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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band.

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und Etymologie herum, bis sie nicht mehr wissen, wo ihnen der Kopf steht und
nur sehen, daß sie irre in dem Fundamentalregeln sind und die Sprache, das
Buch und den Verfasser nach Noten verabscheuen. Wahrlich, wenn man
den albernen Hochmuth erwägt, mit dem die Verfechter des Realismus die
Gelehrtenschule verfolgt haben, so muß man lachen, wenn man sie in ihre
eigne Grube stürzen sieht. Sogar der englische Elementarunterricht hat sich der
Gelehrtthuerei schuldig gemacht; da trieb man Sprachvergleichung statt Englisch.
Hier nun gehe man doch von dem Grundsatz aus, daß deutsche Kinder doch
wol einen germanischen Dialect mir all seiner kauderwelschen Orthographie und
Aussprache, am schnellsten und besten mündlich erlernen; man gehe gleich in
me?6la,8 rizg, spreche gleich mit den Kindern, lasse sie dabei gleich ein recht
amüsantes Buch bekommen und präge ihnen dabei die Formenlehre ein, die
wahrhaftig (nur ohne alles Systematisiren) keine Hererei ist. Dann aber kommt
die Hauptschwierigkeit des Englischen, die Phraseologie und diese wird allein
durch vieles Lesen und vieles Schreiben, durch Extemporalien und mündliches
Uebersetzen aus dem Deutschen erreicht werden. Die dritte Stufe ist abermals das
ästhetische Lesen. Der geiht- und gemüthvolle Charakter dieser reichen Nation
soll sich von Anfang an geltend machen, hier aber ist er erst recht wirksam.

Aber auch für das Französische ist derselbe Gang zu nehmen, nur mit
einem andern Anfang, indem hier neben der Aussprache (die ganz früh gelehrt
werden muß oder sie wird nie gelernt werden) zuerst schlichtweg die Formenlehre
einzuprägen ist, aber ja frei von aller syntaktischen Mückensangerei. Daneben,
aber in geringerem Maße als beim Englischen, amüsante Lecture, dann auf
der zweiten Stufe rasches Lesen, Schreiben, Sprechen und endlich auf der
letzten die ästhetische Lectüre und die Uebersicht der Literaturgeschichte, obwol
hier das Französische dem Englischen nachstehen muß. .

Vergleichen wir beide Bildungsresultate, so ist der Gelehrtenschüler bei
dem jetzigen Stande der Realschule entschieden im Vortheile. Er hat auf einem
ungesatteltem Pferde ohne Zaum und. Zügel reiten gelernt und sitzt also fester,
als einer, der nur mit solchen Hilfen geschult ist. Ihm sind bei seiner spröden
Arbeit alle Kräfte flott geworden, ihm ist Stolz und Bewußtsein seiner Kraft
gekommen. Er hat Liebe und Begeisterung für das Edle, Einfache, Große,
Klare der alten fernen Heidenzeit errungen, wenn er sie auch noch nicht ganz
begreift und vielleicht nie ganz begreifen wird. In Ausdruck und Redeweise
hat er die musterhafte Präcision und Geschlossenheit der Alten vor Augen;
ihre männliche Kraft, ihr starres Heidenthum-- er möchte ihnen ähnlich sein,
und glaubt ein Stück davon in sich zu fühlen. Ein traditionelles, aristokra¬
tisches Gefühl lebt in ihm, es wird ihn vielleicht vor illiberaler Gemeinheit
schützen, wenn nicht vor der Rohheit der Ncberkraft und des Uebermuthes. --
Was hat der Realschüler dafür, als seinen Gewinn aufzuzeigen? Auch er hat


und Etymologie herum, bis sie nicht mehr wissen, wo ihnen der Kopf steht und
nur sehen, daß sie irre in dem Fundamentalregeln sind und die Sprache, das
Buch und den Verfasser nach Noten verabscheuen. Wahrlich, wenn man
den albernen Hochmuth erwägt, mit dem die Verfechter des Realismus die
Gelehrtenschule verfolgt haben, so muß man lachen, wenn man sie in ihre
eigne Grube stürzen sieht. Sogar der englische Elementarunterricht hat sich der
Gelehrtthuerei schuldig gemacht; da trieb man Sprachvergleichung statt Englisch.
Hier nun gehe man doch von dem Grundsatz aus, daß deutsche Kinder doch
wol einen germanischen Dialect mir all seiner kauderwelschen Orthographie und
Aussprache, am schnellsten und besten mündlich erlernen; man gehe gleich in
me?6la,8 rizg, spreche gleich mit den Kindern, lasse sie dabei gleich ein recht
amüsantes Buch bekommen und präge ihnen dabei die Formenlehre ein, die
wahrhaftig (nur ohne alles Systematisiren) keine Hererei ist. Dann aber kommt
die Hauptschwierigkeit des Englischen, die Phraseologie und diese wird allein
durch vieles Lesen und vieles Schreiben, durch Extemporalien und mündliches
Uebersetzen aus dem Deutschen erreicht werden. Die dritte Stufe ist abermals das
ästhetische Lesen. Der geiht- und gemüthvolle Charakter dieser reichen Nation
soll sich von Anfang an geltend machen, hier aber ist er erst recht wirksam.

Aber auch für das Französische ist derselbe Gang zu nehmen, nur mit
einem andern Anfang, indem hier neben der Aussprache (die ganz früh gelehrt
werden muß oder sie wird nie gelernt werden) zuerst schlichtweg die Formenlehre
einzuprägen ist, aber ja frei von aller syntaktischen Mückensangerei. Daneben,
aber in geringerem Maße als beim Englischen, amüsante Lecture, dann auf
der zweiten Stufe rasches Lesen, Schreiben, Sprechen und endlich auf der
letzten die ästhetische Lectüre und die Uebersicht der Literaturgeschichte, obwol
hier das Französische dem Englischen nachstehen muß. .

Vergleichen wir beide Bildungsresultate, so ist der Gelehrtenschüler bei
dem jetzigen Stande der Realschule entschieden im Vortheile. Er hat auf einem
ungesatteltem Pferde ohne Zaum und. Zügel reiten gelernt und sitzt also fester,
als einer, der nur mit solchen Hilfen geschult ist. Ihm sind bei seiner spröden
Arbeit alle Kräfte flott geworden, ihm ist Stolz und Bewußtsein seiner Kraft
gekommen. Er hat Liebe und Begeisterung für das Edle, Einfache, Große,
Klare der alten fernen Heidenzeit errungen, wenn er sie auch noch nicht ganz
begreift und vielleicht nie ganz begreifen wird. In Ausdruck und Redeweise
hat er die musterhafte Präcision und Geschlossenheit der Alten vor Augen;
ihre männliche Kraft, ihr starres Heidenthum— er möchte ihnen ähnlich sein,
und glaubt ein Stück davon in sich zu fühlen. Ein traditionelles, aristokra¬
tisches Gefühl lebt in ihm, es wird ihn vielleicht vor illiberaler Gemeinheit
schützen, wenn nicht vor der Rohheit der Ncberkraft und des Uebermuthes. —
Was hat der Realschüler dafür, als seinen Gewinn aufzuzeigen? Auch er hat


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99919/152>, abgerufen am 22.07.2024.