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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band.

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horse und gleich einem Schneeball hatte die Geschichte an Umständlichkeit durch
ihre lange Reise nichts verloren. Zahlreiche Einzelnheiten wurden der einfachen
bloßen Thatsache zugesetzt, bis fast jeder Einzelne bereit war, jeden kleinen
Zug der ganzen Erzählung zu verbürgen und von allen Seiten "nähere und
neueste Nachrichten" auftauchten. Natürlich stiegen die Course, aber nicht so
rasch und so bedeutend, als die Erfinder des Streiches zu hoffen berechtigt
waren, wenn man bedenkt, daß während der letzten Jahre von Napoleons
Laufbahn die Course in einer Stunde sich manchmal um acht bis zehn Procent
verändert hatten. Einige der größern Speculanten zweifelten an der Wahrheit
des Gerüchts und hielten daher zurück. Demungeachtet wurden die für die
Speculanten aufgekauften Papiere mit einem guten Gewinn verkauft, ehe die
Falschheit der Nachricht entdeckt wurde.

Die Erfinder von Börsenenten fanden es oft überflüssig, viel Phantasie
aufzuwenden oder ihren Geschichten viel Abwechselung zu geben. So fand die
Nachricht von der Verhaftung des Prätendenten, die dies Mal aber nicht aus
Montrose, sondern von der großen Nordstraße kam, auf welche man angeblich
den Verhafteten in einer verschlossenen Kutsche hatte transportiren sehen, bei
dem leichtgläubigen Publicum zum zweiten Male Anklang. Ueberhaupt waren
jene unruhigen Zeiten der Verbreitung falscher Nachrichten ausnehmend günstig
und bald war es das Gerücht von einem abgeschlossenen Frieden oder die
Nachricht von einer Kriegserklärung, welche die Börse in Bewegung setzte;
manchmal war plötzlich ein Premierminister gestorben; gelegentlich wurde der
König ernstlich krank oder ein Cabinet hatte seine Entlassung genommen.
Einige Monate nach dem England wenig ehrenvollen Waffenstillstand von
Liniers war die öffentliche Meinung in der größten Aufregung über die Frage,
ob der Krieg wieder ausbrechen werde oder nicht. Die Citybewohner wurden
daher nicht unangenehm überrascht, als sie eines Morgens -1803 am Mansion-
house, "er Wohnung des Lordmayors, folgende Nachricht, die wenigstens der
Peinlichen Ungewißheit ein Ende machte, angeschlagen fanden: "Lord Hawkes-
bury sendet dem Lordmayor sein Kompliment und hat die Ehre Sr. Herrlich¬
keit mitzutheilen, daß die Unterhandlungen zwischen diesem Lande und der
französischen Republik zu einem Friedensschlüsse geführt haben." Der Anschlag
war nachgemacht; die Erzeuger der Ente zogen jedoch keinen Gewinn davon,
denn es gelang ihnen zwar, die Course zum Steigen zu bringen und einen
großen nomineller Profit zu machen, aber da sämmtliche auf diese Nachricht
hin abgeschlossene Geschäfte für ungiltig erklärt wurden, gingen sie doch zu¬
letzt leer aus. Die neueste der Börsenenten, die Einnahme von Sebastopol,
flog bekanntlich wie ein Lauffeuer durch Europa und es dauerte acht Tage,
ehe man mit Bestimmtheit sagen konnte, daß sie erfunden sei. Ihre Wirkung
war unbedeutend, da die Erfinder sie ungeschickterweise so in Bewegung gesetzt


horse und gleich einem Schneeball hatte die Geschichte an Umständlichkeit durch
ihre lange Reise nichts verloren. Zahlreiche Einzelnheiten wurden der einfachen
bloßen Thatsache zugesetzt, bis fast jeder Einzelne bereit war, jeden kleinen
Zug der ganzen Erzählung zu verbürgen und von allen Seiten „nähere und
neueste Nachrichten" auftauchten. Natürlich stiegen die Course, aber nicht so
rasch und so bedeutend, als die Erfinder des Streiches zu hoffen berechtigt
waren, wenn man bedenkt, daß während der letzten Jahre von Napoleons
Laufbahn die Course in einer Stunde sich manchmal um acht bis zehn Procent
verändert hatten. Einige der größern Speculanten zweifelten an der Wahrheit
des Gerüchts und hielten daher zurück. Demungeachtet wurden die für die
Speculanten aufgekauften Papiere mit einem guten Gewinn verkauft, ehe die
Falschheit der Nachricht entdeckt wurde.

Die Erfinder von Börsenenten fanden es oft überflüssig, viel Phantasie
aufzuwenden oder ihren Geschichten viel Abwechselung zu geben. So fand die
Nachricht von der Verhaftung des Prätendenten, die dies Mal aber nicht aus
Montrose, sondern von der großen Nordstraße kam, auf welche man angeblich
den Verhafteten in einer verschlossenen Kutsche hatte transportiren sehen, bei
dem leichtgläubigen Publicum zum zweiten Male Anklang. Ueberhaupt waren
jene unruhigen Zeiten der Verbreitung falscher Nachrichten ausnehmend günstig
und bald war es das Gerücht von einem abgeschlossenen Frieden oder die
Nachricht von einer Kriegserklärung, welche die Börse in Bewegung setzte;
manchmal war plötzlich ein Premierminister gestorben; gelegentlich wurde der
König ernstlich krank oder ein Cabinet hatte seine Entlassung genommen.
Einige Monate nach dem England wenig ehrenvollen Waffenstillstand von
Liniers war die öffentliche Meinung in der größten Aufregung über die Frage,
ob der Krieg wieder ausbrechen werde oder nicht. Die Citybewohner wurden
daher nicht unangenehm überrascht, als sie eines Morgens -1803 am Mansion-
house, »er Wohnung des Lordmayors, folgende Nachricht, die wenigstens der
Peinlichen Ungewißheit ein Ende machte, angeschlagen fanden: „Lord Hawkes-
bury sendet dem Lordmayor sein Kompliment und hat die Ehre Sr. Herrlich¬
keit mitzutheilen, daß die Unterhandlungen zwischen diesem Lande und der
französischen Republik zu einem Friedensschlüsse geführt haben." Der Anschlag
war nachgemacht; die Erzeuger der Ente zogen jedoch keinen Gewinn davon,
denn es gelang ihnen zwar, die Course zum Steigen zu bringen und einen
großen nomineller Profit zu machen, aber da sämmtliche auf diese Nachricht
hin abgeschlossene Geschäfte für ungiltig erklärt wurden, gingen sie doch zu¬
letzt leer aus. Die neueste der Börsenenten, die Einnahme von Sebastopol,
flog bekanntlich wie ein Lauffeuer durch Europa und es dauerte acht Tage,
ehe man mit Bestimmtheit sagen konnte, daß sie erfunden sei. Ihre Wirkung
war unbedeutend, da die Erfinder sie ungeschickterweise so in Bewegung gesetzt


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99919/269>, abgerufen am 22.07.2024.