Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

danken. Siebzig lange Jahre hat er in hohen Ehren und als Staatsmann
von Ruf gelebt und sich keinen einzigen persönlichen Freund erworben. Man
konnte ebensowenig befreundet mit ihm sein, als der Schulknabe mit dem mürri¬
schen Despoten, der beständig die Ruthe schwingt, und alle, die sich Sir Hector
näherten, nahmen entweder sofort die Stellung von straffälligen Schulbuben
ein -- oder sie lachten ihn aus.

Niemand entging dem schlimmen und lähmenden Einfluß seines unheim¬
lich grollenden Blickes. Vom König des Landes an -- gegen den er un¬
großmüthig bramarbasirte und den er mit einer Macht bedrohte, die niemals
solchen Händen hätte anvertraut werden sollen, bis zum niedrigsten Küchen¬
jungen des Palastes betrachteten ihn alle, die nicht über ihn zu lachen wagten,
mit Haß und Furcht. Aber trotzdem war es doch vielleicht mehr ein Unglück
als seine Schuld. Seine Giftigkeit war vielleicht mehr eine angelernte Ge¬
wohnheit, als eine ursprüngliche Eigenschaft. Er war im einundzwanzigsten
Jahre zu einer Stelle ernannt worden, für die er noch nicht reif war, zum
Gesandtschaftssecretär in Dahomey. Er hatte fast seine ganze übrige Lebens¬
zeit unter Sklaven und Orientalen zugebracht, bis er es verlernt hatte, mit
freien Männern auf gleichem Fuße umzugehen. Er war leidenschaftlich, tyran¬
nisch, anmaßend, starr, eigenwillig, kindisch und lächerlich. Kein Wunder, daß
alle Menschen von früher Jugend auf der Erziehung bedürfen, denn die Keime
dieser Eigenschaften liegen in jedem Einzelnen von uns mit größerer oder ge¬
ringerer Entwicklungsfähigkeit verborgen; bei ihm hatten sie nur Zeit gesunden,
ungehindert und üppig zu gedeihen. Wie einige andere Leute, denen ich in
der Welt begegnet bin, war er viel, viel zu vornehm, um nützlich zu sein.

Damit kommt,man aber unter Engländern, nicht durch; denn kein Eng¬
länder steht so hoch über den übrigen, daß er nicht viele fände, die bereit
und sähig sind, ihm seine Stellung in ehrlichem Kampfe streitig zu machen.
So wurde denn endlich der Hauptcharakterzug von Sir Hector eine wahn¬
witzige Eifersucht. Er betrachtete jeden winzigen Viceconsul mit Argwohn, der
gut englisch schrieb und er wäre auf seinen eignen Bedienten eifersüchtig
geworden, wenn er ihn über einer Zeitung ertappt hätte.

Mir ist es manchmal vorgekommen, als wäre er sich selbst schmerzlich be¬
wußt, im höchsten Grade unbeliebt zu sein und daß ihn dies mißtrauisch
gegen Leute machte, die ihn nicht sofort ihrer Anhänglichkeit versicherten. Selbst
ein leutselig gesinnter Mann wird selten entgegenkommen, wenn er zu gleicher
Zeit stolz ist. Aber das eigentlich Wahre an der Sache ist, daß man sich
mit Hector Stubble nie setzen konnte. Er war von einem ganz allerliebsten Kreis
von Kriechern und Speichelleckern umgeben. Sie waren seine Spione und
Zuträger und erzählten ihm Lügen. Sie fielen vor ihm nieder und schwärzten
alle Welt an, um ihn zu erhöhen und sangen sein Hallelujah vom Morgen


danken. Siebzig lange Jahre hat er in hohen Ehren und als Staatsmann
von Ruf gelebt und sich keinen einzigen persönlichen Freund erworben. Man
konnte ebensowenig befreundet mit ihm sein, als der Schulknabe mit dem mürri¬
schen Despoten, der beständig die Ruthe schwingt, und alle, die sich Sir Hector
näherten, nahmen entweder sofort die Stellung von straffälligen Schulbuben
ein — oder sie lachten ihn aus.

Niemand entging dem schlimmen und lähmenden Einfluß seines unheim¬
lich grollenden Blickes. Vom König des Landes an — gegen den er un¬
großmüthig bramarbasirte und den er mit einer Macht bedrohte, die niemals
solchen Händen hätte anvertraut werden sollen, bis zum niedrigsten Küchen¬
jungen des Palastes betrachteten ihn alle, die nicht über ihn zu lachen wagten,
mit Haß und Furcht. Aber trotzdem war es doch vielleicht mehr ein Unglück
als seine Schuld. Seine Giftigkeit war vielleicht mehr eine angelernte Ge¬
wohnheit, als eine ursprüngliche Eigenschaft. Er war im einundzwanzigsten
Jahre zu einer Stelle ernannt worden, für die er noch nicht reif war, zum
Gesandtschaftssecretär in Dahomey. Er hatte fast seine ganze übrige Lebens¬
zeit unter Sklaven und Orientalen zugebracht, bis er es verlernt hatte, mit
freien Männern auf gleichem Fuße umzugehen. Er war leidenschaftlich, tyran¬
nisch, anmaßend, starr, eigenwillig, kindisch und lächerlich. Kein Wunder, daß
alle Menschen von früher Jugend auf der Erziehung bedürfen, denn die Keime
dieser Eigenschaften liegen in jedem Einzelnen von uns mit größerer oder ge¬
ringerer Entwicklungsfähigkeit verborgen; bei ihm hatten sie nur Zeit gesunden,
ungehindert und üppig zu gedeihen. Wie einige andere Leute, denen ich in
der Welt begegnet bin, war er viel, viel zu vornehm, um nützlich zu sein.

