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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band.

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lauten des Ideals: der Hanswurst, der alte König, der kindisch geworden ist,
mit Bleisoldaten spielt und sich unter ihnen "Ideale" bildet, und der Prinz
Zerbino, eine krankhaft aufgeregte Natur, welche Tieck -- aus dem "Triumph
der Empfindsamkeit" entlehnt hat. Die prosaische Welt bemüht sich, diese
excentrischen Personen zu curiren, und am Prinzen gelingt die Cur zuletzt, er
wird "ein hoffnungsvoller junger Mensch". -- Auch hier werden wir an Fichte
erinnert. Der Philosoph weist nach, daß die Menschen, in denen die Idee
zuerst zum Durchbruch kommt, der Welt als Thoren und Schwärmer erscheinen
müssen; aber während er die Schwärmerei nur als eine krankhafte Uebergangs¬
periode betrachtet, bleibt der Dichter bei diesem Zustand der Willkür stehen und
feiert den Wahnsinn als das Ziel der Poesie. ,

Für den Inhalt der Schwärmereien bot sich nun der transscendentale
Idealismus, welcher der öffentlichen Meinung spottete und das sogenannte Ge¬
setz der Wirklichkeit in Frage stellte, als eine bequeme Handhabe. Schon im
"Blaubart" hatte der verrückte Philosoph Simon seinen Mitspielern durch An¬
spielungen aus der Wissenschaftslehre imponirt; in dem gegenwärtigen Strick
wetteifern Hanswurst, Zerbino und der schwachsinnige alte König, die Wirk¬
lichkeit in das Reich' der Ideale oder der Träume aufzulösen. Was dem Philo¬
sophen heiliger Ernst ist, wendet der Dichter als phantastischen Spuk an, um
die Philister zu ärgern; im Grunde denkt er über die metaphysischen Abstrac-
tionen grade so, wie die Aufklärer, die er verspottet.

Nun genügt es aber dem Dichter keineswegs, die Uebergangsstufe aus der
gemeinen Wirklichkeit zum Ideal zu schildern, er vertieft sich in das innere
Heiligthum der Poesie; theils stellt er die Romantik dadurch dar, daß er Weise
und Thoren durch Zauberspuk in die tollste Verwirrung bringt, wie im
"Sommernachtstraum" u. s. w.; theils bringt er eine Reihe poetischer Schäfer
an, die grade soviel Raum einnehmen, als die prosaischen Figuren, die in
Reimen zueinander sprechen, Liebe empfinden und Lieder aus die Sehnsucht
singen. Wäre nun Sentimentalität gleichbedeutend mit Poesie, so wären wir
hier im reinsten Wunderland der Ideale; allein da diese Schäfer mit ihren
Declamationen über die Waldeinsamkeit, über die Vöglein und Blumen u. s. w-
nicht die geringste Bewegung und keine Spur von Leben zeigen, so merken wir
sehr bald, daß wir uns in -- "Erwin und Elmire" befinden, nur daß Tieck
breit und massenhaft ausführt, was Goethe leise und zart andeutet. Einzelne
Lieder, die diese Schäfer in Nocococostüm an den Mann bringen, z. B. "Feld-
einwärts flog ein Vögelein", "Komme, Trost der Nacht, o Nachtigall", "der
frische Morgenwind" u. s. w., in denen Reminiscenzen an deutsche Volkslieder
durchklingen, haben eine recht schöne Melodie; allein im Ganzen wird matt
doch durch das beständige stofflose Schmachten, Trachten, Thränen, Sehnen
u. s. w., kurz durch die leere Empfindelei ermüdet. -- Der höchste Gipfel der


lauten des Ideals: der Hanswurst, der alte König, der kindisch geworden ist,
mit Bleisoldaten spielt und sich unter ihnen „Ideale" bildet, und der Prinz
Zerbino, eine krankhaft aufgeregte Natur, welche Tieck — aus dem „Triumph
der Empfindsamkeit" entlehnt hat. Die prosaische Welt bemüht sich, diese
excentrischen Personen zu curiren, und am Prinzen gelingt die Cur zuletzt, er
wird „ein hoffnungsvoller junger Mensch". — Auch hier werden wir an Fichte
erinnert. Der Philosoph weist nach, daß die Menschen, in denen die Idee
zuerst zum Durchbruch kommt, der Welt als Thoren und Schwärmer erscheinen
müssen; aber während er die Schwärmerei nur als eine krankhafte Uebergangs¬
periode betrachtet, bleibt der Dichter bei diesem Zustand der Willkür stehen und
feiert den Wahnsinn als das Ziel der Poesie. ,

Für den Inhalt der Schwärmereien bot sich nun der transscendentale
Idealismus, welcher der öffentlichen Meinung spottete und das sogenannte Ge¬
setz der Wirklichkeit in Frage stellte, als eine bequeme Handhabe. Schon im
„Blaubart" hatte der verrückte Philosoph Simon seinen Mitspielern durch An¬
spielungen aus der Wissenschaftslehre imponirt; in dem gegenwärtigen Strick
wetteifern Hanswurst, Zerbino und der schwachsinnige alte König, die Wirk¬
lichkeit in das Reich' der Ideale oder der Träume aufzulösen. Was dem Philo¬
sophen heiliger Ernst ist, wendet der Dichter als phantastischen Spuk an, um
die Philister zu ärgern; im Grunde denkt er über die metaphysischen Abstrac-
tionen grade so, wie die Aufklärer, die er verspottet.

Nun genügt es aber dem Dichter keineswegs, die Uebergangsstufe aus der
gemeinen Wirklichkeit zum Ideal zu schildern, er vertieft sich in das innere
Heiligthum der Poesie; theils stellt er die Romantik dadurch dar, daß er Weise
und Thoren durch Zauberspuk in die tollste Verwirrung bringt, wie im
„Sommernachtstraum" u. s. w.; theils bringt er eine Reihe poetischer Schäfer
an, die grade soviel Raum einnehmen, als die prosaischen Figuren, die in
Reimen zueinander sprechen, Liebe empfinden und Lieder aus die Sehnsucht
singen. Wäre nun Sentimentalität gleichbedeutend mit Poesie, so wären wir
hier im reinsten Wunderland der Ideale; allein da diese Schäfer mit ihren
Declamationen über die Waldeinsamkeit, über die Vöglein und Blumen u. s. w-
nicht die geringste Bewegung und keine Spur von Leben zeigen, so merken wir
sehr bald, daß wir uns in — „Erwin und Elmire" befinden, nur daß Tieck
breit und massenhaft ausführt, was Goethe leise und zart andeutet. Einzelne
Lieder, die diese Schäfer in Nocococostüm an den Mann bringen, z. B. „Feld-
einwärts flog ein Vögelein", „Komme, Trost der Nacht, o Nachtigall", „der
frische Morgenwind" u. s. w., in denen Reminiscenzen an deutsche Volkslieder
durchklingen, haben eine recht schöne Melodie; allein im Ganzen wird matt
doch durch das beständige stofflose Schmachten, Trachten, Thränen, Sehnen
u. s. w., kurz durch die leere Empfindelei ermüdet. — Der höchste Gipfel der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99919/348>, abgerufen am 22.12.2024.