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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band.

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Jahrzehnt hohe Bedeutung gewinnenden Straßen nach Persien und Indien ent¬
rissen.

Man ist hier allgemein auf den Verlust von Kars gefaßt; auch die in Kon-
stantinopel erscheinenden offiziellen Blätter machen sich keine Illusionen über diesen
Punkt. An und für sich für eine Befestigung ungünstig gelegen, ist der Platz
ohne Rücksichtnahme ans die zu seiner Vertheidigung disponiblen Kräfte befestigt
morden. Man beschreibt mir die Werke als ausnehmend ausgedehnt, und ein an
Ort und Stelle gewesener und mit der ganzen Localität vertrauter höherer türkischer
Offizier schätzt den Truppenbedarf aus mindestens 30,000 Mann. Wieweit dieser
Forderung genügt werden konnte, mag der Umstand klar machen, daß die ganze
sogenannte Armee von Kars zur Zeit nur aus 17,000 Maun besteht. Man will
hier wissen, daß sie sich in der Festung concentrirt und Wasstf Pascha, der englische
Oberst Williams (Williams Pascha) und ein römischer Oberst, Calandrelli, sich an
ihrer Spitze befinden. Danach scheint Erzerum, welches ebenfalls befestigt wurde,
ziemlich entblößt zu sein.

Alle hier gemachten Anstrengungen sind jetzt darauf gerichtet, Verstärkungen
nach dem letzteren Punkte zu, schaffen. Erst neulich ging ein Transportdampser
mit 000 Artilleristen zu diesem Zweck nach Trapezunt ab, und gestern wie hente
folgten andere Truppen nach; mir ist unbekannt geblieben, in welcher Anzahl.

Beklagenswert!) ist es, daß die englisch-türkische Legion, deren Organisation
man auf den beiden Punkten Hünkier Jskalessi am Bosporus und Gallipoli am
Eingang der Dardanellen betreibt nur ausnehmend langsam fortschreitet. Es läßt
sich nicht absehen, wenn diese Truppenmacht, die ursprünglich auf eine Stärke von
23,000 Mann berechnet war und jetzt, wie ich höre, etwa 13,000 Mann zählt,
operationsbereit sein wird. Man sagt mir, daß außerdem in Gallipoli bedeutende
Unordnungen unter den englisch-türkischen Rekruten vorgekommen seien. Diese
letztem sind zum Theil dem türkischen Heere, zum andern Theil ohne vorheriges
Exercitium deu kriegerischesten muselmanischen Stämmen entnommen und bilden
namentlich an den Dardanellen, wo man die Reiterei zu formiren beabsichtigt,
einen sehr irregulären Hansen von Arnauten, Arabern und Kurden. Oberst Beatsvn,
welcher für das Commando dieses Corps bestimmt ist und die Organisation zu be¬
sorgen hat, soll in seinem Hause von Arnauten und Albanesen belagert und
letztlich zur Flucht gezwungen worden sein. Von seinem Dragoman aber erzählt
man sich, daß derselbe schwer mißhandelt wurde. Es ist nicht daran zu zweifeln,
daß einige Bataillone türkischer Nisams, (reguläre Truppen) die in Schanak Kalessi
nahe zur Hand sind, die Ordnung schnell wiederhergestellt haben werden. Die
Vorkommnisse bleiben aber deßungcachtct sehr bedauernswerth.




Herausgegeben von Gustav Freytag "ud Julian Schmidt"
Als verantwortl. Redacteur legitimirN F. W. Grunow. -- Verlag von L. F. Hcrbig
in Leipzig.
Druck von C. E. Elberi in Leipzig.

Jahrzehnt hohe Bedeutung gewinnenden Straßen nach Persien und Indien ent¬
rissen.

Man ist hier allgemein auf den Verlust von Kars gefaßt; auch die in Kon-
stantinopel erscheinenden offiziellen Blätter machen sich keine Illusionen über diesen
Punkt. An und für sich für eine Befestigung ungünstig gelegen, ist der Platz
ohne Rücksichtnahme ans die zu seiner Vertheidigung disponiblen Kräfte befestigt
morden. Man beschreibt mir die Werke als ausnehmend ausgedehnt, und ein an
Ort und Stelle gewesener und mit der ganzen Localität vertrauter höherer türkischer
Offizier schätzt den Truppenbedarf aus mindestens 30,000 Mann. Wieweit dieser
Forderung genügt werden konnte, mag der Umstand klar machen, daß die ganze
sogenannte Armee von Kars zur Zeit nur aus 17,000 Maun besteht. Man will
hier wissen, daß sie sich in der Festung concentrirt und Wasstf Pascha, der englische
Oberst Williams (Williams Pascha) und ein römischer Oberst, Calandrelli, sich an
ihrer Spitze befinden. Danach scheint Erzerum, welches ebenfalls befestigt wurde,
ziemlich entblößt zu sein.

Alle hier gemachten Anstrengungen sind jetzt darauf gerichtet, Verstärkungen
nach dem letzteren Punkte zu, schaffen. Erst neulich ging ein Transportdampser
mit 000 Artilleristen zu diesem Zweck nach Trapezunt ab, und gestern wie hente
folgten andere Truppen nach; mir ist unbekannt geblieben, in welcher Anzahl.

