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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band.

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für die Bequemlichkeit, sondern auch für die Sicherheit der das Local Ver¬
lassenden besser geformt werde.

Das Gerüst für die Musiker ist an der einen Schmalseite amphitheatra-
lisch aufgebaut. Die vordersten Reihen waren vom Sopran und Alt besetzt,
von da an aufwärts begrenzten die Reihen der Choristen die der Jnstrumen-
talisten, welche oben die ganze Breite des Gelüstes einnahmen und in einem
spitzen Keil sich bis ans Pult des Dirigenten hinabzogen. Die Aufstellung
eines so großen Orchesters hat bedeutende Schwierigkeiten und jede, die man
wählt, wird gewiß Nachtheile nicht vermeiden können; Hiller hatte, und hier
gewiß mit Recht, den Gesichtspunkt vorwalten lassen, die Saiteninstrumente
nicht zu trennen, sondern als den Kern des Orchesters zu concentriren, und
deshalb die Bläser oben zusammengestellt. Es war ein schöner Anblick, diese
mächtige, kampfbereite und siegesgewisse Schar, an ihrer Spitze den Flor der
geschmückten Damen, zu sehen, wie sie auf den Wink des Dirigenten warteten,
der wie ein Feldherr dastand, welcher sein Heer vor dem entscheidenden Augen¬
blick mit sicherem Blicke mustert.

Da Hiller die oberste Leitung anvertraut worden war, hatte man ihm
>rie billig die Ehre erwiesen, mit einer seiner Compvsttionen das Fest zu er¬
öffnen; es war die Symphonie mit dem Motto "Es muß doch .Frühling
werden!" gewählt, nach dem übereinstimmenden Urtheil eins der gelungensten
und bedeutendsten Werke Hillers. Wer etwa eine malerische Darstellung des
Frühlings mit Vogelgezwitscher und anderen Naturlauten erwartete, mußte
sich getäuscht finden; sie ist der sehr ernst gehaltene Ausdruck der Stimmung,
welche jener die Grenze von Verzweiflung und Hoffnung bezeichnende Aus¬
ruf andeutet. Wer auf dergleichen achtet, konnte sogar in dem mit fetter
Schrift auf dem Programm gedruckten dock den Hinweis finden, daß es in
der Symphonie hauptsächlich auf das Kämpfen und Ringen abgesehen sei.
So ist es auch, und vielleicht kann man es bedauern, daß eS, um im Gleich¬
nis? zu bleiben, zu anhaltend schlecht Wetter bleibt und auch schließlich der
Frühling nicht in seiner vollen Heiterkeit zum Durchbruch kommt, daß dem
Motto, insofern es die Gewißheit der wiederzugewinnenden freudigen Stim¬
mung ausdrückt, nicht volle Gerechtigkeit widerfahren sei. Darüber ist nicht zu
rechten, der Künstler hat die unbestreitbare Freiheit, was er in sich erlebt
und durchgemacht hat, so darzustellen, wie es für ihn volle Wahrheit hat,
und leider liegt es in unsrer Zeit, daß überall ein leidenschaftliches Stre¬
ben mehr hervortritt, als die ruhige Sicherheit des Erfolges. Wer diese
Berechtigung zugesteht hat dessenungeachtet seinerseits das Recht, daraus
hinzuweisen, wie die künstlerische Vollendung erheischt, daß Stimmungen und
Zustände, welche nur als vorübergehende, als vorbereitende ihre Berech¬
tigung haben, auch nur als solche dargestellt werden, und daß auch die


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für die Bequemlichkeit, sondern auch für die Sicherheit der das Local Ver¬
lassenden besser geformt werde.

Das Gerüst für die Musiker ist an der einen Schmalseite amphitheatra-
lisch aufgebaut. Die vordersten Reihen waren vom Sopran und Alt besetzt,
von da an aufwärts begrenzten die Reihen der Choristen die der Jnstrumen-
talisten, welche oben die ganze Breite des Gelüstes einnahmen und in einem
spitzen Keil sich bis ans Pult des Dirigenten hinabzogen. Die Aufstellung
eines so großen Orchesters hat bedeutende Schwierigkeiten und jede, die man
wählt, wird gewiß Nachtheile nicht vermeiden können; Hiller hatte, und hier
gewiß mit Recht, den Gesichtspunkt vorwalten lassen, die Saiteninstrumente
nicht zu trennen, sondern als den Kern des Orchesters zu concentriren, und
deshalb die Bläser oben zusammengestellt. Es war ein schöner Anblick, diese
mächtige, kampfbereite und siegesgewisse Schar, an ihrer Spitze den Flor der
geschmückten Damen, zu sehen, wie sie auf den Wink des Dirigenten warteten,
der wie ein Feldherr dastand, welcher sein Heer vor dem entscheidenden Augen¬
blick mit sicherem Blicke mustert.

