Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite
Kriegsleiden in Rußland.

Russische Federn spotten der Bemühungen der Verbündeten, Rußland
Schaden zuzufügen; sie verhöhnen die gewaltigen Flotten, die sich außer Stande
sehen, Kronstäbe oder Sebastopol einzunehmen und sich auf den Krieg- gegen
Kauffahrteischiffe beschränken; sie behaupten, solchen ohnmächtigen Angriffen
gegenüber bleibe Rußlands Macht ungelähmt. Der- dichte Schleier, den die
Regierung des Zaren von jeher über die russischen Zustände zu breiten geliebt
hat, unterstützt dieses Bestreben aufs beste, und es wird daher der von Peters¬
burg aus inspirirter Presse leicht, dem weniger Kundigen Rußland als einen
unangreifbaren und unbesiegbaren Riesen darzustellen. Desto schätzbarer muß
uns jede Kunde sein, die uns unparteiische Stimmen aus dem Innern des
Zarenreichs bringen, und wir benutzen daher mit Freuden den Bericht eines
Engländers, der eine Reihe von Jahren in Rußland wohnhaft gewesen und
erst diesen Sommer nach England zurückgekehrt ist. In einer der geachtetsten und
zuverlässigsten englischen Monatsschriften, dem in Edinburgh erscheinenden Black-
woods-Magazin, gibt er mit der Schmucklosigkeit eines wahrheitliebenden Be¬
richterstatters in einem längeren Artikel Rechenschaft über die gegenwärtigen
Nothstände im Innern Rußlands, und wir theilen den wesentlichen Inhalt
der interessanten Arbeit in Folgendem mit. >

Am meisten leiden durch den gegenwärtigen Krieg die Grundeigenthümer.
Wird er lange fortgesetzt, so muß der größte Theil derselben zu Grunde gehen.
Als Beweis für diese Meinung mögen folgende Thatsachen dienen, die ich selbst
auf einem Gute beobachtet habe, wo ich mehre Jahre wohnte, und die als
Durchschnittsbeispiel für das ganze Land gelten können. Jedoch darf man nicht
vergessen, daß ich nur vom südlichen Nußland spreche, da ich das nördliche ver-
hältiußmäßig wenig kenne. Das fragliche Gut hat einen Flächenraum von unge¬
fähr "0,000 englischen Ackern mit 1300 Leibeigenen. Seine Haupterzeugnisse
bestehen aus Leinsamen, Getreide und Wolle, die alle über die Häfen des
schwarzen und asowschen Meeres ins Ausland verführt wurden. Da diese beiden
Meere jetzt seit längerer Zeit gesperrt sind, so verfaulen alle Rohproducte in
den Speichern der Producenten, mit der einzigen Ausnahme der Wolle, die


Grcnzbvte". III. 1866. 36
Kriegsleiden in Rußland.

Russische Federn spotten der Bemühungen der Verbündeten, Rußland
Schaden zuzufügen; sie verhöhnen die gewaltigen Flotten, die sich außer Stande
sehen, Kronstäbe oder Sebastopol einzunehmen und sich auf den Krieg- gegen
Kauffahrteischiffe beschränken; sie behaupten, solchen ohnmächtigen Angriffen
gegenüber bleibe Rußlands Macht ungelähmt. Der- dichte Schleier, den die
Regierung des Zaren von jeher über die russischen Zustände zu breiten geliebt
hat, unterstützt dieses Bestreben aufs beste, und es wird daher der von Peters¬
burg aus inspirirter Presse leicht, dem weniger Kundigen Rußland als einen
unangreifbaren und unbesiegbaren Riesen darzustellen. Desto schätzbarer muß
uns jede Kunde sein, die uns unparteiische Stimmen aus dem Innern des
Zarenreichs bringen, und wir benutzen daher mit Freuden den Bericht eines
Engländers, der eine Reihe von Jahren in Rußland wohnhaft gewesen und
erst diesen Sommer nach England zurückgekehrt ist. In einer der geachtetsten und
zuverlässigsten englischen Monatsschriften, dem in Edinburgh erscheinenden Black-
woods-Magazin, gibt er mit der Schmucklosigkeit eines wahrheitliebenden Be¬
richterstatters in einem längeren Artikel Rechenschaft über die gegenwärtigen
Nothstände im Innern Rußlands, und wir theilen den wesentlichen Inhalt
der interessanten Arbeit in Folgendem mit. >