Damit kommt,man aber unter Engländern, nicht durch; denn kein Eng¬
länder steht so hoch über den übrigen, daß er nicht viele fände, die bereit
und sähig sind, ihm seine Stellung in ehrlichem Kampfe streitig zu machen.
So wurde denn endlich der Hauptcharakterzug von Sir Hector eine wahn¬
witzige Eifersucht. Er betrachtete jeden winzigen Viceconsul mit Argwohn, der
gut englisch schrieb und er wäre auf seinen eignen Bedienten eifersüchtig
geworden, wenn er ihn über einer Zeitung ertappt hätte.

Mir ist es manchmal vorgekommen, als wäre er sich selbst schmerzlich be¬
wußt, im höchsten Grade unbeliebt zu sein und daß ihn dies mißtrauisch
gegen Leute machte, die ihn nicht sofort ihrer Anhänglichkeit versicherten. Selbst
ein leutselig gesinnter Mann wird selten entgegenkommen, wenn er zu gleicher
Zeit stolz ist. Aber das eigentlich Wahre an der Sache ist, daß man sich
mit Hector Stubble nie setzen konnte. Er war von einem ganz allerliebsten Kreis
von Kriechern und Speichelleckern umgeben. Sie waren seine Spione und
Zuträger und erzählten ihm Lügen. Sie fielen vor ihm nieder und schwärzten
alle Welt an, um ihn zu erhöhen und sangen sein Hallelujah vom Morgen


