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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band.

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der die Zuschauer anredet: "Sie werden hier ein Stück sehen u. s. w.?"--
Die handelnden Personen sprechen bald in ihrer Rolle, bald als Schauspieler;
das ist noch nicht genug: auch die dargestellten Rollen sind etwas Anderes,
als wofür sie sich ausgeben. So wird z. B. Apoll und die neun Musen dar¬
gestellt; die Musen sind Grisetten, und sie werden dargestellt von Frauen¬
zimmern, die weder Grisetten noch Musen sind. Das Publicum selbst tritt im
Schauspiel auf; in diesem Schauspiel wird wieder ein anderes Schauspiel aus¬
geführt, in diesem andern Schauspiel ein drittes und darin noch ein viertes.
Dieser ungeheure Apparat, um einen doch nur sehr dürftigen Scherz hervor¬
zubringen, macht einen höchst unbehaglichen Eindruck.

Das Positive in diesen aristophanischen Lustspielen ist der Krieg gegen den
Idealismus in allen Formen, gegen den Ernst überhaupt, oder wenn man will, die
Apologie des durch Gottsched verbannten Hanswurst. Hanswurst soll wieder der
Apollo des Theaters werden und Colombine seine Muse. Das Vorbild, welches
dem Dichter vorgeschwebt, ist Goethes "Triumph der Empfindsamkeit", jene Ver¬
spottung eines falschen Idealismus, an dessen Ursprung sich Goethe mitschuldig
fühlte. Schon im "Triumph der Empfindsamkeit" ist bei der vortrefflichen Anlage
die Ausführung mittelmäßig, und die Einmischung eines ernsthaft gemeinten Mono-
drams als Contrast gegen die Caricaturen hat der Dichter selbst später als
einen Frevel empfunden. Tieck hat sich durch diese Erkenntniß nicht von einem
zweiten Versuch derselben Art abhalten lassen.

Die Elemente, die in den Volksmärchen zerstreut sind, hat der Dichter
in dem Drama: Prinz Zerbino, oder die Reise nach dem guten Ge¬
schmack, gewissermaßen eine Fortsetzung des gestiefelten Katers
(1799), aristophanisch zu krystallisiren gestrebt. Das Stück hat noch in unsern
Tagen zahlreiche Bewunderer, obgleich der Geschmack wesentlich eine andere
Richtung genommen hat. Wenn diese Bewunderung zum Theil sich auf den
innern Werth einzelner Stellen bezieht^ auf die treffenden Witze und ansprechenden
Melodien, so hat sie doch zugleich einen andern, weniger erfreulichen Grund.
Es ist die Freude einer Bildung, die ihren innern Kern verloren hat, mit
ihrem Inhalt spielen zu können, in derselben Weise, wie heutzutage die po¬
litischen Witzblätter mit dem Inhalt der modernen Ueberzeugungen spielen.

Die Methode der Composition entspricht der "verkehrten Welt". Es ist
die ausgesprochene Zwecklosigkeit, die als solche, wie es auch Schlegel in seiner
Kritik des Aristophanes ausführt, den höchsten Gipfel der echten Kunst erstiegen
zu haben glaubt. Zwar tritt dies Mal kein PublicuM auf, das der Handlung
des Stücks gegenüberstände, dafür wechseln die Figuren des Stücks selbst
beständig ihre Rollen; halv handeln sie naiv als wirkliche Personen, bald erin¬
nern sie sich daran, daß sie nur Schöpfungen der poetischen Einbildungskraft
sind. Einmal machen sie sogar den Versuch, die Mechanik deS Stücks zurück-


der die Zuschauer anredet: „Sie werden hier ein Stück sehen u. s. w.?"—
Die handelnden Personen sprechen bald in ihrer Rolle, bald als Schauspieler;
das ist noch nicht genug: auch die dargestellten Rollen sind etwas Anderes,
als wofür sie sich ausgeben. So wird z. B. Apoll und die neun Musen dar¬
gestellt; die Musen sind Grisetten, und sie werden dargestellt von Frauen¬
zimmern, die weder Grisetten noch Musen sind. Das Publicum selbst tritt im
Schauspiel auf; in diesem Schauspiel wird wieder ein anderes Schauspiel aus¬
geführt, in diesem andern Schauspiel ein drittes und darin noch ein viertes.
Dieser ungeheure Apparat, um einen doch nur sehr dürftigen Scherz hervor¬
zubringen, macht einen höchst unbehaglichen Eindruck.

Das Positive in diesen aristophanischen Lustspielen ist der Krieg gegen den
Idealismus in allen Formen, gegen den Ernst überhaupt, oder wenn man will, die
Apologie des durch Gottsched verbannten Hanswurst. Hanswurst soll wieder der
Apollo des Theaters werden und Colombine seine Muse. Das Vorbild, welches
dem Dichter vorgeschwebt, ist Goethes „Triumph der Empfindsamkeit", jene Ver¬
spottung eines falschen Idealismus, an dessen Ursprung sich Goethe mitschuldig
fühlte. Schon im „Triumph der Empfindsamkeit" ist bei der vortrefflichen Anlage
die Ausführung mittelmäßig, und die Einmischung eines ernsthaft gemeinten Mono-
drams als Contrast gegen die Caricaturen hat der Dichter selbst später als
einen Frevel empfunden. Tieck hat sich durch diese Erkenntniß nicht von einem
zweiten Versuch derselben Art abhalten lassen.

