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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band.

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aber sie sind oft 120 Werst vom Hause, so daß sie nach monatelanger Abwesen¬
heit zwar ihre Hütte wiederfinden, aber rein ausgeräumt von denselben hungri¬
gen Soldaten, deren Geschütze sie mit so großen Beschwerden transportirt
haben. Man darf nicht etwa denken, daß das Mitnehmen sich blos auf
Lebensmittel beschränkte, sondern dem Schicksale war alles unterworfen, was
nicht niet- und nagelfest war, selbst leichtere Stücke Hausrath. Das Gestohlene
wurde dann meistens im nächsten Quartier für Branntwein verkauft, viel¬
leicht um von dem nächsten Trupp wieder gestohlen zu werden. Häufig kam
es vor, daß sich Truppentheile auf dem Marsche kreuzten, und dann wurden
die Einzelnen so stark belegt, daß der Bauer und seine Familie in den Ställen
bei dem Vieh oder auf dem Schnee schlafen mußten, denn Slujba (wie der
Bauer den Soldaten nennt) muß sein Quartier haben. Uebrigens waren die
Leiden der Truppen auf ihren Märschen während des Winters auch nicht
gering.

Was der Krieg in ganz Nußland für Leiden nach sich zieht, wird man
sich in dem Lande selbst nicht bewußt, denn es dringt keine Kunde von einem
Ende desselben zum andern. Alles wird auf das sorgfältigste geheim ge¬
halten, und nur diejenigen, welche Mithandelnde oder unfreiwillige Zuschauer
sind, wissen etwas von dem wirklichen Stand der Sache. Selbst in Se. Peters¬
burg erfährt man weiter nichts, als was die offiziellen Bekanntmachungen mit¬
theilen, und manchmal weiß man in dieser Hauptstadt von den Zuständen im
Innern des Landes weniger als in England. Jedermann scheut sich, über
diese Gegenstände anders als in Lobeserhebungen über die Maßregeln einer
väterlichen Negierung zu sprechen. Eine hierher gehörige Anekdote wurde in
Nußland im Frühjahr erzählt. Ein Nüsse, der im Civilstaatsdienst den
Nang eines Generals erreicht hatte, äußerte sich im Theater über die lächer¬
lichen Angaben des von den russischen Truppen in den verschiedenen Schlach¬
ten erlittenen Verlustes in den Zeitungen. Der Polizeimeister, der dabei war,
hörte es und bemerkte, daß er sich gezwungen sehe, seine Aeußerungen dem
Grafen Orloff zu berichten; denn wenn er es nicht thäte, könnte es ein anderer
von den Anwesenden thun und er würde sich dann schaden. Tags daraus er¬
hielt der General eine Zufertigung, daß der Kaiser ihm befehle, sich sofort zur
Donauarmee zu begeben, um sich durch Zählen der Todten und Verwundeten
nach jeder Schlacht selbst von der Richtigkeit der amtlichen Angaben zu über¬
zeugen, und daß sein militärischer Rang der eines Majors sein solle. An
demselben Tage stand in der amtlichen Zeitung: "der wirkliche Staatsrath
ist auf seinen Wunsch mit dem Range eines Majors der activen Armee zu¬
getheilt worden."

Am meisten fällt der Druck des Krieges auf die Handwerker in den
Städten; namentlich Schuhmacher und Schneider. In allen Regimentern be-


aber sie sind oft 120 Werst vom Hause, so daß sie nach monatelanger Abwesen¬
heit zwar ihre Hütte wiederfinden, aber rein ausgeräumt von denselben hungri¬
gen Soldaten, deren Geschütze sie mit so großen Beschwerden transportirt
haben. Man darf nicht etwa denken, daß das Mitnehmen sich blos auf
Lebensmittel beschränkte, sondern dem Schicksale war alles unterworfen, was
nicht niet- und nagelfest war, selbst leichtere Stücke Hausrath. Das Gestohlene
wurde dann meistens im nächsten Quartier für Branntwein verkauft, viel¬
leicht um von dem nächsten Trupp wieder gestohlen zu werden. Häufig kam
es vor, daß sich Truppentheile auf dem Marsche kreuzten, und dann wurden
die Einzelnen so stark belegt, daß der Bauer und seine Familie in den Ställen
bei dem Vieh oder auf dem Schnee schlafen mußten, denn Slujba (wie der
Bauer den Soldaten nennt) muß sein Quartier haben. Uebrigens waren die
Leiden der Truppen auf ihren Märschen während des Winters auch nicht
gering.

Was der Krieg in ganz Nußland für Leiden nach sich zieht, wird man
sich in dem Lande selbst nicht bewußt, denn es dringt keine Kunde von einem
Ende desselben zum andern. Alles wird auf das sorgfältigste geheim ge¬
halten, und nur diejenigen, welche Mithandelnde oder unfreiwillige Zuschauer
sind, wissen etwas von dem wirklichen Stand der Sache. Selbst in Se. Peters¬
burg erfährt man weiter nichts, als was die offiziellen Bekanntmachungen mit¬
theilen, und manchmal weiß man in dieser Hauptstadt von den Zuständen im
Innern des Landes weniger als in England. Jedermann scheut sich, über
diese Gegenstände anders als in Lobeserhebungen über die Maßregeln einer
väterlichen Negierung zu sprechen. Eine hierher gehörige Anekdote wurde in
Nußland im Frühjahr erzählt. Ein Nüsse, der im Civilstaatsdienst den
Nang eines Generals erreicht hatte, äußerte sich im Theater über die lächer¬
lichen Angaben des von den russischen Truppen in den verschiedenen Schlach¬
ten erlittenen Verlustes in den Zeitungen. Der Polizeimeister, der dabei war,
hörte es und bemerkte, daß er sich gezwungen sehe, seine Aeußerungen dem
Grafen Orloff zu berichten; denn wenn er es nicht thäte, könnte es ein anderer
von den Anwesenden thun und er würde sich dann schaden. Tags daraus er¬
hielt der General eine Zufertigung, daß der Kaiser ihm befehle, sich sofort zur
Donauarmee zu begeben, um sich durch Zählen der Todten und Verwundeten
nach jeder Schlacht selbst von der Richtigkeit der amtlichen Angaben zu über¬
zeugen, und daß sein militärischer Rang der eines Majors sein solle. An
demselben Tage stand in der amtlichen Zeitung: „der wirkliche Staatsrath
ist auf seinen Wunsch mit dem Range eines Majors der activen Armee zu¬
getheilt worden."

Am meisten fällt der Druck des Krieges auf die Handwerker in den
Städten; namentlich Schuhmacher und Schneider. In allen Regimentern be-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99919/294>, abgerufen am 22.12.2024.