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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band.

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so vollständige Passivität hatten versinken lassen, daß kaum eine Truppenschau
vorgenommen wurde und ihre Schiffe unthätig und verfaulend im Bosporus
lagen, wir uns darauf gefaßt gemacht hatten, einen vierzigjährigen Frieden zu
unterbrechen, um für sie Krieg zu sichren."




Pariser Brief.

Nach den Anstrengungen zu schließen, welche die Menschen allenthalben
machen, um sich Unterhaltung zu schaffen, ist das Leben ein höchst langwei¬
liges Geschäft. Die Pariser namentlich thun das Unglaubliche, um ihren
Gästen angenehm zu werden. Als ob die pariser Sehenswürdigkeiten, als
ob die hier aufgehäuften Kunstschätze nicht genügten, als ob die beiden Aus¬
stellungen nicht Anziehungskraft genug besäßen -- Paris sucht jeden Tag
einen neuen Gedanken zum Zeitvertreibe der Fremden, die noch immer nicht in
der gewünschten Zahl hier eintreffen wollen. In den Straßen merkt man das
nicht, denn nach dem Leben in diesen zu urtheilen, ist Paris bedeckt
von Ausländern. Die Stadt aber ist klein, während die Ausstellungsgebäude
groß sind, und hier fühlt man die verhältnißmäßige Leere ebenso handgreiflich,
als die Kasse der Unternehmer diese verspüren mag. Diese Theilnahmlosigkeit ist
nun nachgrade unbegreiflich, denn wenn man auch anfänglich mit Recht man¬
chen Fehlgriff an der Ausstellung tadelte, jetzt gibt jedermann zu, daß In¬
dustrie- wie Kunstschau die interessanteste Erscheinung unsrer Zeit genannt
werden dürfen. Dies' gilt aber nicht blos von der'allgemeinen Weltschau,
wir können von Paris überhaupt sagen, daß es in diesem Augenblicke ein
besonders anziehender Punkt geworden.

Man sucht den Fremden gegenüber alles hervor, was seit Anfang des
neunzehnten Jahrhunderts nach irgendeiner Richtung Aufsehen in Paris
gemacht hat, und wie die Kunstausstellung ein Nebeneinander der vorzüglich¬
sten Kunstleistungen unsrer Zeit ausdrückt, so gibt sich Aehnliches in der
Theaterwelt kund. -- Was Frankreich noch an Celebritäten besitzt, das wird,
wie Cincinnatus vom Pfluge, aus dem Ruhestande geholt und wer Paris heute
besucht, lernt nicht nur das Paris von heute, sondern das Paris des ganzen
neunzehnten Jahrhunderts kennen. Man denke nur: die ewig kokette Dejazet,
der nimmer alternde Bouffv neben den beiden allerdings etwas gebrochenen
Koryphäen der romantischen Schule, neben Boccage und Frederic Lemaitre,
ste alle versuchen durch den Ueberrest ihrer Kunst einen Begriff von ihrer
ehemaligen Bedeutung zu geben. Sogar die Glorie des Kaiserreichs, die
dramatische Muse des Empire, Mlle. George, deren Talent in dem Maße zu-


Grenzbote". III. -I86ö. 39

so vollständige Passivität hatten versinken lassen, daß kaum eine Truppenschau
vorgenommen wurde und ihre Schiffe unthätig und verfaulend im Bosporus
lagen, wir uns darauf gefaßt gemacht hatten, einen vierzigjährigen Frieden zu
unterbrechen, um für sie Krieg zu sichren."




Pariser Brief.

Nach den Anstrengungen zu schließen, welche die Menschen allenthalben
machen, um sich Unterhaltung zu schaffen, ist das Leben ein höchst langwei¬
liges Geschäft. Die Pariser namentlich thun das Unglaubliche, um ihren
Gästen angenehm zu werden. Als ob die pariser Sehenswürdigkeiten, als
ob die hier aufgehäuften Kunstschätze nicht genügten, als ob die beiden Aus¬
stellungen nicht Anziehungskraft genug besäßen — Paris sucht jeden Tag
einen neuen Gedanken zum Zeitvertreibe der Fremden, die noch immer nicht in
der gewünschten Zahl hier eintreffen wollen. In den Straßen merkt man das
nicht, denn nach dem Leben in diesen zu urtheilen, ist Paris bedeckt
von Ausländern. Die Stadt aber ist klein, während die Ausstellungsgebäude
groß sind, und hier fühlt man die verhältnißmäßige Leere ebenso handgreiflich,
als die Kasse der Unternehmer diese verspüren mag. Diese Theilnahmlosigkeit ist
nun nachgrade unbegreiflich, denn wenn man auch anfänglich mit Recht man¬
chen Fehlgriff an der Ausstellung tadelte, jetzt gibt jedermann zu, daß In¬
dustrie- wie Kunstschau die interessanteste Erscheinung unsrer Zeit genannt
werden dürfen. Dies' gilt aber nicht blos von der'allgemeinen Weltschau,
wir können von Paris überhaupt sagen, daß es in diesem Augenblicke ein
besonders anziehender Punkt geworden.

