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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band.

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ihn eine Reihe gleichartiger Handlungen einfach verrichten zu lassen. Der Dichter
muß zugleich die Stimmung in uns erregen, mit der wir diese Handlungen
aufnehmen sollen. Wenn im Puppenspiel ein beliebiger Tyrann ohne weiteres
einem Dutzend unschuldiger Leute den Kopf abschlägt, so erregt das nicht
Schrecken, sondern Gelächter, und diese Natur des Puppenspiels hat auch
die Einleitung zum Blaubart. Der blutdürstige Ritter beendet eine Fehde da¬
durch, daß er alle seine Feinde hängen läßt. Nun kann doch diese Einleitung
keinen andern Zweck haben, als uns die grausame und gewaltthätige Natur
des Helden zu versinnlichen. Tieck schildert aber seine besiegten Ritter ganz
im Stile der Shakespeareschen Narren; sie schwatzen untereinander, wie zu ihrem
Sieger das thörichtste Zeug; wir finden es ganz natürlich, daß er darüber lacht,
und der Tod jener komischen Personen macht auf uns den Eindruck eines
Schwanks. Nun soll das Ganze aber keineswegs ein Schwank sein, im Gegen¬
theil ist der Hauptinhalt des Märchens, die beabsichtigte Ermordung der Agnes,
mit allem Aufwand tragischer Schreckmittel ausgemalt. Die beiden letzten Acte
auf dem Schloß des Blaubart sind von einer echten und nicht gemeinen Poesie.
Tieck hat nicht nur das äußerliche, materielle Grauen hervorgerufen, er hat
auch mit großer psychologischer Feinheit motivirt. Dieser Theil der Handlung
ist also ganz dramatisch ausgeführt und steht in einem schreienden Contrast zu
den vorhergehenden Narrenspäßen. Wenn Shakespeare tragische und komische
Elemente durcheinandermischt, so ist darin doch keineswegs Willkür; die Grund¬
stimmung ist vielmehr stets sehr deutlich und energisch festgehalten. Niemals
ist er ironisch gegen seine eignen Gestalten; wenn er einen Bösewicht, wie
Richard til. oder Jago zuweilen sich possenhaft geberden läßt, so dient dieser
wilde Humor nur dazu, die dämonische Natur schärfer hervorzuheben; er ist
ein blutiger Hohn, den sie der Welt entgegenschleudern. Dem tragischen Dichter
ist es erlaubt, nicht blos zur weitern Motivirung des Tragischen, sondern auch
zum Contrast komische Momente anzuwenden, wenn diese nur nicht soweit
gehen, daß dadurch die Spannung der Seele aufgehoben wird; niemals aber
darf der komische Dichter zum Tragischen übergehen, denn dadurch beleidigt
er unser Gefühl. Nun überwiegt im vorliegenden Drama an Umfang das
komische Element; dagegen treten durch ihre Jntensivität die tragischen Stellen
am meisten hervor und so wird durch diese willkürliche Mischung jenes unklare
und schwankende Gefühl hervorgerufen, das uns bei den Begebenheiten der
Wirklichkeit zuweilen überfällt, dem wir aber in der Kunst entgehen wollen.--
Ein zweites Mißverständniß hängt genau damit zusammen. Tieck läßt die
glückliche Katastrophe nicht aus verständigem Plan, auch nicht aus dem Zufall
hervorgehen, sondern aus den Eingebungen eines Thoren. Der Bruder der
Agnes, Simon, hat ein Vorgefühl, daß seine Schwester in Noth ist; während
er sonst von seinen Brüdern als ein Träumer verspottet wird, ist jetzt die Leb-


ihn eine Reihe gleichartiger Handlungen einfach verrichten zu lassen. Der Dichter
muß zugleich die Stimmung in uns erregen, mit der wir diese Handlungen
aufnehmen sollen. Wenn im Puppenspiel ein beliebiger Tyrann ohne weiteres
einem Dutzend unschuldiger Leute den Kopf abschlägt, so erregt das nicht
Schrecken, sondern Gelächter, und diese Natur des Puppenspiels hat auch
die Einleitung zum Blaubart. Der blutdürstige Ritter beendet eine Fehde da¬
durch, daß er alle seine Feinde hängen läßt. Nun kann doch diese Einleitung
keinen andern Zweck haben, als uns die grausame und gewaltthätige Natur
des Helden zu versinnlichen. Tieck schildert aber seine besiegten Ritter ganz
im Stile der Shakespeareschen Narren; sie schwatzen untereinander, wie zu ihrem
Sieger das thörichtste Zeug; wir finden es ganz natürlich, daß er darüber lacht,
und der Tod jener komischen Personen macht auf uns den Eindruck eines
Schwanks. Nun soll das Ganze aber keineswegs ein Schwank sein, im Gegen¬
theil ist der Hauptinhalt des Märchens, die beabsichtigte Ermordung der Agnes,
mit allem Aufwand tragischer Schreckmittel ausgemalt. Die beiden letzten Acte
auf dem Schloß des Blaubart sind von einer echten und nicht gemeinen Poesie.
Tieck hat nicht nur das äußerliche, materielle Grauen hervorgerufen, er hat
auch mit großer psychologischer Feinheit motivirt. Dieser Theil der Handlung
ist also ganz dramatisch ausgeführt und steht in einem schreienden Contrast zu
den vorhergehenden Narrenspäßen. Wenn Shakespeare tragische und komische
Elemente durcheinandermischt, so ist darin doch keineswegs Willkür; die Grund¬
stimmung ist vielmehr stets sehr deutlich und energisch festgehalten. Niemals
ist er ironisch gegen seine eignen Gestalten; wenn er einen Bösewicht, wie
Richard til. oder Jago zuweilen sich possenhaft geberden läßt, so dient dieser
wilde Humor nur dazu, die dämonische Natur schärfer hervorzuheben; er ist
ein blutiger Hohn, den sie der Welt entgegenschleudern. Dem tragischen Dichter
ist es erlaubt, nicht blos zur weitern Motivirung des Tragischen, sondern auch
zum Contrast komische Momente anzuwenden, wenn diese nur nicht soweit
gehen, daß dadurch die Spannung der Seele aufgehoben wird; niemals aber
darf der komische Dichter zum Tragischen übergehen, denn dadurch beleidigt
er unser Gefühl. Nun überwiegt im vorliegenden Drama an Umfang das
komische Element; dagegen treten durch ihre Jntensivität die tragischen Stellen
am meisten hervor und so wird durch diese willkürliche Mischung jenes unklare
und schwankende Gefühl hervorgerufen, das uns bei den Begebenheiten der
Wirklichkeit zuweilen überfällt, dem wir aber in der Kunst entgehen wollen.—
Ein zweites Mißverständniß hängt genau damit zusammen. Tieck läßt die
glückliche Katastrophe nicht aus verständigem Plan, auch nicht aus dem Zufall
hervorgehen, sondern aus den Eingebungen eines Thoren. Der Bruder der
Agnes, Simon, hat ein Vorgefühl, daß seine Schwester in Noth ist; während
er sonst von seinen Brüdern als ein Träumer verspottet wird, ist jetzt die Leb-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99919/342>, abgerufen am 22.12.2024.