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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band.

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Menschen, der eine Menge Zeichnungen, Karten und verdächtige Papiere bei
sich hatte und den man für einen Spion halten mußte, einbrachten, daß Ge¬
neral P. aber nicht etwa die Depeschen und Papiere prüfte, sondern dem Cou¬
rier und seinem Compagnon Wagen, Geld und Depeschen und sonstige Effecten
unversehrt und unerbrochen zurMgab, weil er nicht wissen könne, welch Schick¬
sal ihm selbst bevorstände, und die Franzosen, würde er gefangen, es ihm übel
lohnen möchten, wenn er einen ihrer Couriere aufgegriffen und seiner Depeschen
beraubt hätte!

Hamburg war damals der Sammelplatz vieler versprengter preußischer
Offiziere, da es von den Franzosen als neutrales Gebiet noch nicht besetzt
war, und Ledebur erlangte hier von dem preußischen Residenten ein zwei¬
monatliches Tractament und von dem französischen Konsul ein Visa nach Lübeck,
wo er die erste Schiffsgelegenheit benutzte, um nach Windau unter Segel zu
gehen. Der russische Consul in Lübeck weigerte sich, ihm den Paß zu visiren,
da er seit der Besetzung der Stadt durch die Franzosen seine Functionen ein¬
gestellt hatte, ^me Weigerung, die später aus den Verlauf von Ledeburs Reise
einen großen Einfluß hatte. Ebenso verhängnißvoll sür ihn wurde sein Be¬
gleiter, Winzer, ursprünglich Bäcker, jetzt aber der Buchführer des Petersburger
Bürgerclubs, den er in Hamburg kennen gelernt hatte. Denn als die Reisen¬
den in Windau ans Land stiegen, fand man den Paß nicht in Ordnung, weil
ihm das Visa des russischen Consuls in Lübeck fehlte. Außerdem lautete
Ledeburs Paß auf, ihn selbst und einen Bedienten, weil er seines Bruders
Diener in Hamburg als Versprengten getroffen und ihn mit bis nach Lübeck
genommen hatte, ohne seinen Namen dort ausstreichen zu lassen. Am meisten
Verdacht aber erregte es, daß, obgleich die Plaudereien seiner Reisegefährten
verrathen hatten, daß Ledebur preußischer Offizier sei, er sich nicht als solcher
SU erkennen gab, weil man bereits in Lübeck von dem nahen Abschluß eines
Bündnisses Frankreichs und Preußens gegen Rußland gesprochen hatte, und
^ deshalb aufgehalten zu werden fürchtete. Man hielt daher beide bald für
Abenteurer, bald für Spione oder politische Agenten, denn daß ein Bäcker wie
Winzer in solchen Kriegszeiten eine Reise von Petersburg nach Deutschland
und grade zu Privatzwecken machen könnte, leuchtete den russischen Behörden
nicht ein. Die Reisenden erhielten daher eine Art Stadtarrest in Windau,
einem langweiligen Neste, in trauriger ödester Strandgegend gelegen, ohne
Mauern und Thore, mit ungepflasterten Straßen, in denen man versinken
konnte und mit durchweg hölzernen Däusern, und wären ohne die großmüthige
Gastfreundschaft einiger Kaufleute und Beamten deutschen Geblüts in die größte
Noth gerathen, da ihr Geldbeutel auf einen solchen Aufenthalt nicht eingerichtet
war. Erst nach vierzehn Tagen traf Antwort vom Gouverneur von Mitau,
wohin der Windauer Magistrat berichtet hatte, ein, aber nicht etwa die Er-


Menschen, der eine Menge Zeichnungen, Karten und verdächtige Papiere bei
sich hatte und den man für einen Spion halten mußte, einbrachten, daß Ge¬
neral P. aber nicht etwa die Depeschen und Papiere prüfte, sondern dem Cou¬
rier und seinem Compagnon Wagen, Geld und Depeschen und sonstige Effecten
unversehrt und unerbrochen zurMgab, weil er nicht wissen könne, welch Schick¬
sal ihm selbst bevorstände, und die Franzosen, würde er gefangen, es ihm übel
lohnen möchten, wenn er einen ihrer Couriere aufgegriffen und seiner Depeschen
beraubt hätte!