Man sucht den Fremden gegenüber alles hervor, was seit Anfang des
neunzehnten Jahrhunderts nach irgendeiner Richtung Aufsehen in Paris
gemacht hat, und wie die Kunstausstellung ein Nebeneinander der vorzüglich¬
sten Kunstleistungen unsrer Zeit ausdrückt, so gibt sich Aehnliches in der
Theaterwelt kund. — Was Frankreich noch an Celebritäten besitzt, das wird,
wie Cincinnatus vom Pfluge, aus dem Ruhestande geholt und wer Paris heute
besucht, lernt nicht nur das Paris von heute, sondern das Paris des ganzen
neunzehnten Jahrhunderts kennen. Man denke nur: die ewig kokette Dejazet,
der nimmer alternde Bouffv neben den beiden allerdings etwas gebrochenen
Koryphäen der romantischen Schule, neben Boccage und Frederic Lemaitre,
ste alle versuchen durch den Ueberrest ihrer Kunst einen Begriff von ihrer
ehemaligen Bedeutung zu geben. Sogar die Glorie des Kaiserreichs, die
dramatische Muse des Empire, Mlle. George, deren Talent in dem Maße zu-


Grenzbote». III. -I86ö. 39
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[0313] so vollständige Passivität hatten versinken lassen, daß kaum eine Truppenschau vorgenommen wurde und ihre Schiffe unthätig und verfaulend im Bosporus lagen, wir uns darauf gefaßt gemacht hatten, einen vierzigjährigen Frieden zu unterbrechen, um für sie Krieg zu sichren." Pariser Brief. Nach den Anstrengungen zu schließen, welche die Menschen allenthalben machen, um sich Unterhaltung zu schaffen, ist das Leben ein höchst langwei¬ liges Geschäft. Die Pariser namentlich thun das Unglaubliche, um ihren Gästen angenehm zu werden. Als ob die pariser Sehenswürdigkeiten, als ob die hier aufgehäuften Kunstschätze nicht genügten, als ob die beiden Aus¬ stellungen nicht Anziehungskraft genug besäßen — Paris sucht jeden Tag einen neuen Gedanken zum Zeitvertreibe der Fremden, die noch immer nicht in der gewünschten Zahl hier eintreffen wollen. In den Straßen merkt man das nicht, denn nach dem Leben in diesen zu urtheilen, ist Paris bedeckt von Ausländern. Die Stadt aber ist klein, während die Ausstellungsgebäude groß sind, und hier fühlt man die verhältnißmäßige Leere ebenso handgreiflich, als die Kasse der Unternehmer diese verspüren mag. Diese Theilnahmlosigkeit ist nun nachgrade unbegreiflich, denn wenn man auch anfänglich mit Recht man¬ chen Fehlgriff an der Ausstellung tadelte, jetzt gibt jedermann zu, daß In¬ dustrie- wie Kunstschau die interessanteste Erscheinung unsrer Zeit genannt werden dürfen. Dies' gilt aber nicht blos von der'allgemeinen Weltschau, wir können von Paris überhaupt sagen, daß es in diesem Augenblicke ein besonders anziehender Punkt geworden. Man sucht den Fremden gegenüber alles hervor, was seit Anfang des neunzehnten Jahrhunderts nach irgendeiner Richtung Aufsehen in Paris gemacht hat, und wie die Kunstausstellung ein Nebeneinander der vorzüglich¬ sten Kunstleistungen unsrer Zeit ausdrückt, so gibt sich Aehnliches in der Theaterwelt kund. — Was Frankreich noch an Celebritäten besitzt, das wird, wie Cincinnatus vom Pfluge, aus dem Ruhestande geholt und wer Paris heute besucht, lernt nicht nur das Paris von heute, sondern das Paris des ganzen neunzehnten Jahrhunderts kennen. Man denke nur: die ewig kokette Dejazet, der nimmer alternde Bouffv neben den beiden allerdings etwas gebrochenen Koryphäen der romantischen Schule, neben Boccage und Frederic Lemaitre, ste alle versuchen durch den Ueberrest ihrer Kunst einen Begriff von ihrer ehemaligen Bedeutung zu geben. Sogar die Glorie des Kaiserreichs, die dramatische Muse des Empire, Mlle. George, deren Talent in dem Maße zu- Grenzbote». III. -I86ö. 39

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99919/313>, abgerufen am 22.07.2024.