Am meisten leiden durch den gegenwärtigen Krieg die Grundeigenthümer.
Wird er lange fortgesetzt, so muß der größte Theil derselben zu Grunde gehen.
Als Beweis für diese Meinung mögen folgende Thatsachen dienen, die ich selbst
auf einem Gute beobachtet habe, wo ich mehre Jahre wohnte, und die als
Durchschnittsbeispiel für das ganze Land gelten können. Jedoch darf man nicht
vergessen, daß ich nur vom südlichen Nußland spreche, da ich das nördliche ver-
hältiußmäßig wenig kenne. Das fragliche Gut hat einen Flächenraum von unge¬
fähr »0,000 englischen Ackern mit 1300 Leibeigenen. Seine Haupterzeugnisse
bestehen aus Leinsamen, Getreide und Wolle, die alle über die Häfen des
schwarzen und asowschen Meeres ins Ausland verführt wurden. Da diese beiden
Meere jetzt seit längerer Zeit gesperrt sind, so verfaulen alle Rohproducte in
den Speichern der Producenten, mit der einzigen Ausnahme der Wolle, die


Grcnzbvte». III. 1866. 36
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0289" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/100209"/>
          </div>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Kriegsleiden in Rußland.</head><lb/>
          <p xml:id="ID_848"> Russische Federn spotten der Bemühungen der Verbündeten, Rußland<lb/>
Schaden zuzufügen; sie verhöhnen die gewaltigen Flotten, die sich außer Stande<lb/>
sehen, Kronstäbe oder Sebastopol einzunehmen und sich auf den Krieg- gegen<lb/>
Kauffahrteischiffe beschränken; sie behaupten, solchen ohnmächtigen Angriffen<lb/>
gegenüber bleibe Rußlands Macht ungelähmt. Der- dichte Schleier, den die<lb/>
Regierung des Zaren von jeher über die russischen Zustände zu breiten geliebt<lb/>
hat, unterstützt dieses Bestreben aufs beste, und es wird daher der von Peters¬<lb/>
burg aus inspirirter Presse leicht, dem weniger Kundigen Rußland als einen<lb/>
unangreifbaren und unbesiegbaren Riesen darzustellen. Desto schätzbarer muß<lb/>
uns jede Kunde sein, die uns unparteiische Stimmen aus dem Innern des<lb/>
Zarenreichs bringen, und wir benutzen daher mit Freuden den Bericht eines<lb/>
Engländers, der eine Reihe von Jahren in Rußland wohnhaft gewesen und<lb/>
erst diesen Sommer nach England zurückgekehrt ist. In einer der geachtetsten und<lb/>
zuverlässigsten englischen Monatsschriften, dem in Edinburgh erscheinenden Black-<lb/>
woods-Magazin, gibt er mit der Schmucklosigkeit eines wahrheitliebenden Be¬<lb/>
richterstatters in einem längeren Artikel Rechenschaft über die gegenwärtigen<lb/>
Nothstände im Innern Rußlands, und wir theilen den wesentlichen Inhalt<lb/>
der interessanten Arbeit in Folgendem mit. &gt;</p><lb/>
          <p xml:id="ID_849" next="#ID_850"> Am meisten leiden durch den gegenwärtigen Krieg die Grundeigenthümer.<lb/>
Wird er lange fortgesetzt, so muß der größte Theil derselben zu Grunde gehen.<lb/>
Als Beweis für diese Meinung mögen folgende Thatsachen dienen, die ich selbst<lb/>
auf einem Gute beobachtet habe, wo ich mehre Jahre wohnte, und die als<lb/>
Durchschnittsbeispiel für das ganze Land gelten können. Jedoch darf man nicht<lb/>
vergessen, daß ich nur vom südlichen Nußland spreche, da ich das nördliche ver-<lb/>
