Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

zuknüpfen, und so fällt man der Macht der schwarzen Magie in die Hände.
Bei Tieck ist überall die Wirkung auf ein Moment des Schauders, des
Grauens vor den feindseligen Mächten der Natur berechnet, was bei der Ab¬
wesenheit alles sittlichen und gemüthlichen Inhalts auf dieselbe Speculation
hinauskommt, die wir bei den Mysteriendichtern so entschieden verwerfen.

Schon die Bearbeitung der Sage vom Venusberg genügt, das Verhält¬
niß Tiecks zu seinen Stoffen zu bezeichnen. Er hat die Sage vom getreuen
Eckart und vom Rattenfänger zu Hameln in einem halb aus Romanzen, halb
aus Prosa zusammengesetzten Vorspiel verschmolzen, in einem Ton, dessen alt¬
fränkische Treuherzigkeit etwas gemacht aussieht. Mit dem Auftreten des Tann¬
häuser beginnt die eigentliche Erzählung. Der Tannhäuser ist seineu Freunden
plötzlich verschwunden; nach einigen Jahren trifft ihn einer derselben, Friedrich,
vor seiner Burg. Diesem erzählt er, er komme eben aus dem Venusberg zu¬
rück und wolle eine Pilgerfahrt nach Rom unternehmen, um sich von der Last
seiner Sünden zu befreien. Seine Verbindung mit der heidnischen Göttin sei
nur der Schluß einer Reihe von Freveln gewesen: er habe ein Mädchen ge¬
liebt, Namens Emma, diese habe ihm aber einen andern Ritter vorgezogen, er
habe denselben erschlagen, und sie sei vor Gram gestorben. Nachher will er
noch mehre entsetzliche Greuel ausgeübt und erlebt haben. -- "Friedrich be¬
trachtete ihn lange mit einem prüfenden Blicke, dann nahm er die Hand seines
Freundes und sagte: Immer noch kann ich nicht von meinem Erstaunen zu¬
rückkommen; auch kann ich deine Erzählung nicht begreifen, denn es ist nicht
anders möglich, als daß alles, was du mir vorgetragen hast, nur eine Ein¬
bildung von dir sein muß, denn noch lebt Emma, sie ist meine Gattin, und
nie haben wir gekämpft oder uns gehaßt, wie du glaubst. ... -- Er nahm
hierauf den verwirrten Tannhäuser bei der Hand und führte ihn in ein anderes
Zimmer zu seiner Gattin. . . . Der Tannhäuser war stumm und nachdenkend,
er beschaute still die Bildung und das Antlitz der Frau, dann schüttelte er mit
dem Kopfe und sagte: Bei Gott, das ist noch die seltsamste von allen meinen
Begebenheiten?" -- Seltsam in der That; und den Leser beschleicht jenes un¬
heimliche, ungesunde Frösteln, welches nie ausbleibt, wenn uns der Wahnsinn
entgegentritt und wir nicht unterscheiden können, wer der Wahnsinnige ist. --
Daß dann der Tannhäuser doch noch nach Rom geht, ungesühnt zurückkehrt,
Emma wirklich ermordet und Friedrich durch einen glühenden Kuß nach sich
in den Venusberg zieht, dient im Ganzen nur wenig dazu, den Schauder zu
vermehren.

Ein ähnliches Motiv hat Tieck in einer zweiten, dies Mal selbststündig
erfundenen Fabel angewandt: Der blonde Eckbert. Schlegel gibt derselben
mit Recht unter allen Märchen den Preis. "Durch die Erzählung geht eine
stille Gewalt der Darstellung, die zwar nur von jener Kraft des Geistes her-


Grenzboteu. III. -I8so. 42

zuknüpfen, und so fällt man der Macht der schwarzen Magie in die Hände.
Bei Tieck ist überall die Wirkung auf ein Moment des Schauders, des
Grauens vor den feindseligen Mächten der Natur berechnet, was bei der Ab¬
wesenheit alles sittlichen und gemüthlichen Inhalts auf dieselbe Speculation
hinauskommt, die wir bei den Mysteriendichtern so entschieden verwerfen.

