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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band.

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finden sich eine Anzahl Mannschaften, welche in Friedenszeiten für ihre Kameraden
die Bekleidung, Stiefel in. anfertigen; da aber jetzt alle unter die Waffen treten
müssen, haben auch diese Nadel und Ahle bei Seite gelegt und zur Muskete
gegriffen. Die Anfertigung der Kleidungsstücke fällt jetzt den Schneidern und
Schuhmachern anheim, die von der allgemeinen Geschäftsstockung ohnedies
schon viel zu leiden haben. Sie erhalten eine gewisse Quantität Tuch oder
Leder und müssen dafür eine bestimmte Anzahl von Artikeln abliefern; aber der
Rohstoff ist bereits durch die Hände der Beamten gegangen, die als Rabatt
sür sich eine gewisse Quantität davon zurückbehalten und dennoch die von der
Regierung vorgeschriebene Zahl fertiger Artikel verlangen. Der arme Hand¬
werker muß demnach das von dem Beamten Entwendete aus seiner Tasche be¬
zahlen und verliert außerdem noch die auf die Arbeit verwendete Zeit. Vorigen
Mai konnte ich in der Stadt, wo ich wohnte, kein Paar Stiefeln gemacht
bekommen, da alle Schuhmacher zum großen Schaden ihres Beutels und ihrer
Kunden von der Regierung beschäftigt waren. Sie erhalten sür diese Arbeit
einen rein nomineller Preis, dessen größere Hälfte abermals in der Tasche der
Beamten hängen bleibt; aber sie dürfen nicht klagen und betrachten das Ganze
als ein nothwendiges Uebel.

Die Kaufleute sind nicht so schweren Verlusten ausgesetzt, als man denken
sollte, wenn man das gänzliche Aufhören alles Ausfuhrhandels in Erwägung
zieht. Allerdings müssen sie beträchtliche Summen zu den freiwilligen Bei¬
trägen zur Deckung der Kriegskosten unterzeichnen; aber da fast alle Geschäfte
gegen baar Geld gemacht werden, so ziehen sie nur ihre Capitalien ein und
warten ruhig die Ereignisse ab. In dieser Classe finden sich die meisten Patrio¬
ten; denn da sie keine andre Sprache als russisch verstehen und, unbekannt
mit andern Ländern, große Anhänglichkeit an Nußland haben, so sehen sie die
Ereignisse nur in dem Lichte, welches die falschgefärbten Darstellungen der Ne¬
gierung darüber verbreiten. Sie waren entzückt von den patriotischen Gedich¬
ten, die in allen russischen Zeitungen die Tapferkeit und die Siege der Waffen
des heiligen Rußland rühmen. Lord Palmerston wird ihnen als ein Un¬
geheuer und als der Urheber des Krieges dargestellt. In einem dieser Gedichte
wird Sr. Herrlichkeit als ein großer General karrikirt, der seine Schlachten
mit dem Zeigefinger aus der Landkarte durchsieht. Seit den Schlachten an
der Alma und von Jnkerman sind jedoch derartige Poesien seltener geworden.
Nur noch eine, die im Frühjahr 1834 verbreitet wurde,, will ich erwähnen.
Es war eine Allegorie, wenn ich nicht irre von einem Schauspieler verfaßt,
und es trat darin als Held ein russischer Molodez, (junger Bursch) auf, der
ruhig seine Straße zieht, als ihm plötzlich drei Männer in den Weg treten:
Ein beturbanter Türke, ein bärtiger Franzos und rothköpfiger englischer Kauf-
Mann. Wenige Streiche seines gewaltigen Armes machen, daß der Türke


finden sich eine Anzahl Mannschaften, welche in Friedenszeiten für ihre Kameraden
die Bekleidung, Stiefel in. anfertigen; da aber jetzt alle unter die Waffen treten
müssen, haben auch diese Nadel und Ahle bei Seite gelegt und zur Muskete
gegriffen. Die Anfertigung der Kleidungsstücke fällt jetzt den Schneidern und
Schuhmachern anheim, die von der allgemeinen Geschäftsstockung ohnedies
schon viel zu leiden haben. Sie erhalten eine gewisse Quantität Tuch oder
Leder und müssen dafür eine bestimmte Anzahl von Artikeln abliefern; aber der
Rohstoff ist bereits durch die Hände der Beamten gegangen, die als Rabatt
sür sich eine gewisse Quantität davon zurückbehalten und dennoch die von der
Regierung vorgeschriebene Zahl fertiger Artikel verlangen. Der arme Hand¬
werker muß demnach das von dem Beamten Entwendete aus seiner Tasche be¬
zahlen und verliert außerdem noch die auf die Arbeit verwendete Zeit. Vorigen
Mai konnte ich in der Stadt, wo ich wohnte, kein Paar Stiefeln gemacht
bekommen, da alle Schuhmacher zum großen Schaden ihres Beutels und ihrer
Kunden von der Regierung beschäftigt waren. Sie erhalten sür diese Arbeit
einen rein nomineller Preis, dessen größere Hälfte abermals in der Tasche der
Beamten hängen bleibt; aber sie dürfen nicht klagen und betrachten das Ganze
als ein nothwendiges Uebel.

Die Kaufleute sind nicht so schweren Verlusten ausgesetzt, als man denken
sollte, wenn man das gänzliche Aufhören alles Ausfuhrhandels in Erwägung
zieht. Allerdings müssen sie beträchtliche Summen zu den freiwilligen Bei¬
trägen zur Deckung der Kriegskosten unterzeichnen; aber da fast alle Geschäfte
gegen baar Geld gemacht werden, so ziehen sie nur ihre Capitalien ein und
warten ruhig die Ereignisse ab. In dieser Classe finden sich die meisten Patrio¬
ten; denn da sie keine andre Sprache als russisch verstehen und, unbekannt
mit andern Ländern, große Anhänglichkeit an Nußland haben, so sehen sie die
Ereignisse nur in dem Lichte, welches die falschgefärbten Darstellungen der Ne¬
gierung darüber verbreiten. Sie waren entzückt von den patriotischen Gedich¬
ten, die in allen russischen Zeitungen die Tapferkeit und die Siege der Waffen
des heiligen Rußland rühmen. Lord Palmerston wird ihnen als ein Un¬
geheuer und als der Urheber des Krieges dargestellt. In einem dieser Gedichte
wird Sr. Herrlichkeit als ein großer General karrikirt, der seine Schlachten
mit dem Zeigefinger aus der Landkarte durchsieht. Seit den Schlachten an
der Alma und von Jnkerman sind jedoch derartige Poesien seltener geworden.
Nur noch eine, die im Frühjahr 1834 verbreitet wurde,, will ich erwähnen.
Es war eine Allegorie, wenn ich nicht irre von einem Schauspieler verfaßt,
und es trat darin als Held ein russischer Molodez, (junger Bursch) auf, der
ruhig seine Straße zieht, als ihm plötzlich drei Männer in den Weg treten:
Ein beturbanter Türke, ein bärtiger Franzos und rothköpfiger englischer Kauf-
Mann. Wenige Streiche seines gewaltigen Armes machen, daß der Türke


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99919/295>, abgerufen am 02.07.2024.