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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band.

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hineinzugehen, in dem, wie sie meinten, der Löwe todt liege. Vergebens
stellte ich ihnen vor, er lebe noch, wir würden ihn nicht sehen können, ehe er
einen von uns packe, und einer von uns sei gewiß verloren, wenn wir schon
jetzt hineingingen, während ich dafür bürge, daß wir ihn am nächsten Tage todt
finden würden. Die Leute legten ohne weiteres ihre Burnusse ab und forder¬
ten mich auf, mich darauf zu setzen und zu warten.

Zwei Minuten später hatte ich die Kleidungsstücke abgelegt, die mir
hätten hinderlich sein können, Amar meine Büchse, einem andern zwei Pisto¬
len und meinem Spahi ein Gewehr gegeben, das er mir geladen nachtragen sollte.
Dann empfahl ich den Leuten, sich dicht neben mir zu halten und trat mit
ihnen und Rotenburg, der durchaus nicht zurückbleiben wollte, in das Dickicht
hinein. Nach -13 Schritten trafen wir eine kleine Lichtung, wo jede Blut¬
spur verschwunden war. Die Nacht brach ein; es war bereits schwer, die
Fährte des Thieres zu sehen und unser Suchen wurde immer gefährlicher, da
wir nach einigen Minuten gewiß gar nichts mehr sahen. Um keine Zeit zu
verlieren, suchte jeder nach den Blutspuren, die wir verloren hatten, ohne in¬
deß die Lichtung zu verlassen. Mit einem Male ging das Gewehr eines Arabers
mitten unter uns aus Unvorsichtigkeit los; es geschah uns zwar kein Schaden,
aber der Löwe brüllte nur einige Schritte vor uns und alle meine Leute
drängten sich um mich, Amar ausgenommen, der aus Unerfahrenheit oder
Selbstvertrauen sechs Schritte von uns an einen Baum sich gelehnt hatte.

Kaum hatte der Löwe mit starrender Mähne und weitaufgerissenem Rachen
am Rande der Lichtung sich gezeigt, so knallten acht Schüsse auss Gerathewohl
ihm entgegen, ohne ihn zu treffen. Ehe der Rauch von dem nutzlos verbrann¬
ten Pulver sich verzogen hatte, war Amar, der auch nach dem Löwen ge¬
schossen, niedergeworfen, sein Gewehr zerbrochen, sein rechter Schenkel zer¬
malmt und als ich ihm zu Hilfe eilte, sah ich seinen Kopf bereits in dem
Nachen des Löwen, auf den ich meine Büchse ganz in der Nähe richtete, ohne
daß er sein Opfer losließ. Da ich für den Kopf des Arabers fürchtete, wenn
ich nach dem Löwen schösse, wählte ich das Herz zum Zielpunkte und gab
Feuer.

Amar wurde frei und rollte zu meinen Füßen, die er so ungestüm um¬
klammerte, daß er mich fast umriß, der Löwe aber lehnte an den Zweigen, die
unter seiner Last brachen und fiel noch nicht.

Ich zielte ihm nach den Schläfen und drückte los; der Schuß versagte.
Zum ersten Male seit zehn Jahren ging mein Gewehr nicht los und der Löwe
stand noch immer da, zerbiß und zerriß die Aeste, die er erreichen konnte,
brüllte und wand sich in Todeskrämpfen einen Schritt von mir und fast auf
Amar, der wie ein Besessener schrie. Alle meine Leute waren herbeigekommen
und schwangen die Säbel oder hatten die Gewehre vorn an dem Laufe gefaßt,


hineinzugehen, in dem, wie sie meinten, der Löwe todt liege. Vergebens
stellte ich ihnen vor, er lebe noch, wir würden ihn nicht sehen können, ehe er
einen von uns packe, und einer von uns sei gewiß verloren, wenn wir schon
jetzt hineingingen, während ich dafür bürge, daß wir ihn am nächsten Tage todt
finden würden. Die Leute legten ohne weiteres ihre Burnusse ab und forder¬
ten mich auf, mich darauf zu setzen und zu warten.

Zwei Minuten später hatte ich die Kleidungsstücke abgelegt, die mir
hätten hinderlich sein können, Amar meine Büchse, einem andern zwei Pisto¬
len und meinem Spahi ein Gewehr gegeben, das er mir geladen nachtragen sollte.
Dann empfahl ich den Leuten, sich dicht neben mir zu halten und trat mit
ihnen und Rotenburg, der durchaus nicht zurückbleiben wollte, in das Dickicht
hinein. Nach -13 Schritten trafen wir eine kleine Lichtung, wo jede Blut¬
spur verschwunden war. Die Nacht brach ein; es war bereits schwer, die
Fährte des Thieres zu sehen und unser Suchen wurde immer gefährlicher, da
wir nach einigen Minuten gewiß gar nichts mehr sahen. Um keine Zeit zu
verlieren, suchte jeder nach den Blutspuren, die wir verloren hatten, ohne in¬
deß die Lichtung zu verlassen. Mit einem Male ging das Gewehr eines Arabers
mitten unter uns aus Unvorsichtigkeit los; es geschah uns zwar kein Schaden,
aber der Löwe brüllte nur einige Schritte vor uns und alle meine Leute
drängten sich um mich, Amar ausgenommen, der aus Unerfahrenheit oder
Selbstvertrauen sechs Schritte von uns an einen Baum sich gelehnt hatte.

Kaum hatte der Löwe mit starrender Mähne und weitaufgerissenem Rachen
am Rande der Lichtung sich gezeigt, so knallten acht Schüsse auss Gerathewohl
ihm entgegen, ohne ihn zu treffen. Ehe der Rauch von dem nutzlos verbrann¬
ten Pulver sich verzogen hatte, war Amar, der auch nach dem Löwen ge¬
schossen, niedergeworfen, sein Gewehr zerbrochen, sein rechter Schenkel zer¬
malmt und als ich ihm zu Hilfe eilte, sah ich seinen Kopf bereits in dem
Nachen des Löwen, auf den ich meine Büchse ganz in der Nähe richtete, ohne
daß er sein Opfer losließ. Da ich für den Kopf des Arabers fürchtete, wenn
ich nach dem Löwen schösse, wählte ich das Herz zum Zielpunkte und gab
Feuer.

Amar wurde frei und rollte zu meinen Füßen, die er so ungestüm um¬
klammerte, daß er mich fast umriß, der Löwe aber lehnte an den Zweigen, die
unter seiner Last brachen und fiel noch nicht.

Ich zielte ihm nach den Schläfen und drückte los; der Schuß versagte.
Zum ersten Male seit zehn Jahren ging mein Gewehr nicht los und der Löwe
stand noch immer da, zerbiß und zerriß die Aeste, die er erreichen konnte,
brüllte und wand sich in Todeskrämpfen einen Schritt von mir und fast auf
Amar, der wie ein Besessener schrie. Alle meine Leute waren herbeigekommen
und schwangen die Säbel oder hatten die Gewehre vorn an dem Laufe gefaßt,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99919/431>, abgerufen am 22.07.2024.