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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band.

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hätte, und sie geben den ganzen Tert dieser Conversation wieder, in der Ma¬
nier jenes bekannten Aufschneiders Marc de Saint-Hilaire, der die stummen
Monologe Napoleons 1., mit großen Schritten die weiten Galerien von Fon-
tainebleau durchwandelnd, stenographirt hat. Wenn sie nicht an den Thüren
gehorcht, oder von dem Kriegsminister die genaue Relation seiner Unter¬
haltung mit dem Kaiser der Franzosen erhalten haben, sehe ich nicht ein,
wie sie die Authenticität der Worte, die sie dem Erwählten des Volks
in den Mund legen, beweisen können. Diese Manie der Journale, Kon¬
versationen wiederzugeben, wovon sie unmöglich Zeuge sein konnten, da-
tirt nicht von gestern, und sie erinnert mich an jene Zeitungsschreiber,
welche die Kutscher und Lakaien der Ambassadeure auf dem Congreß von
Nimwegen ausfragten, um zu erfahren, was in der Tagessitzung ent¬
schieden worden. Voltaire hat damals diese Sorte von Federfuchsern ge¬
geißelt. Seit Voltaire aber hat die Presse an Talent und Würde gewonnen
und es verursacht ein peinliches Gefühl, Journale zu sehen, welche mit gro¬
tesker Wichtigkeit die Rolle jener Neuigkeitsklämer übernehmen, die ihre Offen¬
barungen auf den Banketten deS Vorzimmers, nach den Dictaten Lafleurs
oder jenes Schlingels von Jasmin schreiben, der durch den Grvom eines Ge¬
sandten alle geheimen Artikel des Vertrags kennt, worüber Sr. Excellenz ihn
zuweilen zu consultiren würdigt. Der Sun hat nicht ermangelt, sich ebenso
lächerlich zu machen, indem er eine Unterhaltung König Leopolds mit Lord
Palmerston wiedergab; "und es scheint," setzte der Sun hinzu, "daß die Vor¬
stellungen des Königs der Belgier den ersten Minister Englands vollständig
bekehrt haben und daß die Neutralität Belgiens in dem gegenwärtigen Kriege
auch ferner wird geachtet werden und man von ihm keinen Mann verlangt,
um Theil an dem Kriege in der Krim zu nehmen." Was der Sun von dem
Kammerdiener Lord Palmerstvns, der ihm Abends die Stiefeln auszieht, er¬
fahren hat, dem fügten unsre Journale noch die Geheimnisse bei, die ihnen
Ver Barbier eines Lampenputzers aus dem königlichen Schlosse zu Laeken an¬
vertraut hatte. In diesen Klatschereien einiger belgischen Journale sehe ich
nichts, als den Wunsch, sich eine gewisse Wichtigkeit in den Augen ihrer Leser
zu geben, daß sie mehr wissen, wie ihre Concurrenten; es ist daS eine einfache
Reclame für das Geschäft. Die Sache nimmt aber unter der perfiden und
unloyalen Feder gewisser pariser Blätter einen andern Charakter an. In ofsi-
ciöser Weise geschützt und aufgemuntert arbeiten sie in der Stille daran, alles,
was die Ehre und die Stärke deS Landes ausmacht, zu Grunde zu richten,
seine beliebte und gerechte Dynastie, seine von ganz Europa beneideten Frei¬
heiten, seine Neutralität, die das Gold und das Blut sür die Tage bewahrt,
wo daS Vaterland ihrer bedarf. Diese heuchlerischen Organe sind es, welche
die arglistige Combination erfunden haben, wonach Belgien die französische


hätte, und sie geben den ganzen Tert dieser Conversation wieder, in der Ma¬
nier jenes bekannten Aufschneiders Marc de Saint-Hilaire, der die stummen
Monologe Napoleons 1., mit großen Schritten die weiten Galerien von Fon-
tainebleau durchwandelnd, stenographirt hat. Wenn sie nicht an den Thüren
gehorcht, oder von dem Kriegsminister die genaue Relation seiner Unter¬
haltung mit dem Kaiser der Franzosen erhalten haben, sehe ich nicht ein,
wie sie die Authenticität der Worte, die sie dem Erwählten des Volks
in den Mund legen, beweisen können. Diese Manie der Journale, Kon¬
versationen wiederzugeben, wovon sie unmöglich Zeuge sein konnten, da-
tirt nicht von gestern, und sie erinnert mich an jene Zeitungsschreiber,
welche die Kutscher und Lakaien der Ambassadeure auf dem Congreß von
Nimwegen ausfragten, um zu erfahren, was in der Tagessitzung ent¬
schieden worden. Voltaire hat damals diese Sorte von Federfuchsern ge¬
geißelt. Seit Voltaire aber hat die Presse an Talent und Würde gewonnen
und es verursacht ein peinliches Gefühl, Journale zu sehen, welche mit gro¬
tesker Wichtigkeit die Rolle jener Neuigkeitsklämer übernehmen, die ihre Offen¬
barungen auf den Banketten deS Vorzimmers, nach den Dictaten Lafleurs
oder jenes Schlingels von Jasmin schreiben, der durch den Grvom eines Ge¬
sandten alle geheimen Artikel des Vertrags kennt, worüber Sr. Excellenz ihn
zuweilen zu consultiren würdigt. Der Sun hat nicht ermangelt, sich ebenso
lächerlich zu machen, indem er eine Unterhaltung König Leopolds mit Lord
Palmerston wiedergab; „und es scheint," setzte der Sun hinzu, „daß die Vor¬
stellungen des Königs der Belgier den ersten Minister Englands vollständig
bekehrt haben und daß die Neutralität Belgiens in dem gegenwärtigen Kriege
auch ferner wird geachtet werden und man von ihm keinen Mann verlangt,
um Theil an dem Kriege in der Krim zu nehmen." Was der Sun von dem
Kammerdiener Lord Palmerstvns, der ihm Abends die Stiefeln auszieht, er¬
fahren hat, dem fügten unsre Journale noch die Geheimnisse bei, die ihnen
Ver Barbier eines Lampenputzers aus dem königlichen Schlosse zu Laeken an¬
vertraut hatte. In diesen Klatschereien einiger belgischen Journale sehe ich
nichts, als den Wunsch, sich eine gewisse Wichtigkeit in den Augen ihrer Leser
zu geben, daß sie mehr wissen, wie ihre Concurrenten; es ist daS eine einfache
Reclame für das Geschäft. Die Sache nimmt aber unter der perfiden und
unloyalen Feder gewisser pariser Blätter einen andern Charakter an. In ofsi-
ciöser Weise geschützt und aufgemuntert arbeiten sie in der Stille daran, alles,
was die Ehre und die Stärke deS Landes ausmacht, zu Grunde zu richten,
seine beliebte und gerechte Dynastie, seine von ganz Europa beneideten Frei¬
heiten, seine Neutralität, die das Gold und das Blut sür die Tage bewahrt,
wo daS Vaterland ihrer bedarf. Diese heuchlerischen Organe sind es, welche
die arglistige Combination erfunden haben, wonach Belgien die französische


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99919/280>, abgerufen am 22.07.2024.