Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band.schien bei sich zu denken: "ich habe eben in dieser Lichtung mehre Menschen Die Sache wurde zu ernsthaft; es war Zeit ein Ende zu machen. Ich Während ich meine Büchse wieder lud, waren meine Leute herbeigekom¬ schien bei sich zu denken: „ich habe eben in dieser Lichtung mehre Menschen Die Sache wurde zu ernsthaft; es war Zeit ein Ende zu machen. Ich Während ich meine Büchse wieder lud, waren meine Leute herbeigekom¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0430" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/100350"/> <p xml:id="ID_1229" prev="#ID_1228"> schien bei sich zu denken: „ich habe eben in dieser Lichtung mehre Menschen<lb/> und eine Ziege gesehen, die Menschen sind sort und die Ziege ist allein zurück¬<lb/> geblieben; ich komme an und finde neben ihr einen Mann, der blau und roth<lb/> gekleidet ist, wie ich noch keinen gesehen habe, der bei meiner Annäherung<lb/> auch nicht flieht und mich fest ansieht." Bisweilen, während das Abenddunkel<lb/> dichter und dichter wurde, schien er weiter zu denken: „was hol ich mir zum<lb/> Abendessen, die Ziege oder den Rothen? Das Schaf von gestern war besser<lb/> als diese Ziege da, aber es ist weit zu den Schafen. Die rothen Menschen<lb/> sind im Allgemeinen vielleicht auch gut, der da aber sieht recht dürr aus."<lb/> Diese letzte Rücksicht schien seine Wahl bestimmt zu haben, denn er stand ent¬<lb/> schlossen auf und ging drei Schritte nach der Ziege hin. Mit dem Gewehr<lb/> am Backen und dem Finger am Drücker folgte ich allen seinen Bewegungen,<lb/> um im rechten Augenblicke Feuer geben zu können. Zweimal schickte er sich<lb/> an, auf die Ziege sich zu stürzen, indem er sich katzenartig duckte. Ich ver¬<lb/> muthete, daß der Strick, mit welchem die Ziege angebunden, ihn beunruhige<lb/> und ich zweifelte, daß er einen Hinterhalt fürchte, als ich ihn unruhig am<lb/> Rande der Lichtung hin- und hergehen und beim Stehenbleiben mir die Zähne<lb/> zeigen sah.</p><lb/> <p xml:id="ID_1230"> Die Sache wurde zu ernsthaft; es war Zeit ein Ende zu machen. Ich<lb/> benutzte also den Augenblick, als er mir am Rande der Schlucht, in einer<lb/> Entfernung von 12 Schritten, die Seite zukehrte und schickte eine erste Kugel<lb/> mitten auf die Schulter, gleich darauf und während er sich brüllend krümmte<lb/> eine zweite von der Schulter in den Leib. Er war von den beiden Kugeln<lb/> mit Eisenspitzen durchbohrt und rollte wie eine Lawine in die Schlucht<lb/> hinunter.</p><lb/> <p xml:id="ID_1231" next="#ID_1232"> Während ich meine Büchse wieder lud, waren meine Leute herbeigekom¬<lb/> men. Mit ihnen ging ich an die Stelle, wo ich den Löwen getroffen hatte.<lb/> Die Leute zweifelten nicht, daß er todt sei und liefen auf die Höhen, um andere<lb/> herbeizurufen, damit sie den Erlegten mit forttrugen. Ich meinestheils folgte<lb/> den Blutspuren in der Schlucht, wo der Löwe mehre Male gefallen war und<lb/> sah, daß er in ein dunkles, dichtes, fast undurchdringliches Gebüsch gegangen.<lb/> Um sogleich zu wissen, was ich zu thun habe, warf ich einen Stein in das<lb/> Dickicht hinein und von etwa 20 Schritten her antwortete ein tiefes, bald<lb/> klagendes, bald drohendes Gebrüll. Bei diesem Brüllen erstarrte mir das Blut,<lb/> denn ich dachte an daS Brüllen des Löwen von Meschez-Amar, der in ganz<lb/> ähnlicher Lage vor sechs Jahren vor meinen Augen und trotz meiner Kugeln<lb/> meinen Spahi Nossain und zwei Araber verstümmelte. Ich kniete am Saume<lb/> des Dickichts und bemühte mich vergebens hineinzusehen. Schon wollte ich<lb/> mich entfernen, als mein Spahi, meine beiden Kundschafter und vier be¬<lb/> waffnete Araber zu mir kamen. Mit Mühe hielt ich sie ab, in das Dickicht</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0430]