Hamburg war damals der Sammelplatz vieler versprengter preußischer
Offiziere, da es von den Franzosen als neutrales Gebiet noch nicht besetzt
war, und Ledebur erlangte hier von dem preußischen Residenten ein zwei¬
monatliches Tractament und von dem französischen Konsul ein Visa nach Lübeck,
wo er die erste Schiffsgelegenheit benutzte, um nach Windau unter Segel zu
gehen. Der russische Consul in Lübeck weigerte sich, ihm den Paß zu visiren,
da er seit der Besetzung der Stadt durch die Franzosen seine Functionen ein¬
gestellt hatte, ^me Weigerung, die später aus den Verlauf von Ledeburs Reise
einen großen Einfluß hatte. Ebenso verhängnißvoll sür ihn wurde sein Be¬
gleiter, Winzer, ursprünglich Bäcker, jetzt aber der Buchführer des Petersburger
Bürgerclubs, den er in Hamburg kennen gelernt hatte. Denn als die Reisen¬
den in Windau ans Land stiegen, fand man den Paß nicht in Ordnung, weil
ihm das Visa des russischen Consuls in Lübeck fehlte. Außerdem lautete
Ledeburs Paß auf, ihn selbst und einen Bedienten, weil er seines Bruders
Diener in Hamburg als Versprengten getroffen und ihn mit bis nach Lübeck
genommen hatte, ohne seinen Namen dort ausstreichen zu lassen. Am meisten
Verdacht aber erregte es, daß, obgleich die Plaudereien seiner Reisegefährten
verrathen hatten, daß Ledebur preußischer Offizier sei, er sich nicht als solcher
SU erkennen gab, weil man bereits in Lübeck von dem nahen Abschluß eines
Bündnisses Frankreichs und Preußens gegen Rußland gesprochen hatte, und
^ deshalb aufgehalten zu werden fürchtete. Man hielt daher beide bald für
Abenteurer, bald für Spione oder politische Agenten, denn daß ein Bäcker wie
Winzer in solchen Kriegszeiten eine Reise von Petersburg nach Deutschland
und grade zu Privatzwecken machen könnte, leuchtete den russischen Behörden
nicht ein. Die Reisenden erhielten daher eine Art Stadtarrest in Windau,
einem langweiligen Neste, in trauriger ödester Strandgegend gelegen, ohne
Mauern und Thore, mit ungepflasterten Straßen, in denen man versinken
konnte und mit durchweg hölzernen Däusern, und wären ohne die großmüthige
Gastfreundschaft einiger Kaufleute und Beamten deutschen Geblüts in die größte
Noth gerathen, da ihr Geldbeutel auf einen solchen Aufenthalt nicht eingerichtet
war. Erst nach vierzehn Tagen traf Antwort vom Gouverneur von Mitau,
wohin der Windauer Magistrat berichtet hatte, ein, aber nicht etwa die Er-


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[0191] Menschen, der eine Menge Zeichnungen, Karten und verdächtige Papiere bei sich hatte und den man für einen Spion halten mußte, einbrachten, daß Ge¬ neral P. aber nicht etwa die Depeschen und Papiere prüfte, sondern dem Cou¬ rier und seinem Compagnon Wagen, Geld und Depeschen und sonstige Effecten unversehrt und unerbrochen zurMgab, weil er nicht wissen könne, welch Schick¬ sal ihm selbst bevorstände, und die Franzosen, würde er gefangen, es ihm übel lohnen möchten, wenn er einen ihrer Couriere aufgegriffen und seiner Depeschen beraubt hätte! Hamburg war damals der Sammelplatz vieler versprengter preußischer Offiziere, da es von den Franzosen als neutrales Gebiet noch nicht besetzt war, und Ledebur erlangte hier von dem preußischen Residenten ein zwei¬ monatliches Tractament und von dem französischen Konsul ein Visa nach Lübeck, wo er die erste Schiffsgelegenheit benutzte, um nach Windau unter Segel zu gehen. Der russische Consul in Lübeck weigerte sich, ihm den Paß zu visiren, da er seit der Besetzung der Stadt durch die Franzosen seine Functionen ein¬ gestellt hatte, ^me Weigerung, die später aus den Verlauf von Ledeburs Reise einen großen Einfluß hatte. Ebenso verhängnißvoll sür ihn wurde sein Be¬ gleiter, Winzer, ursprünglich Bäcker, jetzt aber der Buchführer des Petersburger Bürgerclubs, den er in Hamburg kennen gelernt hatte. Denn als die Reisen¬ den in Windau ans Land stiegen, fand man den Paß nicht in Ordnung, weil ihm das Visa des russischen Consuls in Lübeck fehlte. Außerdem lautete Ledeburs Paß auf, ihn selbst und einen Bedienten, weil er seines Bruders Diener in Hamburg als Versprengten getroffen und ihn mit bis nach Lübeck genommen hatte, ohne seinen Namen dort ausstreichen zu lassen. Am meisten Verdacht aber erregte es, daß, obgleich die Plaudereien seiner Reisegefährten verrathen hatten, daß Ledebur preußischer Offizier sei, er sich nicht als solcher SU erkennen gab, weil man bereits in Lübeck von dem nahen Abschluß eines Bündnisses Frankreichs und Preußens gegen Rußland gesprochen hatte, und ^ deshalb aufgehalten zu werden fürchtete. Man hielt daher beide bald für Abenteurer, bald für Spione oder politische Agenten, denn daß ein Bäcker wie Winzer in solchen Kriegszeiten eine Reise von Petersburg nach Deutschland und grade zu Privatzwecken machen könnte, leuchtete den russischen Behörden nicht ein. Die Reisenden erhielten daher eine Art Stadtarrest in Windau, einem langweiligen Neste, in trauriger ödester Strandgegend gelegen, ohne Mauern und Thore, mit ungepflasterten Straßen, in denen man versinken konnte und mit durchweg hölzernen Däusern, und wären ohne die großmüthige Gastfreundschaft einiger Kaufleute und Beamten deutschen Geblüts in die größte Noth gerathen, da ihr Geldbeutel auf einen solchen Aufenthalt nicht eingerichtet war. Erst nach vierzehn Tagen traf Antwort vom Gouverneur von Mitau, wohin der Windauer Magistrat berichtet hatte, ein, aber nicht etwa die Er-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99919/191>, abgerufen am 22.07.2024.