Beklagenswert!) ist es, daß die englisch-türkische Legion, deren Organisation
man auf den beiden Punkten Hünkier Jskalessi am Bosporus und Gallipoli am
Eingang der Dardanellen betreibt nur ausnehmend langsam fortschreitet. Es läßt
sich nicht absehen, wenn diese Truppenmacht, die ursprünglich auf eine Stärke von
23,000 Mann berechnet war und jetzt, wie ich höre, etwa 13,000 Mann zählt,
operationsbereit sein wird. Man sagt mir, daß außerdem in Gallipoli bedeutende
Unordnungen unter den englisch-türkischen Rekruten vorgekommen seien. Diese
letztem sind zum Theil dem türkischen Heere, zum andern Theil ohne vorheriges
Exercitium deu kriegerischesten muselmanischen Stämmen entnommen und bilden
namentlich an den Dardanellen, wo man die Reiterei zu formiren beabsichtigt,
einen sehr irregulären Hansen von Arnauten, Arabern und Kurden. Oberst Beatsvn,
welcher für das Commando dieses Corps bestimmt ist und die Organisation zu be¬
sorgen hat, soll in seinem Hause von Arnauten und Albanesen belagert und
letztlich zur Flucht gezwungen worden sein. Von seinem Dragoman aber erzählt
man sich, daß derselbe schwer mißhandelt wurde. Es ist nicht daran zu zweifeln,
daß einige Bataillone türkischer Nisams, (reguläre Truppen) die in Schanak Kalessi
nahe zur Hand sind, die Ordnung schnell wiederhergestellt haben werden. Die
Vorkommnisse bleiben aber deßungcachtct sehr bedauernswerth.




Herausgegeben von Gustav Freytag »ud Julian Schmidt«
Als verantwortl. Redacteur legitimirN F. W. Grunow. — Verlag von L. F. Hcrbig
in Leipzig.
Druck von C. E. Elberi in Leipzig.
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[0288] Jahrzehnt hohe Bedeutung gewinnenden Straßen nach Persien und Indien ent¬ rissen. Man ist hier allgemein auf den Verlust von Kars gefaßt; auch die in Kon- stantinopel erscheinenden offiziellen Blätter machen sich keine Illusionen über diesen Punkt. An und für sich für eine Befestigung ungünstig gelegen, ist der Platz ohne Rücksichtnahme ans die zu seiner Vertheidigung disponiblen Kräfte befestigt morden. Man beschreibt mir die Werke als ausnehmend ausgedehnt, und ein an Ort und Stelle gewesener und mit der ganzen Localität vertrauter höherer türkischer Offizier schätzt den Truppenbedarf aus mindestens 30,000 Mann. Wieweit dieser Forderung genügt werden konnte, mag der Umstand klar machen, daß die ganze sogenannte Armee von Kars zur Zeit nur aus 17,000 Maun besteht. Man will hier wissen, daß sie sich in der Festung concentrirt und Wasstf Pascha, der englische Oberst Williams (Williams Pascha) und ein römischer Oberst, Calandrelli, sich an ihrer Spitze befinden. Danach scheint Erzerum, welches ebenfalls befestigt wurde, ziemlich entblößt zu sein. Alle hier gemachten Anstrengungen sind jetzt darauf gerichtet, Verstärkungen nach dem letzteren Punkte zu, schaffen. Erst neulich ging ein Transportdampser mit 000 Artilleristen zu diesem Zweck nach Trapezunt ab, und gestern wie hente folgten andere Truppen nach; mir ist unbekannt geblieben, in welcher Anzahl. Beklagenswert!) ist es, daß die englisch-türkische Legion, deren Organisation man auf den beiden Punkten Hünkier Jskalessi am Bosporus und Gallipoli am Eingang der Dardanellen betreibt nur ausnehmend langsam fortschreitet. Es läßt sich nicht absehen, wenn diese Truppenmacht, die ursprünglich auf eine Stärke von 23,000 Mann berechnet war und jetzt, wie ich höre, etwa 13,000 Mann zählt, operationsbereit sein wird. Man sagt mir, daß außerdem in Gallipoli bedeutende Unordnungen unter den englisch-türkischen Rekruten vorgekommen seien. Diese letztem sind zum Theil dem türkischen Heere, zum andern Theil ohne vorheriges Exercitium deu kriegerischesten muselmanischen Stämmen entnommen und bilden namentlich an den Dardanellen, wo man die Reiterei zu formiren beabsichtigt, einen sehr irregulären Hansen von Arnauten, Arabern und Kurden. Oberst Beatsvn, welcher für das Commando dieses Corps bestimmt ist und die Organisation zu be¬ sorgen hat, soll in seinem Hause von Arnauten und Albanesen belagert und letztlich zur Flucht gezwungen worden sein. Von seinem Dragoman aber erzählt man sich, daß derselbe schwer mißhandelt wurde. Es ist nicht daran zu zweifeln, daß einige Bataillone türkischer Nisams, (reguläre Truppen) die in Schanak Kalessi nahe zur Hand sind, die Ordnung schnell wiederhergestellt haben werden. Die Vorkommnisse bleiben aber deßungcachtct sehr bedauernswerth. Herausgegeben von Gustav Freytag »ud Julian Schmidt« Als verantwortl. Redacteur legitimirN F. W. Grunow. — Verlag von L. F. Hcrbig in Leipzig. Druck von C. E. Elberi in Leipzig.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99919/288>, abgerufen am 25.08.2024.