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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band.

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zuschieben, und so treten denn die vorhergehenden Scenen von neuem wieder
auf. Die einzelnen Scenen sind nach keinem andern Gesichtspunkt gruppirt,
als daß sie stets den stärksten Contrast zueinander bilden sollen; oder viel¬
mehr, sie sind nach Belieben durcheinandergeworfen, und das künstlerische
Princip ist die unbändigste Willkür: aber wohl gemerkt, eine Willkür, die nicht
naturwüchsig aus der Einbildungskraft des Dichters hervorgeht, wie z. B. im
Atta Troll, sondern die mit Absicht und Reflexion verbunden ist. Die einzelnen
Eingebungen drängen sich nicht mit unmittelbarer Macht hervor, um der Regel
und des Gesetzes zu spotten, sondern sie werden künstlich hervorgesucht, um
den Widerspruch, den Zweck des Dichters, hervorzubringen. Dazu dienen auch
die Einmischungen von sprechenden Katzen und Hunden, vom Satan, von
Zauberern u. f. w. Alle diese excentrischen Personen treten nicht als
lebendige Wesen auf, die für sich eine poetische Existenz in Anspruch nehmen
dürften, sondern nur als Arabesken, um das Gesetz des Contrastes zu versinn-
lichen.

In dieser Satire gegen den Geist des Zeitalters ist alles zusammengehäuft, was
die Romantik an der Ausklärung, an der Philanthropie und dem Rationalismus
auszusetzen hatte: das Nützlichkeilsprincip, die Hervorhebung der praktischen Zwecke
über das Spiel der Kunst, der verbildete classische Geschmack, der praktische Idealis¬
mus u. s. w. -- Hier werden wir nun sowol die Verwandtschaft zwischen der
romantischen Kunst und dem transscendentalen Idealismus gewahr, als ihren
Gegensatz. Einen sehr großen Theil der satirischen Bilder, durch welche Tieck
das Streben des Zeitalters lächerlich zu machen sucht, finden wir in Fichtes
Grundzügen wieder. Aber Tieck verspottet seine Zeitgenossen, weil sie über¬
haupt Ernst machen, anstatt in müßiger Poesie zu schwelgen; Fichte verdammt
sie, weil sie nicht Ernst genug machen, weil sie auf halbem Wege stehen bleiben
und mit ihren Idealen nur spielen, anstatt ihr Leben daran zu setzen. Ferner
betrachtet Fichte die Literatur nur als ein einzelnes Symptom von den prakti¬
schen Tendenzen des Zeitalters; bei Tieck ist sie die Hauptsache, und wenn
man von einzelnen sehr unschuldigen Späßen über das Hofleben, den Kammer¬
herrndienst und dergleichen absieht, so sind die meisten satirischen Einfälle nichts
Anderes als verhaltene Recensionen über schlechte Bücher. Damals, wo diese
Bücher allgemein gelesen und bekannt waren, freute man sich über diese Satire
des Dichters, der sich damit begnügte, auf seine Ueberzeugung von der Werth-
losigkeit derselben hinzudeuten; heute, wo man die Anspielungen nicht mehr
versteht, müssen sie nothwendig Langeweile erregen, weil sie ohne allen selbst-
siändigen Gehalt sind.

Dieser prosaischen, spießbürgerlichen Welt, die das Leben und die Literatur
beherrscht, erscheinen nun die strebsamen und poetischen Gemüther, weil sie der
Gewöhnlichkeit widerstreben, als verrückt. Charakteristisch sind die Nepmscn-


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zuschieben, und so treten denn die vorhergehenden Scenen von neuem wieder
auf. Die einzelnen Scenen sind nach keinem andern Gesichtspunkt gruppirt,
als daß sie stets den stärksten Contrast zueinander bilden sollen; oder viel¬
mehr, sie sind nach Belieben durcheinandergeworfen, und das künstlerische
Princip ist die unbändigste Willkür: aber wohl gemerkt, eine Willkür, die nicht
naturwüchsig aus der Einbildungskraft des Dichters hervorgeht, wie z. B. im
Atta Troll, sondern die mit Absicht und Reflexion verbunden ist. Die einzelnen
Eingebungen drängen sich nicht mit unmittelbarer Macht hervor, um der Regel
und des Gesetzes zu spotten, sondern sie werden künstlich hervorgesucht, um
den Widerspruch, den Zweck des Dichters, hervorzubringen. Dazu dienen auch
die Einmischungen von sprechenden Katzen und Hunden, vom Satan, von
Zauberern u. f. w. Alle diese excentrischen Personen treten nicht als
lebendige Wesen auf, die für sich eine poetische Existenz in Anspruch nehmen
dürften, sondern nur als Arabesken, um das Gesetz des Contrastes zu versinn-
lichen.