Die Elemente, die in den Volksmärchen zerstreut sind, hat der Dichter
in dem Drama: Prinz Zerbino, oder die Reise nach dem guten Ge¬
schmack, gewissermaßen eine Fortsetzung des gestiefelten Katers
(1799), aristophanisch zu krystallisiren gestrebt. Das Stück hat noch in unsern
Tagen zahlreiche Bewunderer, obgleich der Geschmack wesentlich eine andere
Richtung genommen hat. Wenn diese Bewunderung zum Theil sich auf den
innern Werth einzelner Stellen bezieht^ auf die treffenden Witze und ansprechenden
Melodien, so hat sie doch zugleich einen andern, weniger erfreulichen Grund.
Es ist die Freude einer Bildung, die ihren innern Kern verloren hat, mit
ihrem Inhalt spielen zu können, in derselben Weise, wie heutzutage die po¬
litischen Witzblätter mit dem Inhalt der modernen Ueberzeugungen spielen.

Die Methode der Composition entspricht der „verkehrten Welt". Es ist
die ausgesprochene Zwecklosigkeit, die als solche, wie es auch Schlegel in seiner
Kritik des Aristophanes ausführt, den höchsten Gipfel der echten Kunst erstiegen
zu haben glaubt. Zwar tritt dies Mal kein PublicuM auf, das der Handlung
des Stücks gegenüberstände, dafür wechseln die Figuren des Stücks selbst
beständig ihre Rollen; halv handeln sie naiv als wirkliche Personen, bald erin¬
nern sie sich daran, daß sie nur Schöpfungen der poetischen Einbildungskraft
sind. Einmal machen sie sogar den Versuch, die Mechanik deS Stücks zurück-


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[0346] der die Zuschauer anredet: „Sie werden hier ein Stück sehen u. s. w.?"— Die handelnden Personen sprechen bald in ihrer Rolle, bald als Schauspieler; das ist noch nicht genug: auch die dargestellten Rollen sind etwas Anderes, als wofür sie sich ausgeben. So wird z. B. Apoll und die neun Musen dar¬ gestellt; die Musen sind Grisetten, und sie werden dargestellt von Frauen¬ zimmern, die weder Grisetten noch Musen sind. Das Publicum selbst tritt im Schauspiel auf; in diesem Schauspiel wird wieder ein anderes Schauspiel aus¬ geführt, in diesem andern Schauspiel ein drittes und darin noch ein viertes. Dieser ungeheure Apparat, um einen doch nur sehr dürftigen Scherz hervor¬ zubringen, macht einen höchst unbehaglichen Eindruck. Das Positive in diesen aristophanischen Lustspielen ist der Krieg gegen den Idealismus in allen Formen, gegen den Ernst überhaupt, oder wenn man will, die Apologie des durch Gottsched verbannten Hanswurst. Hanswurst soll wieder der Apollo des Theaters werden und Colombine seine Muse. Das Vorbild, welches dem Dichter vorgeschwebt, ist Goethes „Triumph der Empfindsamkeit", jene Ver¬ spottung eines falschen Idealismus, an dessen Ursprung sich Goethe mitschuldig fühlte. Schon im „Triumph der Empfindsamkeit" ist bei der vortrefflichen Anlage die Ausführung mittelmäßig, und die Einmischung eines ernsthaft gemeinten Mono- drams als Contrast gegen die Caricaturen hat der Dichter selbst später als einen Frevel empfunden. Tieck hat sich durch diese Erkenntniß nicht von einem zweiten Versuch derselben Art abhalten lassen. Die Elemente, die in den Volksmärchen zerstreut sind, hat der Dichter in dem Drama: Prinz Zerbino, oder die Reise nach dem guten Ge¬ schmack, gewissermaßen eine Fortsetzung des gestiefelten Katers (1799), aristophanisch zu krystallisiren gestrebt. Das Stück hat noch in unsern Tagen zahlreiche Bewunderer, obgleich der Geschmack wesentlich eine andere Richtung genommen hat. Wenn diese Bewunderung zum Theil sich auf den innern Werth einzelner Stellen bezieht^ auf die treffenden Witze und ansprechenden Melodien, so hat sie doch zugleich einen andern, weniger erfreulichen Grund. Es ist die Freude einer Bildung, die ihren innern Kern verloren hat, mit ihrem Inhalt spielen zu können, in derselben Weise, wie heutzutage die po¬ litischen Witzblätter mit dem Inhalt der modernen Ueberzeugungen spielen. Die Methode der Composition entspricht der „verkehrten Welt". Es ist die ausgesprochene Zwecklosigkeit, die als solche, wie es auch Schlegel in seiner Kritik des Aristophanes ausführt, den höchsten Gipfel der echten Kunst erstiegen zu haben glaubt. Zwar tritt dies Mal kein PublicuM auf, das der Handlung des Stücks gegenüberstände, dafür wechseln die Figuren des Stücks selbst beständig ihre Rollen; halv handeln sie naiv als wirkliche Personen, bald erin¬ nern sie sich daran, daß sie nur Schöpfungen der poetischen Einbildungskraft sind. Einmal machen sie sogar den Versuch, die Mechanik deS Stücks zurück-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99919/346>, abgerufen am 22.07.2024.