hältiußmäßig wenig kenne. Das fragliche Gut hat einen Flächenraum von unge¬<lb/>
fähr »0,000 englischen Ackern mit 1300 Leibeigenen. Seine Haupterzeugnisse<lb/>
bestehen aus Leinsamen, Getreide und Wolle, die alle über die Häfen des<lb/>
schwarzen und asowschen Meeres ins Ausland verführt wurden. Da diese beiden<lb/>
Meere jetzt seit längerer Zeit gesperrt sind, so verfaulen alle Rohproducte in<lb/>
den Speichern der Producenten, mit der einzigen Ausnahme der Wolle, die</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grcnzbvte». III. 1866. 36</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0289] Kriegsleiden in Rußland. Russische Federn spotten der Bemühungen der Verbündeten, Rußland Schaden zuzufügen; sie verhöhnen die gewaltigen Flotten, die sich außer Stande sehen, Kronstäbe oder Sebastopol einzunehmen und sich auf den Krieg- gegen Kauffahrteischiffe beschränken; sie behaupten, solchen ohnmächtigen Angriffen gegenüber bleibe Rußlands Macht ungelähmt. Der- dichte Schleier, den die Regierung des Zaren von jeher über die russischen Zustände zu breiten geliebt hat, unterstützt dieses Bestreben aufs beste, und es wird daher der von Peters¬ burg aus inspirirter Presse leicht, dem weniger Kundigen Rußland als einen unangreifbaren und unbesiegbaren Riesen darzustellen. Desto schätzbarer muß uns jede Kunde sein, die uns unparteiische Stimmen aus dem Innern des Zarenreichs bringen, und wir benutzen daher mit Freuden den Bericht eines Engländers, der eine Reihe von Jahren in Rußland wohnhaft gewesen und erst diesen Sommer nach England zurückgekehrt ist. In einer der geachtetsten und zuverlässigsten englischen Monatsschriften, dem in Edinburgh erscheinenden Black- woods-Magazin, gibt er mit der Schmucklosigkeit eines wahrheitliebenden Be¬ richterstatters in einem längeren Artikel Rechenschaft über die gegenwärtigen Nothstände im Innern Rußlands, und wir theilen den wesentlichen Inhalt der interessanten Arbeit in Folgendem mit. > Am meisten leiden durch den gegenwärtigen Krieg die Grundeigenthümer. Wird er lange fortgesetzt, so muß der größte Theil derselben zu Grunde gehen. Als Beweis für diese Meinung mögen folgende Thatsachen dienen, die ich selbst auf einem Gute beobachtet habe, wo ich mehre Jahre wohnte, und die als Durchschnittsbeispiel für das ganze Land gelten können. Jedoch darf man nicht vergessen, daß ich nur vom südlichen Nußland spreche, da ich das nördliche ver- hältiußmäßig wenig kenne. Das fragliche Gut hat einen Flächenraum von unge¬ fähr »0,000 englischen Ackern mit 1300 Leibeigenen. Seine Haupterzeugnisse bestehen aus Leinsamen, Getreide und Wolle, die alle über die Häfen des schwarzen und asowschen Meeres ins Ausland verführt wurden. Da diese beiden Meere jetzt seit längerer Zeit gesperrt sind, so verfaulen alle Rohproducte in den Speichern der Producenten, mit der einzigen Ausnahme der Wolle, die Grcnzbvte». III. 1866. 36

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99919
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99919/289
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99919/289>, abgerufen am 22.12.2024.