Da Hiller die oberste Leitung anvertraut worden war, hatte man ihm
>rie billig die Ehre erwiesen, mit einer seiner Compvsttionen das Fest zu er¬
öffnen; es war die Symphonie mit dem Motto „Es muß doch .Frühling
werden!" gewählt, nach dem übereinstimmenden Urtheil eins der gelungensten
und bedeutendsten Werke Hillers. Wer etwa eine malerische Darstellung des
Frühlings mit Vogelgezwitscher und anderen Naturlauten erwartete, mußte
sich getäuscht finden; sie ist der sehr ernst gehaltene Ausdruck der Stimmung,
welche jener die Grenze von Verzweiflung und Hoffnung bezeichnende Aus¬
ruf andeutet. Wer auf dergleichen achtet, konnte sogar in dem mit fetter
Schrift auf dem Programm gedruckten dock den Hinweis finden, daß es in
der Symphonie hauptsächlich auf das Kämpfen und Ringen abgesehen sei.
So ist es auch, und vielleicht kann man es bedauern, daß eS, um im Gleich¬
nis? zu bleiben, zu anhaltend schlecht Wetter bleibt und auch schließlich der
Frühling nicht in seiner vollen Heiterkeit zum Durchbruch kommt, daß dem
Motto, insofern es die Gewißheit der wiederzugewinnenden freudigen Stim¬
mung ausdrückt, nicht volle Gerechtigkeit widerfahren sei. Darüber ist nicht zu
rechten, der Künstler hat die unbestreitbare Freiheit, was er in sich erlebt
und durchgemacht hat, so darzustellen, wie es für ihn volle Wahrheit hat,
und leider liegt es in unsrer Zeit, daß überall ein leidenschaftliches Stre¬
ben mehr hervortritt, als die ruhige Sicherheit des Erfolges. Wer diese
Berechtigung zugesteht hat dessenungeachtet seinerseits das Recht, daraus
hinzuweisen, wie die künstlerische Vollendung erheischt, daß Stimmungen und
Zustände, welche nur als vorübergehende, als vorbereitende ihre Berech¬
tigung haben, auch nur als solche dargestellt werden, und daß auch die


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[0019] für die Bequemlichkeit, sondern auch für die Sicherheit der das Local Ver¬ lassenden besser geformt werde. Das Gerüst für die Musiker ist an der einen Schmalseite amphitheatra- lisch aufgebaut. Die vordersten Reihen waren vom Sopran und Alt besetzt, von da an aufwärts begrenzten die Reihen der Choristen die der Jnstrumen- talisten, welche oben die ganze Breite des Gelüstes einnahmen und in einem spitzen Keil sich bis ans Pult des Dirigenten hinabzogen. Die Aufstellung eines so großen Orchesters hat bedeutende Schwierigkeiten und jede, die man wählt, wird gewiß Nachtheile nicht vermeiden können; Hiller hatte, und hier gewiß mit Recht, den Gesichtspunkt vorwalten lassen, die Saiteninstrumente nicht zu trennen, sondern als den Kern des Orchesters zu concentriren, und deshalb die Bläser oben zusammengestellt. Es war ein schöner Anblick, diese mächtige, kampfbereite und siegesgewisse Schar, an ihrer Spitze den Flor der geschmückten Damen, zu sehen, wie sie auf den Wink des Dirigenten warteten, der wie ein Feldherr dastand, welcher sein Heer vor dem entscheidenden Augen¬ blick mit sicherem Blicke mustert. Da Hiller die oberste Leitung anvertraut worden war, hatte man ihm >rie billig die Ehre erwiesen, mit einer seiner Compvsttionen das Fest zu er¬ öffnen; es war die Symphonie mit dem Motto „Es muß doch .Frühling werden!" gewählt, nach dem übereinstimmenden Urtheil eins der gelungensten und bedeutendsten Werke Hillers. Wer etwa eine malerische Darstellung des Frühlings mit Vogelgezwitscher und anderen Naturlauten erwartete, mußte sich getäuscht finden; sie ist der sehr ernst gehaltene Ausdruck der Stimmung, welche jener die Grenze von Verzweiflung und Hoffnung bezeichnende Aus¬ ruf andeutet. Wer auf dergleichen achtet, konnte sogar in dem mit fetter Schrift auf dem Programm gedruckten dock den Hinweis finden, daß es in der Symphonie hauptsächlich auf das Kämpfen und Ringen abgesehen sei. So ist es auch, und vielleicht kann man es bedauern, daß eS, um im Gleich¬ nis? zu bleiben, zu anhaltend schlecht Wetter bleibt und auch schließlich der Frühling nicht in seiner vollen Heiterkeit zum Durchbruch kommt, daß dem Motto, insofern es die Gewißheit der wiederzugewinnenden freudigen Stim¬ mung ausdrückt, nicht volle Gerechtigkeit widerfahren sei. Darüber ist nicht zu rechten, der Künstler hat die unbestreitbare Freiheit, was er in sich erlebt und durchgemacht hat, so darzustellen, wie es für ihn volle Wahrheit hat, und leider liegt es in unsrer Zeit, daß überall ein leidenschaftliches Stre¬ ben mehr hervortritt, als die ruhige Sicherheit des Erfolges. Wer diese Berechtigung zugesteht hat dessenungeachtet seinerseits das Recht, daraus hinzuweisen, wie die künstlerische Vollendung erheischt, daß Stimmungen und Zustände, welche nur als vorübergehende, als vorbereitende ihre Berech¬ tigung haben, auch nur als solche dargestellt werden, und daß auch die e> «

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99919/19>, abgerufen am 22.12.2024.