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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band.

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Held zurück. Die Scheidewand zwischen den beiden evangelischen Kirchen in
Deutschland war schon längst gefallen; es war daher wünschenswert!), daß
das Aufhören der Trennung auch förmlich ausgesprochen und die Vereinigung
auch äußerlich vollzogen würde. Dieses erfolgte zuerst in Nassau ans der
Generalsynode zu Jdstein im August 1817. Gleich darauf erließ der König
von Preußen, Friedrich Wilhelm III., den 27. September 1817 eine Aufforde¬
rung an die geistlichen Behörden der Monarchie, dahin zu wirken, daß zur
Verherrlichung des bevorstehenden Reformationsjubiläums die beiden Parteien
der evangelischen Kirche die Scheidewand, welche sie trenne, niederreißen und
sich zu einer evangelischen Kirche vereinigen möchten. Die Vereinigung der
beiden evangelischen Kirchen wurde darauf in einem großen Theile Deutsch¬
lands glücklich vollzogen. Mit der Vollziehung der Union war die Einführung
einer kirchlichen Gemeindeverfassung verbunden. Auch hierin ging Nassau vor¬
an, indem es noch im Jahre 1817 eine Synodal- und PreSbyterialversassung
einführte. An der Spitze der Landeskirche steht ein Bischof mit den Rechten
eines Generalsuperintendenten. Die preußische Negierung beabsichtigte eine Ver¬
schmelzung der Consistorial- und Synvdalverfassung, und berief daher im
Jahre 1819 in allen Provinzen Provinzialsynoden, welchen sie einen Entwurf
zu einer Synodalordnung zur Begutachtung vorlegte, Da aber die einlaufen¬
den Gutachten sehr verschieden waren, und einige eine reine Synodal-
vcrfassung verlangten, so blieb jene Einleitung ohne weiteren Erfolg, nur daß
jede Gemeinde aufgefordert wurde, Kirchenvorstände oder Presbyterien zu
wählen, denen indessen nicht auch zugleich ein fester Wirkungskreis und be¬
stimmte Befugnisse beigelegt wurden. Nur für die evangelischen Gemeinden
der Provinz Westphalen und der Rheinprovinz erschien 3. März 1833 eine
Kirchenordnung, in welcher den Gemeinden eine bedeutende Mitwirkung in
kirchlichen Angelegenheiten durch Presbyterien und Synoden, aber unter ge¬
nauer Staatsaufsicht, gestattet wird. So geschah auch in andern deutschen
Ländern für die Fortbildung der Kirchenverfassung mancherlei, noch mehres aber
wurde blos angestrebt, ohne ins Leben treten zu können, Das Haupthinderniß,
den Gemeinden Einfluß ans kirchliche Angelegenheiten zu gewähre", lag in
der Zeitphilosophie. Die hegelsche Philosophie nahm anfangs eine freundliche
Stellung gegen das kirchliche Bekenntniß an, und man hegte die Hoffnung,
sich ihrer zur Vermittlung zwischen dem Bekenntnisse und dem Gemeinde-
vewußtsein bedienen zu können. Da aber die Zeitphilosophie diese Stellung be¬
nutzen wollte, sich an die Stelle der Religion zu setzen, den geschichtlichen
Christus für mythisch, die christliche Religion für Zeitbewußtsein und die Ge¬
schichte der christlichen Kirche für eine Geschichte der menschlichen Beschränktheit
erklärte, so begann seit dem Regierungsantritte des Königs Friedrich Wilhelm IV.
von Preußen 186-0 der Standpunkt der Hervorhebung des kirchlichen Bekenne-


Held zurück. Die Scheidewand zwischen den beiden evangelischen Kirchen in
Deutschland war schon längst gefallen; es war daher wünschenswert!), daß
das Aufhören der Trennung auch förmlich ausgesprochen und die Vereinigung
auch äußerlich vollzogen würde. Dieses erfolgte zuerst in Nassau ans der
Generalsynode zu Jdstein im August 1817. Gleich darauf erließ der König
von Preußen, Friedrich Wilhelm III., den 27. September 1817 eine Aufforde¬
rung an die geistlichen Behörden der Monarchie, dahin zu wirken, daß zur
Verherrlichung des bevorstehenden Reformationsjubiläums die beiden Parteien
der evangelischen Kirche die Scheidewand, welche sie trenne, niederreißen und
sich zu einer evangelischen Kirche vereinigen möchten. Die Vereinigung der
beiden evangelischen Kirchen wurde darauf in einem großen Theile Deutsch¬
lands glücklich vollzogen. Mit der Vollziehung der Union war die Einführung
einer kirchlichen Gemeindeverfassung verbunden. Auch hierin ging Nassau vor¬
an, indem es noch im Jahre 1817 eine Synodal- und PreSbyterialversassung
einführte. An der Spitze der Landeskirche steht ein Bischof mit den Rechten
eines Generalsuperintendenten. Die preußische Negierung beabsichtigte eine Ver¬
schmelzung der Consistorial- und Synvdalverfassung, und berief daher im
Jahre 1819 in allen Provinzen Provinzialsynoden, welchen sie einen Entwurf
zu einer Synodalordnung zur Begutachtung vorlegte, Da aber die einlaufen¬
den Gutachten sehr verschieden waren, und einige eine reine Synodal-
vcrfassung verlangten, so blieb jene Einleitung ohne weiteren Erfolg, nur daß
jede Gemeinde aufgefordert wurde, Kirchenvorstände oder Presbyterien zu
wählen, denen indessen nicht auch zugleich ein fester Wirkungskreis und be¬
stimmte Befugnisse beigelegt wurden. Nur für die evangelischen Gemeinden
der Provinz Westphalen und der Rheinprovinz erschien 3. März 1833 eine
Kirchenordnung, in welcher den Gemeinden eine bedeutende Mitwirkung in
kirchlichen Angelegenheiten durch Presbyterien und Synoden, aber unter ge¬
nauer Staatsaufsicht, gestattet wird. So geschah auch in andern deutschen
Ländern für die Fortbildung der Kirchenverfassung mancherlei, noch mehres aber
wurde blos angestrebt, ohne ins Leben treten zu können, Das Haupthinderniß,
den Gemeinden Einfluß ans kirchliche Angelegenheiten zu gewähre», lag in
der Zeitphilosophie. Die hegelsche Philosophie nahm anfangs eine freundliche
Stellung gegen das kirchliche Bekenntniß an, und man hegte die Hoffnung,
sich ihrer zur Vermittlung zwischen dem Bekenntnisse und dem Gemeinde-
vewußtsein bedienen zu können. Da aber die Zeitphilosophie diese Stellung be¬
nutzen wollte, sich an die Stelle der Religion zu setzen, den geschichtlichen
Christus für mythisch, die christliche Religion für Zeitbewußtsein und die Ge¬
schichte der christlichen Kirche für eine Geschichte der menschlichen Beschränktheit
erklärte, so begann seit dem Regierungsantritte des Königs Friedrich Wilhelm IV.
von Preußen 186-0 der Standpunkt der Hervorhebung des kirchlichen Bekenne-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99919/60>, abgerufen am 22.07.2024.