interesse
dabei, Frankreich stark zu lassen, damit nicht andre Mächte alle ihre Kräfte
frei hätten gegen Rußland. Auch die englischen Staatsmänner theilten
die Besorgniß vor der „Habsucht und Armuth" Oestreichs und Preußens.

Die deutschen Mächte waren uneinig. Gegen den Vorschlag Steins,
Elsaß und Lothringen als östreichische Secundogenitur an den Erzherzog Karl
zu geben, arbeitete Preußen. Gegen den Vorschlag, Elsaß an den Kron¬
prinzen von Würtemberg, Lothringen an Preußen zu geben, arbeitete Oestreich.
Metternich trat bald zu den Anträgen Englands und Rußlands über. Die
kleinen und mittlern deutschen Staaten verlangten einstimmig Sicherung ihrer
Grenze gegen Frankreich. Sie wurden abgewiesen. Hardenberg arbeitete mit
an dieser Abweisung. Er versäumte, die Niederlande, Hannover, Baiern und
Würtemberg mit Preußen zu versöhnen, Preußen an die Spitze dieser Staaten
zu stellen. Preußen blieb isolirt. Es blieb ohne die Stütze der kleinen Höhe:
es stand ohne Uebereinstimmung gegen England, Rußland und Frankreich.
Diese Jsolirung ließ alle seine Forderungen scheitern. Hardenberg ließ eS
zwar an großwortigen Forderungen nicht fehlen, so daß die englischen Staats-


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[0077] rückzunehmen. Stein, Hardenberg, Gagern und Metternich erklärten im Haupt¬ quartier zu Heidelberg im Juni -1813, daß Elsaß, Lothringen und Französisch Flandern von Frankreich abgelöst werden müßten. Nichts war billiger, als daß man in der Juragrenze eine ähnliche Sicherung deS deutschen Westens verlangt hätte, wie sie die Pyrenäen und Alpen Spanien und Italien ge¬ wahren. Stein forderte wenigstens, den Oberrhein und die Obermaaö durch die Abreißung jener dreifachen Festungslinie sicher zu stellen, welche Frank¬ reich seine angreifende Stellung gegen Deutschland gibt. Englands Interesse ging in diesem Punkte mit dem Interesse Oestreichs und Preußens zusammen. Aber die deutschen Mächte hatten abermals versäumt, ihre Bedingungen vor dem Kampfe zu stellen. Wellington, durch den überraschend schnellen Ausgang des Krieges in den drei Junitagen die Lage beherrschend, wollte eine Besetzung Frankreichs durch die Armee der Verbündeten, die er selbst zu befehligen hoffte, keine Gebietöschmälerung Frankreichs, die diesen Staat zu einem neuen Kriege gegen Deutschland stacheln werde. Er drang durch. England legte Frank¬ reich die Einstellung des Negerhandels auf und nahm für sich die ionischen Inseln. Weitere territoriale Vortheile hatte es nicht" zu hoffen und gönnte sie auch andern nicht. Kaiser Alexander von Nußland brütete schon damals über dem Gedanken, den christlichen Orient vom Joche der Türken zu befreien. Dazu bedürfte er eines befreundeten und starken Frankreichs, um mit demselben England die Wage zu halten, wie er Preußens gegen Oestreich sicher war. Dazu kam die Besorgniß vor der äußern Vergrößerung und innern Erstarkung Deutschlands. Der russische Minister Capodistria sagte zu Stein: Rußland habe ein Interesse dabei, Frankreich stark zu lassen, damit nicht andre Mächte alle ihre Kräfte frei hätten gegen Rußland. Auch die englischen Staatsmänner theilten die Besorgniß vor der „Habsucht und Armuth" Oestreichs und Preußens. Die deutschen Mächte waren uneinig. Gegen den Vorschlag Steins, Elsaß und Lothringen als östreichische Secundogenitur an den Erzherzog Karl zu geben, arbeitete Preußen. Gegen den Vorschlag, Elsaß an den Kron¬ prinzen von Würtemberg, Lothringen an Preußen zu geben, arbeitete Oestreich. Metternich trat bald zu den Anträgen Englands und Rußlands über. Die kleinen und mittlern deutschen Staaten verlangten einstimmig Sicherung ihrer Grenze gegen Frankreich. Sie wurden abgewiesen. Hardenberg arbeitete mit an dieser Abweisung. Er versäumte, die Niederlande, Hannover, Baiern und Würtemberg mit Preußen zu versöhnen, Preußen an die Spitze dieser Staaten zu stellen. Preußen blieb isolirt. Es blieb ohne die Stütze der kleinen Höhe: es stand ohne Uebereinstimmung gegen England, Rußland und Frankreich. Diese Jsolirung ließ alle seine Forderungen scheitern. Hardenberg ließ eS zwar an großwortigen Forderungen nicht fehlen, so daß die englischen Staats-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99919/77>, abgerufen am 22.07.2024.