Schon die Bearbeitung der Sage vom Venusberg genügt, das Verhält¬
niß Tiecks zu seinen Stoffen zu bezeichnen. Er hat die Sage vom getreuen
Eckart und vom Rattenfänger zu Hameln in einem halb aus Romanzen, halb
aus Prosa zusammengesetzten Vorspiel verschmolzen, in einem Ton, dessen alt¬
fränkische Treuherzigkeit etwas gemacht aussieht. Mit dem Auftreten des Tann¬
häuser beginnt die eigentliche Erzählung. Der Tannhäuser ist seineu Freunden
plötzlich verschwunden; nach einigen Jahren trifft ihn einer derselben, Friedrich,
vor seiner Burg. Diesem erzählt er, er komme eben aus dem Venusberg zu¬
rück und wolle eine Pilgerfahrt nach Rom unternehmen, um sich von der Last
seiner Sünden zu befreien. Seine Verbindung mit der heidnischen Göttin sei
nur der Schluß einer Reihe von Freveln gewesen: er habe ein Mädchen ge¬
liebt, Namens Emma, diese habe ihm aber einen andern Ritter vorgezogen, er
habe denselben erschlagen, und sie sei vor Gram gestorben. Nachher will er
noch mehre entsetzliche Greuel ausgeübt und erlebt haben. — „Friedrich be¬
trachtete ihn lange mit einem prüfenden Blicke, dann nahm er die Hand seines
Freundes und sagte: Immer noch kann ich nicht von meinem Erstaunen zu¬
rückkommen; auch kann ich deine Erzählung nicht begreifen, denn es ist nicht
anders möglich, als daß alles, was du mir vorgetragen hast, nur eine Ein¬
bildung von dir sein muß, denn noch lebt Emma, sie ist meine Gattin, und
nie haben wir gekämpft oder uns gehaßt, wie du glaubst. ... — Er nahm
hierauf den verwirrten Tannhäuser bei der Hand und führte ihn in ein anderes
Zimmer zu seiner Gattin. . . . Der Tannhäuser war stumm und nachdenkend,
er beschaute still die Bildung und das Antlitz der Frau, dann schüttelte er mit
dem Kopfe und sagte: Bei Gott, das ist noch die seltsamste von allen meinen
Begebenheiten?" — Seltsam in der That; und den Leser beschleicht jenes un¬
heimliche, ungesunde Frösteln, welches nie ausbleibt, wenn uns der Wahnsinn
entgegentritt und wir nicht unterscheiden können, wer der Wahnsinnige ist. —
Daß dann der Tannhäuser doch noch nach Rom geht, ungesühnt zurückkehrt,
Emma wirklich ermordet und Friedrich durch einen glühenden Kuß nach sich
in den Venusberg zieht, dient im Ganzen nur wenig dazu, den Schauder zu
vermehren.

Ein ähnliches Motiv hat Tieck in einer zweiten, dies Mal selbststündig
erfundenen Fabel angewandt: Der blonde Eckbert. Schlegel gibt derselben
mit Recht unter allen Märchen den Preis. „Durch die Erzählung geht eine
stille Gewalt der Darstellung, die zwar nur von jener Kraft des Geistes her-


Grenzboteu. III. -I8so. 42
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0337" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/100257"/>
          <p xml:id="ID_987" prev="#ID_986"> zuknüpfen, und so fällt man der Macht der schwarzen Magie in die Hände.<lb/>
Bei Tieck ist überall die Wirkung auf ein Moment des Schauders, des<lb/>
Grauens vor den feindseligen Mächten der Natur berechnet, was bei der Ab¬<lb/>
wesenheit alles sittlichen und gemüthlichen Inhalts auf dieselbe Speculation<lb/>
hinauskommt, die wir bei den Mysteriendichtern so entschieden verwerfen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_988"> Schon die Bearbeitung der Sage vom Venusberg genügt, das Verhält¬<lb/>
niß Tiecks zu seinen Stoffen zu bezeichnen. Er hat die Sage vom getreuen<lb/>
Eckart und vom Rattenfänger zu Hameln in einem halb aus Romanzen, halb<lb/>
aus Prosa zusammengesetzten Vorspiel verschmolzen, in einem Ton, dessen alt¬<lb/>
fränkische Treuherzigkeit etwas gemacht aussieht. Mit dem Auftreten des Tann¬<lb/>
häuser beginnt die eigentliche Erzählung. Der Tannhäuser ist seineu Freunden<lb/>
plötzlich verschwunden; nach einigen Jahren trifft ihn einer derselben, Friedrich,<lb/>
vor seiner Burg. Diesem erzählt er, er komme eben aus dem Venusberg zu¬<lb/>
rück und wolle eine Pilgerfahrt nach Rom unternehmen, um sich von der Last<lb/>
seiner Sünden zu befreien. Seine Verbindung mit der heidnischen Göttin sei<lb/>
nur der Schluß einer Reihe von Freveln gewesen: er habe ein Mädchen ge¬<lb/>
liebt, Namens Emma, diese habe ihm aber einen andern Ritter vorgezogen, er<lb/>
habe denselben erschlagen, und sie sei vor Gram gestorben. Nachher will er<lb/>
noch mehre entsetzliche Greuel ausgeübt und erlebt haben. &#x2014; &#x201E;Friedrich be¬<lb/>
trachtete ihn lange mit einem prüfenden Blicke, dann nahm er die Hand seines<lb/>
Freundes und sagte: Immer noch kann ich nicht von meinem Erstaunen zu¬<lb/>
rückkommen; auch kann ich deine Erzählung nicht begreifen, denn es ist nicht<lb/>
anders möglich, als daß alles, was du mir vorgetragen hast, nur eine Ein¬<lb/>
bildung von dir sein muß, denn noch lebt Emma, sie ist meine Gattin, und<lb/>
nie haben wir gekämpft oder uns gehaßt, wie du glaubst. ... &#x2014; Er nahm<lb/>
hierauf den verwirrten Tannhäuser bei der Hand und führte ihn in ein anderes<lb/>
Zimmer zu seiner Gattin. . . . Der Tannhäuser war stumm und nachdenkend,<lb/>
er beschaute still die Bildung und das Antlitz der Frau, dann schüttelte er mit<lb/>
dem Kopfe und sagte: Bei Gott, das ist noch die seltsamste von allen meinen<lb/>
Begebenheiten?" &#x2014; Seltsam in der That; und den Leser beschleicht jenes un¬<lb/>
heimliche, ungesunde Frösteln, welches nie ausbleibt, wenn uns der Wahnsinn<lb/>
entgegentritt und wir nicht unterscheiden können, wer der Wahnsinnige ist. &#x2014;<lb/>
Daß dann der Tannhäuser doch noch nach Rom geht, ungesühnt zurückkehrt,<lb/>
Emma wirklich ermordet und Friedrich durch einen glühenden Kuß nach sich<lb/>
in den Venusberg zieht, dient im Ganzen nur wenig dazu, den Schauder zu<lb/>
vermehren.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_989" next="#ID_990"> Ein ähnliches Motiv hat Tieck in einer zweiten, dies Mal selbststündig<lb/>
erfundenen Fabel angewandt: Der blonde Eckbert.  Schlegel gibt derselben<lb/>
mit Recht unter allen Märchen den Preis.  &#x201E;Durch die Erzählung geht eine<lb/>
stille Gewalt der Darstellung, die zwar nur von jener Kraft des Geistes her-</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboteu. III. -I8so. 42</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0337] zuknüpfen, und so fällt man der Macht der schwarzen Magie in die Hände. Bei Tieck ist überall die Wirkung auf ein Moment des Schauders, des Grauens vor den feindseligen Mächten der Natur berechnet, was bei der Ab¬ wesenheit alles sittlichen und gemüthlichen Inhalts auf dieselbe Speculation hinauskommt, die wir bei den Mysteriendichtern so entschieden verwerfen. Schon die Bearbeitung der Sage vom Venusberg genügt, das Verhält¬ niß Tiecks zu seinen Stoffen zu bezeichnen. Er hat die Sage vom getreuen Eckart und vom Rattenfänger zu Hameln in einem halb aus Romanzen, halb aus Prosa zusammengesetzten Vorspiel verschmolzen, in einem Ton, dessen alt¬ fränkische Treuherzigkeit etwas gemacht aussieht. Mit dem Auftreten des Tann¬ häuser beginnt die eigentliche Erzählung. Der Tannhäuser ist seineu Freunden plötzlich verschwunden; nach einigen Jahren trifft ihn einer derselben, Friedrich, vor seiner Burg. Diesem erzählt er, er komme eben aus dem Venusberg zu¬ rück und wolle eine Pilgerfahrt nach Rom unternehmen, um sich von der Last seiner Sünden zu befreien. Seine Verbindung mit der heidnischen Göttin sei nur der Schluß einer Reihe von Freveln gewesen: er habe ein Mädchen ge¬ liebt, Namens Emma, diese habe ihm aber einen andern Ritter vorgezogen, er habe denselben erschlagen, und sie sei vor Gram gestorben. Nachher will er noch mehre entsetzliche Greuel ausgeübt und erlebt haben. — „Friedrich be¬ trachtete ihn lange mit einem prüfenden Blicke, dann nahm er die Hand seines Freundes und sagte: Immer noch kann ich nicht von meinem Erstaunen zu¬ rückkommen; auch kann ich deine Erzählung nicht begreifen, denn es ist nicht anders möglich, als daß alles, was du mir vorgetragen hast, nur eine Ein¬ bildung von dir sein muß, denn noch lebt Emma, sie ist meine Gattin, und nie haben wir gekämpft oder uns gehaßt, wie du glaubst. ... — Er nahm hierauf den verwirrten Tannhäuser bei der Hand und führte ihn in ein anderes Zimmer zu seiner Gattin. . . . Der Tannhäuser war stumm und nachdenkend, er beschaute still die Bildung und das Antlitz der Frau, dann schüttelte er mit dem Kopfe und sagte: Bei Gott, das ist noch die seltsamste von allen meinen Begebenheiten?" — Seltsam in der That; und den Leser beschleicht jenes un¬ heimliche, ungesunde Frösteln, welches nie ausbleibt, wenn uns der Wahnsinn entgegentritt und wir nicht unterscheiden können, wer der Wahnsinnige ist. — Daß dann der Tannhäuser doch noch nach Rom geht, ungesühnt zurückkehrt, Emma wirklich ermordet und Friedrich durch einen glühenden Kuß nach sich in den Venusberg zieht, dient im Ganzen nur wenig dazu, den Schauder zu vermehren. Ein ähnliches Motiv hat Tieck in einer zweiten, dies Mal selbststündig erfundenen Fabel angewandt: Der blonde Eckbert. Schlegel gibt derselben mit Recht unter allen Märchen den Preis. „Durch die Erzählung geht eine stille Gewalt der Darstellung, die zwar nur von jener Kraft des Geistes her- Grenzboteu. III. -I8so. 42

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99919
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99919/337
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99919/337>, abgerufen am 22.12.2024.