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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band.

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die Hälfte seiner geringen Baarschaft, so daß ihm nur noch einige Groschen
übrig blieben. Außerdem wurde er auch in der Schenke des Dorfes ziemlich
unfreundlich empfangen, weshalb er alsbald seinen Stab weiter setzte und so
glücklich war, in dem nächsten Dorfe bei dem Oberförster die freundlichste Auf¬
nahme zu finden. Von hier gelangte er nach Göttingen, unterwegs mehrmals
mit andern Selbstranzionirten zusammentreffend, und suchte Quartier in der
ihm von früher her bekannten londoner Schenke, wo er wegen seines aben¬
teuerlichen Auszugs anfangs zurückgewiesen wurde, jedoch sofort ein Zimmer
und alle mögliche Bequemlichkeit erhielt, als er seinen Namen nannte. Sein
alter französischer Sprachlehrer, Herr von Chateaubvurg, den er sogleich auf¬
suchte, machte ihn mit einem jüdischen Geschäftsmann Meyer bekannt, welcher
ihm 23 Friedrichsbor vorschoß, was ihn in Stand setzte, zunächst mit der Post
nach Braunschweig zu reisen, wo er sich auf seine alte göttinger Immatriculation
als Gutsbesitzer von Ledebur aus der Nähe von Küstrin einen Paß ausstellen
ließ, um nach Berlin zu reisen. Jedoch bereits in Halberstadt zeigte sich dies
als unausführbar, oder wenigstens als gefährlich. Der Postmeister, der ihm
diese Auskunft gab, rieth ihm nach Braunschweig zurückzukehren, und über
die Altmark und Meklenburg zu reisen. Er vertraute ihm zugleich wichtige
Briefe an den König von Pveußen an, die er nicht gewagt hatte auf dem ge¬
wöhnlichen Wege weiter zu senden. Hier erfuhr Ledebur auch zu seinem
Schmerz die Kapitulation von Prenzlau, sowie daß Blücher gegen Lübeck ge¬
zogen sei, und entschloß sich nun umsoeher, seinen Weg über Hamburg zu
nehmen. Lüneburg fand er von Preußen besetzt: General P . . (Pelee'c)
war vom Blücherschen Corps abgeschnitten worden, hatte noch vier Escadrons
seines eignen Regiments und viele Versprengte von andern Regimentern,
im Ganzen -1000--1200 Mann bei sich, und vor sich das mit nur 200 Mann
besetzte Braunschweig. Der Weg nach dem Harz stand ihm offen, und er hätte
hier im Rücken der französischen Armee leicht eine sehr unbequeme Diversion
machen können. Ledebur suchte ihn auch zu einem solchen Unternehmen zu veran¬
lassen, aber er erhielt als Antwort nur Klagen über die verzweifelte Lage des Corps.
"Alle Bagage haben wir verloren, mir und meinen Offizieren ist kein Hemde
geblieben, außer was wir auf dem Leibe tragen; keinen Groschen Gelb haben
wir in der Tasche, die Leute sind ohne Löhnung und kämpfen mit Hunger und
Mangel." Und Lüneburg war damals eine preußische Stadt, mit gefüllten
öffentlichen Kassen, aus denen alle Bedürfnisse des Heeres gedeckt werden konn¬
ten; aber so eingewohnt waren die alten Herren in die Routine des Garni¬
sonlebens, daß sie es nicht für erlaubt hielten, im Kriege sich aus diesem Wege
Mittel zu verschaffen! Man requirirte nicht einmal bei den Wirthen Nahrungs¬
mittel für die Soldaten! Nicht weniger charakteristisch war es, daß die Vor¬
posten einen Courier mit Depeschen an den Marschall Bernadotte und einen


die Hälfte seiner geringen Baarschaft, so daß ihm nur noch einige Groschen
übrig blieben. Außerdem wurde er auch in der Schenke des Dorfes ziemlich
unfreundlich empfangen, weshalb er alsbald seinen Stab weiter setzte und so
glücklich war, in dem nächsten Dorfe bei dem Oberförster die freundlichste Auf¬
nahme zu finden. Von hier gelangte er nach Göttingen, unterwegs mehrmals
mit andern Selbstranzionirten zusammentreffend, und suchte Quartier in der
ihm von früher her bekannten londoner Schenke, wo er wegen seines aben¬
teuerlichen Auszugs anfangs zurückgewiesen wurde, jedoch sofort ein Zimmer
und alle mögliche Bequemlichkeit erhielt, als er seinen Namen nannte. Sein
alter französischer Sprachlehrer, Herr von Chateaubvurg, den er sogleich auf¬
suchte, machte ihn mit einem jüdischen Geschäftsmann Meyer bekannt, welcher
ihm 23 Friedrichsbor vorschoß, was ihn in Stand setzte, zunächst mit der Post
nach Braunschweig zu reisen, wo er sich auf seine alte göttinger Immatriculation
als Gutsbesitzer von Ledebur aus der Nähe von Küstrin einen Paß ausstellen
ließ, um nach Berlin zu reisen. Jedoch bereits in Halberstadt zeigte sich dies
als unausführbar, oder wenigstens als gefährlich. Der Postmeister, der ihm
diese Auskunft gab, rieth ihm nach Braunschweig zurückzukehren, und über
die Altmark und Meklenburg zu reisen. Er vertraute ihm zugleich wichtige
Briefe an den König von Pveußen an, die er nicht gewagt hatte auf dem ge¬
wöhnlichen Wege weiter zu senden. Hier erfuhr Ledebur auch zu seinem
Schmerz die Kapitulation von Prenzlau, sowie daß Blücher gegen Lübeck ge¬
zogen sei, und entschloß sich nun umsoeher, seinen Weg über Hamburg zu
nehmen. Lüneburg fand er von Preußen besetzt: General P . . (Pelee'c)
war vom Blücherschen Corps abgeschnitten worden, hatte noch vier Escadrons
seines eignen Regiments und viele Versprengte von andern Regimentern,
im Ganzen -1000--1200 Mann bei sich, und vor sich das mit nur 200 Mann
besetzte Braunschweig. Der Weg nach dem Harz stand ihm offen, und er hätte
hier im Rücken der französischen Armee leicht eine sehr unbequeme Diversion
machen können. Ledebur suchte ihn auch zu einem solchen Unternehmen zu veran¬
lassen, aber er erhielt als Antwort nur Klagen über die verzweifelte Lage des Corps.
„Alle Bagage haben wir verloren, mir und meinen Offizieren ist kein Hemde
geblieben, außer was wir auf dem Leibe tragen; keinen Groschen Gelb haben
wir in der Tasche, die Leute sind ohne Löhnung und kämpfen mit Hunger und
Mangel." Und Lüneburg war damals eine preußische Stadt, mit gefüllten
öffentlichen Kassen, aus denen alle Bedürfnisse des Heeres gedeckt werden konn¬
ten; aber so eingewohnt waren die alten Herren in die Routine des Garni¬
sonlebens, daß sie es nicht für erlaubt hielten, im Kriege sich aus diesem Wege
Mittel zu verschaffen! Man requirirte nicht einmal bei den Wirthen Nahrungs¬
mittel für die Soldaten! Nicht weniger charakteristisch war es, daß die Vor¬
posten einen Courier mit Depeschen an den Marschall Bernadotte und einen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99919/190>, abgerufen am 22.07.2024.