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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band.

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Rang gegen alle, die mit ihm in Berührung kamen, auf eine Weise geltend
zu machen, die selbst den Niedrigsten demüthigen mußte. Mit dem besten
Willen von der Welt war es unmöglich, ihn lieb zu gewinnen; je länger man
ihn kannte, je mehr man eS versuchte, desto hoffnungsloser wurde das Bemühen.
Leute, die ihn seit Jahren kannten, empfing er mit kaltem Blicke, als wären
sie Fremdlinge, und er sah sie verschmachten und sterben, ohne nur einmal an
sie zu denken. Er schien die Menschen lediglich als seine Werkzeuge zu be¬
trachten. Brauchte er eines, so nahm er es, und brauchte er es nicht mehr,
so legte er es, stumpf geworden und schartig, bei Seite. Vielleicht verursachte
die lange Gewohnheit des Umgangs mit Personen, die ihm auf ungehörige
Weise untergeordnet waren, daß er jeden unter ihm Stehenden wie einen
Sklaven behandelte, dessen beste Bemühung eines Dankes nicht werth war.
Gewiß hatte die Natur nie einen Mann geschaffen, der von Haus aus so
gründlich unliebenswürdig war.

Nicht etwa daß er andern positiv oder sichtbar Böses zugefügt hätte; --
das kann kein Engländer, möge seine Stellung sein, wie sie wolle; aber er
hat manches Herz bluten machen. Er machte Jünglinge ärmer an Hoffnungen
und gab ihnen eine düstere und schwarzgallige Lebensanschauung. Wer sich
vor ihm beugte, wurde sofort zu einem Kriecher und Speichellecker; er hatte
wahrhaftig keine Wahl. Wer mit Sir Hector Stubble gut stehen wollte,
mußte sich zu seinem Sklaven machen -- zu seinem demüthigen, im Staube
kriechenden Sklaven. Anders ließ er es sich nicht gefallen. Wer sich darein
nicht schicken wollte, erschien ihm als ganz und gar unnütz und keines Blickes
mehr werth; und von wem Sir Hector einmal so dachte, der konnte ihn mit
demselben freundschaftlichen Gefühl betrachten, wie er eine Person ansehen
würde, die bei der ersten besten Gelegenheit hinter einer Mauer hervor aus
sicherer Ferne eine unfehlbare Kugel auf ihn abzuschießen bereit ist. Er war
ein Tyrann, der Repräsentant eines schlechten Systems; konnte sicher und
straflos tyrannisiren und er that es. Er war zu wenig großmüthig, um jeman¬
den, der ihm mißfiel, ungeschoren zu lassen; so erhob er die starke Hand der
Aurorität und zerschmetterte den Harmlosen ohne Erbarmen. Für niemand
hatte er Herz, Gefühl, Augen, Ohren oder Gedanken, als für Sir Hector
Stubble. Für ihn war die Welt gemacht und alles, was darinnen ist; andere
Leute hatten nichts darin zu suchen, als insoweit sie ihm nützlich sein konn¬
ten. Danach wurde sogar ihr Rang und ihre Stellung bemessen. Sein
Privatsecretär oder sein Kammerdiener, überhaupt jeder, der auf seine persön¬
liche Stellung oder sein persönliches Behagen den mindesten Einfluß hatte,
war ihm eine wichtigere Person, als der größte praktische Philosoph, der die
Menschheit gebessert und höher gehoben hat.

Kein Mensch hat ihm für einen Dienst oder für ein freundliches Wort zu


Rang gegen alle, die mit ihm in Berührung kamen, auf eine Weise geltend
zu machen, die selbst den Niedrigsten demüthigen mußte. Mit dem besten
Willen von der Welt war es unmöglich, ihn lieb zu gewinnen; je länger man
ihn kannte, je mehr man eS versuchte, desto hoffnungsloser wurde das Bemühen.
Leute, die ihn seit Jahren kannten, empfing er mit kaltem Blicke, als wären
sie Fremdlinge, und er sah sie verschmachten und sterben, ohne nur einmal an
sie zu denken. Er schien die Menschen lediglich als seine Werkzeuge zu be¬
trachten. Brauchte er eines, so nahm er es, und brauchte er es nicht mehr,
so legte er es, stumpf geworden und schartig, bei Seite. Vielleicht verursachte
die lange Gewohnheit des Umgangs mit Personen, die ihm auf ungehörige
Weise untergeordnet waren, daß er jeden unter ihm Stehenden wie einen
Sklaven behandelte, dessen beste Bemühung eines Dankes nicht werth war.
Gewiß hatte die Natur nie einen Mann geschaffen, der von Haus aus so
gründlich unliebenswürdig war.

Nicht etwa daß er andern positiv oder sichtbar Böses zugefügt hätte; —
das kann kein Engländer, möge seine Stellung sein, wie sie wolle; aber er
hat manches Herz bluten machen. Er machte Jünglinge ärmer an Hoffnungen
und gab ihnen eine düstere und schwarzgallige Lebensanschauung. Wer sich
vor ihm beugte, wurde sofort zu einem Kriecher und Speichellecker; er hatte
wahrhaftig keine Wahl. Wer mit Sir Hector Stubble gut stehen wollte,
mußte sich zu seinem Sklaven machen — zu seinem demüthigen, im Staube
kriechenden Sklaven. Anders ließ er es sich nicht gefallen. Wer sich darein
nicht schicken wollte, erschien ihm als ganz und gar unnütz und keines Blickes
mehr werth; und von wem Sir Hector einmal so dachte, der konnte ihn mit
demselben freundschaftlichen Gefühl betrachten, wie er eine Person ansehen
würde, die bei der ersten besten Gelegenheit hinter einer Mauer hervor aus
sicherer Ferne eine unfehlbare Kugel auf ihn abzuschießen bereit ist. Er war
ein Tyrann, der Repräsentant eines schlechten Systems; konnte sicher und
straflos tyrannisiren und er that es. Er war zu wenig großmüthig, um jeman¬
den, der ihm mißfiel, ungeschoren zu lassen; so erhob er die starke Hand der
Aurorität und zerschmetterte den Harmlosen ohne Erbarmen. Für niemand
hatte er Herz, Gefühl, Augen, Ohren oder Gedanken, als für Sir Hector
Stubble. Für ihn war die Welt gemacht und alles, was darinnen ist; andere
Leute hatten nichts darin zu suchen, als insoweit sie ihm nützlich sein konn¬
ten. Danach wurde sogar ihr Rang und ihre Stellung bemessen. Sein
Privatsecretär oder sein Kammerdiener, überhaupt jeder, der auf seine persön¬
liche Stellung oder sein persönliches Behagen den mindesten Einfluß hatte,
war ihm eine wichtigere Person, als der größte praktische Philosoph, der die
Menschheit gebessert und höher gehoben hat.

Kein Mensch hat ihm für einen Dienst oder für ein freundliches Wort zu


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99919/310>, abgerufen am 22.07.2024.