In dieser Satire gegen den Geist des Zeitalters ist alles zusammengehäuft, was
die Romantik an der Ausklärung, an der Philanthropie und dem Rationalismus
auszusetzen hatte: das Nützlichkeilsprincip, die Hervorhebung der praktischen Zwecke
über das Spiel der Kunst, der verbildete classische Geschmack, der praktische Idealis¬
mus u. s. w. — Hier werden wir nun sowol die Verwandtschaft zwischen der
romantischen Kunst und dem transscendentalen Idealismus gewahr, als ihren
Gegensatz. Einen sehr großen Theil der satirischen Bilder, durch welche Tieck
das Streben des Zeitalters lächerlich zu machen sucht, finden wir in Fichtes
Grundzügen wieder. Aber Tieck verspottet seine Zeitgenossen, weil sie über¬
haupt Ernst machen, anstatt in müßiger Poesie zu schwelgen; Fichte verdammt
sie, weil sie nicht Ernst genug machen, weil sie auf halbem Wege stehen bleiben
und mit ihren Idealen nur spielen, anstatt ihr Leben daran zu setzen. Ferner
betrachtet Fichte die Literatur nur als ein einzelnes Symptom von den prakti¬
schen Tendenzen des Zeitalters; bei Tieck ist sie die Hauptsache, und wenn
man von einzelnen sehr unschuldigen Späßen über das Hofleben, den Kammer¬
herrndienst und dergleichen absieht, so sind die meisten satirischen Einfälle nichts
Anderes als verhaltene Recensionen über schlechte Bücher. Damals, wo diese
Bücher allgemein gelesen und bekannt waren, freute man sich über diese Satire
des Dichters, der sich damit begnügte, auf seine Ueberzeugung von der Werth-
losigkeit derselben hinzudeuten; heute, wo man die Anspielungen nicht mehr
versteht, müssen sie nothwendig Langeweile erregen, weil sie ohne allen selbst-
siändigen Gehalt sind.

Dieser prosaischen, spießbürgerlichen Welt, die das Leben und die Literatur
beherrscht, erscheinen nun die strebsamen und poetischen Gemüther, weil sie der
Gewöhnlichkeit widerstreben, als verrückt. Charakteristisch sind die Nepmscn-


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[0347] zuschieben, und so treten denn die vorhergehenden Scenen von neuem wieder auf. Die einzelnen Scenen sind nach keinem andern Gesichtspunkt gruppirt, als daß sie stets den stärksten Contrast zueinander bilden sollen; oder viel¬ mehr, sie sind nach Belieben durcheinandergeworfen, und das künstlerische Princip ist die unbändigste Willkür: aber wohl gemerkt, eine Willkür, die nicht naturwüchsig aus der Einbildungskraft des Dichters hervorgeht, wie z. B. im Atta Troll, sondern die mit Absicht und Reflexion verbunden ist. Die einzelnen Eingebungen drängen sich nicht mit unmittelbarer Macht hervor, um der Regel und des Gesetzes zu spotten, sondern sie werden künstlich hervorgesucht, um den Widerspruch, den Zweck des Dichters, hervorzubringen. Dazu dienen auch die Einmischungen von sprechenden Katzen und Hunden, vom Satan, von Zauberern u. f. w. Alle diese excentrischen Personen treten nicht als lebendige Wesen auf, die für sich eine poetische Existenz in Anspruch nehmen dürften, sondern nur als Arabesken, um das Gesetz des Contrastes zu versinn- lichen. In dieser Satire gegen den Geist des Zeitalters ist alles zusammengehäuft, was die Romantik an der Ausklärung, an der Philanthropie und dem Rationalismus auszusetzen hatte: das Nützlichkeilsprincip, die Hervorhebung der praktischen Zwecke über das Spiel der Kunst, der verbildete classische Geschmack, der praktische Idealis¬ mus u. s. w. — Hier werden wir nun sowol die Verwandtschaft zwischen der romantischen Kunst und dem transscendentalen Idealismus gewahr, als ihren Gegensatz. Einen sehr großen Theil der satirischen Bilder, durch welche Tieck das Streben des Zeitalters lächerlich zu machen sucht, finden wir in Fichtes Grundzügen wieder. Aber Tieck verspottet seine Zeitgenossen, weil sie über¬ haupt Ernst machen, anstatt in müßiger Poesie zu schwelgen; Fichte verdammt sie, weil sie nicht Ernst genug machen, weil sie auf halbem Wege stehen bleiben und mit ihren Idealen nur spielen, anstatt ihr Leben daran zu setzen. Ferner betrachtet Fichte die Literatur nur als ein einzelnes Symptom von den prakti¬ schen Tendenzen des Zeitalters; bei Tieck ist sie die Hauptsache, und wenn man von einzelnen sehr unschuldigen Späßen über das Hofleben, den Kammer¬ herrndienst und dergleichen absieht, so sind die meisten satirischen Einfälle nichts Anderes als verhaltene Recensionen über schlechte Bücher. Damals, wo diese Bücher allgemein gelesen und bekannt waren, freute man sich über diese Satire des Dichters, der sich damit begnügte, auf seine Ueberzeugung von der Werth- losigkeit derselben hinzudeuten; heute, wo man die Anspielungen nicht mehr versteht, müssen sie nothwendig Langeweile erregen, weil sie ohne allen selbst- siändigen Gehalt sind. Dieser prosaischen, spießbürgerlichen Welt, die das Leben und die Literatur beherrscht, erscheinen nun die strebsamen und poetischen Gemüther, weil sie der Gewöhnlichkeit widerstreben, als verrückt. Charakteristisch sind die Nepmscn- 43"

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99919/347>, abgerufen am 22.07.2024.