schien bei sich zu denken: „ich habe eben in dieser Lichtung mehre Menschen
und eine Ziege gesehen, die Menschen sind sort und die Ziege ist allein zurück¬
geblieben; ich komme an und finde neben ihr einen Mann, der blau und roth
gekleidet ist, wie ich noch keinen gesehen habe, der bei meiner Annäherung
auch nicht flieht und mich fest ansieht." Bisweilen, während das Abenddunkel
dichter und dichter wurde, schien er weiter zu denken: „was hol ich mir zum
Abendessen, die Ziege oder den Rothen? Das Schaf von gestern war besser
als diese Ziege da, aber es ist weit zu den Schafen. Die rothen Menschen
sind im Allgemeinen vielleicht auch gut, der da aber sieht recht dürr aus."
Diese letzte Rücksicht schien seine Wahl bestimmt zu haben, denn er stand ent¬
schlossen auf und ging drei Schritte nach der Ziege hin. Mit dem Gewehr
am Backen und dem Finger am Drücker folgte ich allen seinen Bewegungen,
um im rechten Augenblicke Feuer geben zu können. Zweimal schickte er sich
an, auf die Ziege sich zu stürzen, indem er sich katzenartig duckte. Ich ver¬
muthete, daß der Strick, mit welchem die Ziege angebunden, ihn beunruhige
und ich zweifelte, daß er einen Hinterhalt fürchte, als ich ihn unruhig am
Rande der Lichtung hin- und hergehen und beim Stehenbleiben mir die Zähne
zeigen sah.
Die Sache wurde zu ernsthaft; es war Zeit ein Ende zu machen. Ich
benutzte also den Augenblick, als er mir am Rande der Schlucht, in einer
Entfernung von 12 Schritten, die Seite zukehrte und schickte eine erste Kugel
mitten auf die Schulter, gleich darauf und während er sich brüllend krümmte
eine zweite von der Schulter in den Leib. Er war von den beiden Kugeln
mit Eisenspitzen durchbohrt und rollte wie eine Lawine in die Schlucht
hinunter.
Während ich meine Büchse wieder lud, waren meine Leute herbeigekom¬
men. Mit ihnen ging ich an die Stelle, wo ich den Löwen getroffen hatte.
Die Leute zweifelten nicht, daß er todt sei und liefen auf die Höhen, um andere
herbeizurufen, damit sie den Erlegten mit forttrugen. Ich meinestheils folgte
den Blutspuren in der Schlucht, wo der Löwe mehre Male gefallen war und
sah, daß er in ein dunkles, dichtes, fast undurchdringliches Gebüsch gegangen.
Um sogleich zu wissen, was ich zu thun habe, warf ich einen Stein in das
Dickicht hinein und von etwa 20 Schritten her antwortete ein tiefes, bald
klagendes, bald drohendes Gebrüll. Bei diesem Brüllen erstarrte mir das Blut,
denn ich dachte an daS Brüllen des Löwen von Meschez-Amar, der in ganz
ähnlicher Lage vor sechs Jahren vor meinen Augen und trotz meiner Kugeln
meinen Spahi Nossain und zwei Araber verstümmelte. Ich kniete am Saume
des Dickichts und bemühte mich vergebens hineinzusehen. Schon wollte ich
mich entfernen, als mein Spahi, meine beiden Kundschafter und vier be¬
waffnete Araber zu mir kamen. Mit Mühe hielt ich sie ab, in das Dickicht
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |