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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band.

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glänzende Phantasie und einen sprudelnden Witz, aber es fehlt ihm Wärme
des Lebens und Sicherheit des Gewissens. Darum ist er nie im Stande ge¬
wesen, einen Charakter zu zeichnen, ein Problem zu lösen, ja auch nur ein
Ereignis? in festen Umrissen darzustellen. Einbildungskraft und Witz sind
Rankengewächse, die einen festen Stamm auf das prachtvollste verzieren, ihn
aber nie ersetzen. Tieck hat neben seiner Einbildungskraft auch einen feinen
Verstand, aber anstatt das Eine an dem Andern zu Schulen und zu berichtigen,
läßt er beiden den freisten Lauf, er führt ein Traumleben, das unabhängig
von seiner Beobachtung der Wirklichkeit ist und stellt sich dieser ebenso oft als
altkluger Philister wie als träumerischer Phantast gegenüber. Der abgesagte
Feind aller Metaphysik und Schwärmerei, aller Verallgemeinerungen und
Ideale, wollte er das Leben und seine Empfindungen wie ein anmuthiges
Spiel behandeln, das Unbedeutendste wie das Erhabenste poetistren, ohne sich
je an die Stoffe oder an die Ideen zu verpfänden. Er hatte keinen Sinn für
das Alterthum, weil dieses Ideale darstellte und von Gesetzen ausging, und
die Naivetät und Kindlichkeit, deren er sich befleißigte, waren durchaus nicht
im Sinn der Alten; sie, gingen nicht Hand in Hand mit dem Naturgesetz,
sondern sie waren Eingebungen der Willkür. Wie seine Freunde trachtete er
nach dem Unauflösbaren, Irrationellen, aber nicht um daran zu glauben,
sondern um damit zu tändeln. Er war seinem Talent nach ein Realist oder
vielmehr ein Naturalist, aber nur in Beziehung auf die endliche Erscheinung;
wo der Ernst anfing, hörte seine Theilnahme auf. Er verspottete Schiller,
Jean Paul, Fouqus, Werner u. s. w., weil sie an ihre Ideale wirklich glaub¬
ten und wenn er ganz aufrichtig war, so traf dieser Spott ebenso seine nächsten
Freunde. Von dem transscendentalen Idealismus entlehnte er zuweilen einige
Stichwörter, um der Masse unverständlich zu sein, er legte sie seinen poetischen
Narren in den Mund; aber niemals hat er sich ernstlich damit beschäftigt.
Goethe und Shakespeare verehrte er viel aufrichtiger, als seine Freunde, aber
als Naturalist, und das kleine Gedicht des erster", in welchem die Weisheit
aufgefordert wird, die zarten Schwingen der Phantasie nicht zu verletzen, ent¬
hielt das Grundprincip seines Schaffens und Empfindens. Die Schlegel ver¬
achteten den Philister, weil er ihre Ideale nicht anerkennen wollte; sie be¬
kämpften die Aufklärung, weil sie den Bedürfnissen der Kunst widersprach.
Tieck dagegen machte sich über den Philister lustig, weil er es mit dem Glau¬
ben und mit dem Leben überhaupt ernst nahm und verabscheute die Aufklärung,
weil sie ihm die Arbeit und die Noth nahe rückte. Die Schlegel hatten doch
zuweilen, wenn auch ihr Studium nie ein ernstes war, einen Blick für die
Geschichte. Tieck machte sich über alles lustig, was in der Geschichte eine
feste, wahrnehmbare Gestalt gewinnen wollte. Darum war er zum Dichter der
Aristokratie bestimmt, die Theezirkel des unbeschäftigten Adels waren seine


glänzende Phantasie und einen sprudelnden Witz, aber es fehlt ihm Wärme
des Lebens und Sicherheit des Gewissens. Darum ist er nie im Stande ge¬
wesen, einen Charakter zu zeichnen, ein Problem zu lösen, ja auch nur ein
Ereignis? in festen Umrissen darzustellen. Einbildungskraft und Witz sind
Rankengewächse, die einen festen Stamm auf das prachtvollste verzieren, ihn
aber nie ersetzen. Tieck hat neben seiner Einbildungskraft auch einen feinen
Verstand, aber anstatt das Eine an dem Andern zu Schulen und zu berichtigen,
läßt er beiden den freisten Lauf, er führt ein Traumleben, das unabhängig
von seiner Beobachtung der Wirklichkeit ist und stellt sich dieser ebenso oft als
altkluger Philister wie als träumerischer Phantast gegenüber. Der abgesagte
Feind aller Metaphysik und Schwärmerei, aller Verallgemeinerungen und
Ideale, wollte er das Leben und seine Empfindungen wie ein anmuthiges
Spiel behandeln, das Unbedeutendste wie das Erhabenste poetistren, ohne sich
je an die Stoffe oder an die Ideen zu verpfänden. Er hatte keinen Sinn für
das Alterthum, weil dieses Ideale darstellte und von Gesetzen ausging, und
die Naivetät und Kindlichkeit, deren er sich befleißigte, waren durchaus nicht
im Sinn der Alten; sie, gingen nicht Hand in Hand mit dem Naturgesetz,
sondern sie waren Eingebungen der Willkür. Wie seine Freunde trachtete er
nach dem Unauflösbaren, Irrationellen, aber nicht um daran zu glauben,
sondern um damit zu tändeln. Er war seinem Talent nach ein Realist oder
vielmehr ein Naturalist, aber nur in Beziehung auf die endliche Erscheinung;
wo der Ernst anfing, hörte seine Theilnahme auf. Er verspottete Schiller,
Jean Paul, Fouqus, Werner u. s. w., weil sie an ihre Ideale wirklich glaub¬
ten und wenn er ganz aufrichtig war, so traf dieser Spott ebenso seine nächsten
Freunde. Von dem transscendentalen Idealismus entlehnte er zuweilen einige
Stichwörter, um der Masse unverständlich zu sein, er legte sie seinen poetischen
Narren in den Mund; aber niemals hat er sich ernstlich damit beschäftigt.
Goethe und Shakespeare verehrte er viel aufrichtiger, als seine Freunde, aber
als Naturalist, und das kleine Gedicht des erster», in welchem die Weisheit
aufgefordert wird, die zarten Schwingen der Phantasie nicht zu verletzen, ent¬
hielt das Grundprincip seines Schaffens und Empfindens. Die Schlegel ver¬
achteten den Philister, weil er ihre Ideale nicht anerkennen wollte; sie be¬
kämpften die Aufklärung, weil sie den Bedürfnissen der Kunst widersprach.
Tieck dagegen machte sich über den Philister lustig, weil er es mit dem Glau¬
ben und mit dem Leben überhaupt ernst nahm und verabscheute die Aufklärung,
weil sie ihm die Arbeit und die Noth nahe rückte. Die Schlegel hatten doch
zuweilen, wenn auch ihr Studium nie ein ernstes war, einen Blick für die
Geschichte. Tieck machte sich über alles lustig, was in der Geschichte eine
feste, wahrnehmbare Gestalt gewinnen wollte. Darum war er zum Dichter der
Aristokratie bestimmt, die Theezirkel des unbeschäftigten Adels waren seine


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99919/332>, abgerufen am 22.07.2024.