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0311" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/100231"/>
          <p xml:id="ID_905" prev="#ID_904"> danken. Siebzig lange Jahre hat er in hohen Ehren und als Staatsmann<lb/>
von Ruf gelebt und sich keinen einzigen persönlichen Freund erworben. Man<lb/>
konnte ebensowenig befreundet mit ihm sein, als der Schulknabe mit dem mürri¬<lb/>
schen Despoten, der beständig die Ruthe schwingt, und alle, die sich Sir Hector<lb/>
näherten, nahmen entweder sofort die Stellung von straffälligen Schulbuben<lb/>
ein &#x2014; oder sie lachten ihn aus.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_906"> Niemand entging dem schlimmen und lähmenden Einfluß seines unheim¬<lb/>
lich grollenden Blickes. Vom König des Landes an &#x2014; gegen den er un¬<lb/>
großmüthig bramarbasirte und den er mit einer Macht bedrohte, die niemals<lb/>
solchen Händen hätte anvertraut werden sollen, bis zum niedrigsten Küchen¬<lb/>
jungen des Palastes betrachteten ihn alle, die nicht über ihn zu lachen wagten,<lb/>
mit Haß und Furcht. Aber trotzdem war es doch vielleicht mehr ein Unglück<lb/>
als seine Schuld. Seine Giftigkeit war vielleicht mehr eine angelernte Ge¬<lb/>
wohnheit, als eine ursprüngliche Eigenschaft. Er war im einundzwanzigsten<lb/>
Jahre zu einer Stelle ernannt worden, für die er noch nicht reif war, zum<lb/>
Gesandtschaftssecretär in Dahomey. Er hatte fast seine ganze übrige Lebens¬<lb/>
zeit unter Sklaven und Orientalen zugebracht, bis er es verlernt hatte, mit<lb/>
freien Männern auf gleichem Fuße umzugehen. Er war leidenschaftlich, tyran¬<lb/>
nisch, anmaßend, starr, eigenwillig, kindisch und lächerlich. Kein Wunder, daß<lb/>
alle Menschen von früher Jugend auf der Erziehung bedürfen, denn die Keime<lb/>
dieser Eigenschaften liegen in jedem Einzelnen von uns mit größerer oder ge¬<lb/>
ringerer Entwicklungsfähigkeit verborgen; bei ihm hatten sie nur Zeit gesunden,<lb/>
ungehindert und üppig zu gedeihen. Wie einige andere Leute, denen ich in<lb/>
der Welt begegnet bin, war er viel, viel zu vornehm, um nützlich zu sein.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_907"> Damit kommt,man aber unter Engländern, nicht durch; denn kein Eng¬<lb/>
länder steht so hoch über den übrigen, daß er nicht viele fände, die bereit<lb/>
und sähig sind, ihm seine Stellung in ehrlichem Kampfe streitig zu machen.<lb/>
So wurde denn endlich der Hauptcharakterzug von Sir Hector eine wahn¬<lb/>
witzige Eifersucht. Er betrachtete jeden winzigen Viceconsul mit Argwohn, der<lb/>
gut englisch schrieb und er wäre auf seinen eignen Bedienten eifersüchtig<lb/>
geworden, wenn er ihn über einer Zeitung ertappt hätte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_908" next="#ID_909"> Mir ist es manchmal vorgekommen, als wäre er sich selbst schmerzlich be¬<lb/>
wußt, im höchsten Grade unbeliebt zu sein und daß ihn dies mißtrauisch<lb/>
gegen Leute machte, die ihn nicht sofort ihrer Anhänglichkeit versicherten. Selbst<lb/>
ein leutselig gesinnter Mann wird selten entgegenkommen, wenn er zu gleicher<lb/>
Zeit stolz ist. Aber das eigentlich Wahre an der Sache ist, daß man sich<lb/>
mit Hector Stubble nie setzen konnte. Er war von einem ganz allerliebsten Kreis<lb/>
von Kriechern und Speichelleckern umgeben. Sie waren seine Spione und<lb/>
Zuträger und erzählten ihm Lügen. Sie fielen vor ihm nieder und schwärzten<lb/>
alle Welt an, um ihn zu erhöhen und sangen sein Hallelujah vom Morgen</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0311] danken. Siebzig lange Jahre hat er in hohen Ehren und als Staatsmann von Ruf gelebt und sich keinen einzigen persönlichen Freund erworben. Man konnte ebensowenig befreundet mit ihm sein, als der Schulknabe mit dem mürri¬ schen Despoten, der beständig die Ruthe schwingt, und alle, die sich Sir Hector näherten, nahmen entweder sofort die Stellung von straffälligen Schulbuben ein — oder sie lachten ihn aus. Niemand entging dem schlimmen und lähmenden Einfluß seines unheim¬ lich grollenden Blickes. Vom König des Landes an — gegen den er un¬ großmüthig bramarbasirte und den er mit einer Macht bedrohte, die niemals solchen Händen hätte anvertraut werden sollen, bis zum niedrigsten Küchen¬ jungen des Palastes betrachteten ihn alle, die nicht über ihn zu lachen wagten, mit Haß und Furcht. Aber trotzdem war es doch vielleicht mehr ein Unglück als seine Schuld. Seine Giftigkeit war vielleicht mehr eine angelernte Ge¬ wohnheit, als eine ursprüngliche Eigenschaft. Er war im einundzwanzigsten Jahre zu einer Stelle ernannt worden, für die er noch nicht reif war, zum Gesandtschaftssecretär in Dahomey. Er hatte fast seine ganze übrige Lebens¬ zeit unter Sklaven und Orientalen zugebracht, bis er es verlernt hatte, mit freien Männern auf gleichem Fuße umzugehen. Er war leidenschaftlich, tyran¬ nisch, anmaßend, starr, eigenwillig, kindisch und lächerlich. Kein Wunder, daß alle Menschen von früher Jugend auf der Erziehung bedürfen, denn die Keime dieser Eigenschaften liegen in jedem Einzelnen von uns mit größerer oder ge¬ ringerer Entwicklungsfähigkeit verborgen; bei ihm hatten sie nur Zeit gesunden, ungehindert und üppig zu gedeihen. Wie einige andere Leute, denen ich in der Welt begegnet bin, war er viel, viel zu vornehm, um nützlich zu sein. Damit kommt,man aber unter Engländern, nicht durch; denn kein Eng¬ länder steht so hoch über den übrigen, daß er nicht viele fände, die bereit und sähig sind, ihm seine Stellung in ehrlichem Kampfe streitig zu machen. So wurde denn endlich der Hauptcharakterzug von Sir Hector eine wahn¬ witzige Eifersucht. Er betrachtete jeden winzigen Viceconsul mit Argwohn, der gut englisch schrieb und er wäre auf seinen eignen Bedienten eifersüchtig geworden, wenn er ihn über einer Zeitung ertappt hätte. Mir ist es manchmal vorgekommen, als wäre er sich selbst schmerzlich be¬ wußt, im höchsten Grade unbeliebt zu sein und daß ihn dies mißtrauisch gegen Leute machte, die ihn nicht sofort ihrer Anhänglichkeit versicherten. Selbst ein leutselig gesinnter Mann wird selten entgegenkommen, wenn er zu gleicher Zeit stolz ist. Aber das eigentlich Wahre an der Sache ist, daß man sich mit Hector Stubble nie setzen konnte. Er war von einem ganz allerliebsten Kreis von Kriechern und Speichelleckern umgeben. Sie waren seine Spione und Zuträger und erzählten ihm Lügen. Sie fielen vor ihm nieder und schwärzten alle Welt an, um ihn zu erhöhen und sangen sein Hallelujah vom Morgen

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99919
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99919/311
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99919/311>, abgerufen am 22.07.2024.