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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band.

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musik versucht. Propaganda wird das Blatt im Westen Europas nicht machen;
es wird diejenigen nicht zur Bewunderung des russischen Regimes bekehren,
die nicht schon Parteigänger des Absolutismus sind. Aber andererseits dürste
es einen gewissen nützlichen Charakter haben, indem es den imperialistischen
Dithyramben, tagtäglich von englischen, französischen und belgischen Blättern
angestimmt, einen Dämpfer aufsetzt, und gewisse Thatsachen, die man sich zu
verfälschen bemüht, in ihrer Wahrheit wieder herstellt.

Wenn man den Zeitungen glauben sollte, so ließen England und beson¬
ders Frankreich keine Ruhe und drängten fortwährend in die belgische Regie¬
rung, die unsrem Lande durch internationale Verträge gebotene Neutralität zu
brechen und in die westliche Allianz einzutreten, indem wir den alliirten Armeen
im Orient ein anständiges Contingent zusenden, oder, wie es zuletzt hieß,
das französische Erpeditionscorps in Rom durch 20 bis 23,000 Mann von
unsern Truppen ersetzen sollen. Haben wir doch eine unthätige Armee von
100,000 Mann, d. h. auf dem Papier, da kaum die Hälfte davon unter den
Waffen ist. Die Reise König Leopolds nach London, der man überhaupt
große politische Zwecke unterlegte, soll mit dieser zudringlichen Aufforderung
der Westmächte in Verbindung gestanden haben. Was diese Reise betrifft, so
ist es bedauerlich, zu sehen, wie einige Organe der Presse sich anstrengen, den
einfachsten Handlungen des Staatsoberhaupts eine politische Bedeutung an¬
zudichten. Als der König im vorigen Jahre eine Reise nach dem Komersee
und der Lombardei machte, was für erstaunliche Geschichten wurden da nicht
erzählt, welchen verwunderlichen Canaans überließen sich nicht die Journale!
Nach Wien, nach Berlin, nach allen vier Winden sollte er sich begeben, die
Taschen voll von wichtigen Dingen, das Reisegepäck, bis zu den Nachtmützen,
strotzend von politischen Beziehungen. Und der Zweck der ganzen Reise war
kein andrer, als daß der Gesundheitszustand einer dem Könige seit Jahren be¬
freundeten Dame eine mildere Luft wie die unsrige verlangte, weswegen er sich
mit ihr nach seiner Villa am Komersee begab. Der Ursprung der jetzigen Ge¬
rüchte ist leicht zu errathen; es sind Ballons, die man versuchsweise steigen
läßt. Die französischen Intriguen, die sich bis jetzt den Blicken zu entziehen
wußten, fangen an, sich zu verrathen, trotz der Vorsicht, womit sie sich um¬
geben. Aber bei diesen gehässigen und unloyalen Machinationen, die gegen
die Freiheit, die Unabhängigkeit und die Neutralität Belgiens gerichtet sind,
muß man, wie bei allen dunkeln Manövern, die Betrogenen und die Ver-
räther unterscheiden. Zu den Betrogenen zähle ich einige unsrer Journale,
die sich noch mit allen Lügen und Fabeln nähren, welche die Imagination der
Politischen Zeichendeuter zur Nahrung für Dummköpfe täglich zu Tage fördert.
Von diesen Journalen vernehmen wir, daß General Greindl, unser Kriegs¬
minister, vor kurzem eine ernsthafte Conversation mit Louis Napoleon gehabt


musik versucht. Propaganda wird das Blatt im Westen Europas nicht machen;
es wird diejenigen nicht zur Bewunderung des russischen Regimes bekehren,
die nicht schon Parteigänger des Absolutismus sind. Aber andererseits dürste
es einen gewissen nützlichen Charakter haben, indem es den imperialistischen
Dithyramben, tagtäglich von englischen, französischen und belgischen Blättern
angestimmt, einen Dämpfer aufsetzt, und gewisse Thatsachen, die man sich zu
verfälschen bemüht, in ihrer Wahrheit wieder herstellt.

Wenn man den Zeitungen glauben sollte, so ließen England und beson¬
ders Frankreich keine Ruhe und drängten fortwährend in die belgische Regie¬
rung, die unsrem Lande durch internationale Verträge gebotene Neutralität zu
brechen und in die westliche Allianz einzutreten, indem wir den alliirten Armeen
im Orient ein anständiges Contingent zusenden, oder, wie es zuletzt hieß,
das französische Erpeditionscorps in Rom durch 20 bis 23,000 Mann von
unsern Truppen ersetzen sollen. Haben wir doch eine unthätige Armee von
100,000 Mann, d. h. auf dem Papier, da kaum die Hälfte davon unter den
Waffen ist. Die Reise König Leopolds nach London, der man überhaupt
große politische Zwecke unterlegte, soll mit dieser zudringlichen Aufforderung
der Westmächte in Verbindung gestanden haben. Was diese Reise betrifft, so
ist es bedauerlich, zu sehen, wie einige Organe der Presse sich anstrengen, den
einfachsten Handlungen des Staatsoberhaupts eine politische Bedeutung an¬
zudichten. Als der König im vorigen Jahre eine Reise nach dem Komersee
und der Lombardei machte, was für erstaunliche Geschichten wurden da nicht
erzählt, welchen verwunderlichen Canaans überließen sich nicht die Journale!
Nach Wien, nach Berlin, nach allen vier Winden sollte er sich begeben, die
Taschen voll von wichtigen Dingen, das Reisegepäck, bis zu den Nachtmützen,
strotzend von politischen Beziehungen. Und der Zweck der ganzen Reise war
kein andrer, als daß der Gesundheitszustand einer dem Könige seit Jahren be¬
freundeten Dame eine mildere Luft wie die unsrige verlangte, weswegen er sich
mit ihr nach seiner Villa am Komersee begab. Der Ursprung der jetzigen Ge¬
rüchte ist leicht zu errathen; es sind Ballons, die man versuchsweise steigen
läßt. Die französischen Intriguen, die sich bis jetzt den Blicken zu entziehen
wußten, fangen an, sich zu verrathen, trotz der Vorsicht, womit sie sich um¬
geben. Aber bei diesen gehässigen und unloyalen Machinationen, die gegen
die Freiheit, die Unabhängigkeit und die Neutralität Belgiens gerichtet sind,
muß man, wie bei allen dunkeln Manövern, die Betrogenen und die Ver-
räther unterscheiden. Zu den Betrogenen zähle ich einige unsrer Journale,
die sich noch mit allen Lügen und Fabeln nähren, welche die Imagination der
Politischen Zeichendeuter zur Nahrung für Dummköpfe täglich zu Tage fördert.
Von diesen Journalen vernehmen wir, daß General Greindl, unser Kriegs¬
minister, vor kurzem eine ernsthafte Conversation mit Louis Napoleon gehabt


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99919/279>, abgerufen am 22.07.2024.