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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band.

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Landes eine ausgemachte Sache, daß man in dieser praktischen Weise lehren müsse,
und ich habe selbst bei solcher Lesung des Thucydides ein, wie ich glaube, un¬
gewöhnlich glückliches Resultat erzielt. Die Schüler machten freilich manche
schwere Stelle kurzhin ab, einzig und allein daS Ziel im Auge haltend, daß sie
sich ein klares Bild von dem Verlaufe des peloponnesischen Krieges macheu
sollten. Wenn nun so das Stoffliche in den Oberclassen stark heraustreten
soll, so handelt es sich nur darum, wie man die Schwierigkeit des Verständ¬
nisses der Sprachen auf die leichteste und einfachste Weise in den Unterclassen
besiege. Ohne viel Federlesen, ohne irgendein grammatisches Systematisieren
sollen zunächst die Formen fest eingeprägt und durch vieles Ueben ganz zur
Gewohnheit gemacht werden, Lectüre und zwar recht amüsante, wie die Jacobs-
schen Elementmbücher fürs Griechische, wie die ältern Lehrbücher des Lateini¬
schen, z. B. Bröder, waren, werden am besten dazu führen. Nur uns Himmels¬
willen keine wissenschaftliche Hanswurstiaden aufgeführt, und immer bedacht,
daß Kinder Kinder sind, und kindlich einfach und durchaus uicht in folgerechtem
System, sondern hier und da wie immer durch Zufall und Gelegenheit belehrt
kein wollen: und man wird nicht jenen traurigen Widerwillen erwecken, der
die Elemente der classischen Sprachen zu begleiten pflegt. Viel Lesen, viel
Schreiben mit scharfer, aber ja nicht zu häufiger Analyse der syntaktischen Ver¬
hältnisse ist dann das zweite Mittel, das einzige, welches in die Routine des Ver¬
ständnisses und des eignen Ausdruckes hineinbringt. Dann tritt auf der dritten
Stufe das ästhetische Lesen der Classiker ein, mit dem eben dargelegten Ziele; ich
gebe zu, daß man bei einzelnen Autoren wie Horaz das kritisch-philologische
Element zur Schärfung des Geistes überhaupt hinzutreten lassen kann, aber
das Wesentlichste ist es nicht. Die Hauptsache ist auch dort, daß der Schüler
seinen Horaz kenne und liebe, und wem es nicht gegeben ist, seine philologische
Gelehrsamkeit aus eine anziehende Weise damit zu verbinden, der lasse doch ja
seine Difteleien und Conjecturen und versuche lieber am Ganzen der Composition,
an der Entwicklung der Gedanken und.Gefühle das Interesse festzuhalten, ja
er lese lieber, wenn er selbst nicht viel Geist hat, nur schlichtweg den ganzen
Horaz mit seinen Schülern durch und lasse sie selbst urtheilen. Viel Raison-
niren verdirbt immer die Lust, wie lange Saucen den Braten. Nachgrade
weiß man das auch; die Weidmannsche Sammlung ist ein redender Beweis
der erwachten Vernunft.

Nicht viel anders sollte der Sprachunterricht auf der Realschule betrieben
werden, es ist aber hier, obgleich nicht solange, doch schon ebenso schwer ge¬
sündigt worden, als dort. Statt also im Französischen einfach, klar, kindlich
zu Werke zu gehen, wie Uhus Bücher wollen, diese so meisterhaft angelegten
und auf die Knabenlust zur Räthsellösung berechneten Büchlein, nimmt man
einen gewaltigen Anlauf, zerrt die armen Jungen durch Sprachphilosophie


Landes eine ausgemachte Sache, daß man in dieser praktischen Weise lehren müsse,
und ich habe selbst bei solcher Lesung des Thucydides ein, wie ich glaube, un¬
gewöhnlich glückliches Resultat erzielt. Die Schüler machten freilich manche
schwere Stelle kurzhin ab, einzig und allein daS Ziel im Auge haltend, daß sie
sich ein klares Bild von dem Verlaufe des peloponnesischen Krieges macheu
sollten. Wenn nun so das Stoffliche in den Oberclassen stark heraustreten
soll, so handelt es sich nur darum, wie man die Schwierigkeit des Verständ¬
nisses der Sprachen auf die leichteste und einfachste Weise in den Unterclassen
besiege. Ohne viel Federlesen, ohne irgendein grammatisches Systematisieren
sollen zunächst die Formen fest eingeprägt und durch vieles Ueben ganz zur
Gewohnheit gemacht werden, Lectüre und zwar recht amüsante, wie die Jacobs-
schen Elementmbücher fürs Griechische, wie die ältern Lehrbücher des Lateini¬
schen, z. B. Bröder, waren, werden am besten dazu führen. Nur uns Himmels¬
willen keine wissenschaftliche Hanswurstiaden aufgeführt, und immer bedacht,
daß Kinder Kinder sind, und kindlich einfach und durchaus uicht in folgerechtem
System, sondern hier und da wie immer durch Zufall und Gelegenheit belehrt
kein wollen: und man wird nicht jenen traurigen Widerwillen erwecken, der
die Elemente der classischen Sprachen zu begleiten pflegt. Viel Lesen, viel
Schreiben mit scharfer, aber ja nicht zu häufiger Analyse der syntaktischen Ver¬
hältnisse ist dann das zweite Mittel, das einzige, welches in die Routine des Ver¬
ständnisses und des eignen Ausdruckes hineinbringt. Dann tritt auf der dritten
Stufe das ästhetische Lesen der Classiker ein, mit dem eben dargelegten Ziele; ich
gebe zu, daß man bei einzelnen Autoren wie Horaz das kritisch-philologische
Element zur Schärfung des Geistes überhaupt hinzutreten lassen kann, aber
das Wesentlichste ist es nicht. Die Hauptsache ist auch dort, daß der Schüler
seinen Horaz kenne und liebe, und wem es nicht gegeben ist, seine philologische
Gelehrsamkeit aus eine anziehende Weise damit zu verbinden, der lasse doch ja
seine Difteleien und Conjecturen und versuche lieber am Ganzen der Composition,
an der Entwicklung der Gedanken und.Gefühle das Interesse festzuhalten, ja
er lese lieber, wenn er selbst nicht viel Geist hat, nur schlichtweg den ganzen
Horaz mit seinen Schülern durch und lasse sie selbst urtheilen. Viel Raison-
niren verdirbt immer die Lust, wie lange Saucen den Braten. Nachgrade
weiß man das auch; die Weidmannsche Sammlung ist ein redender Beweis
der erwachten Vernunft.

Nicht viel anders sollte der Sprachunterricht auf der Realschule betrieben
werden, es ist aber hier, obgleich nicht solange, doch schon ebenso schwer ge¬
sündigt worden, als dort. Statt also im Französischen einfach, klar, kindlich
zu Werke zu gehen, wie Uhus Bücher wollen, diese so meisterhaft angelegten
und auf die Knabenlust zur Räthsellösung berechneten Büchlein, nimmt man
einen gewaltigen Anlauf, zerrt die armen Jungen durch Sprachphilosophie


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[0151] Landes eine ausgemachte Sache, daß man in dieser praktischen Weise lehren müsse, und ich habe selbst bei solcher Lesung des Thucydides ein, wie ich glaube, un¬ gewöhnlich glückliches Resultat erzielt. Die Schüler machten freilich manche schwere Stelle kurzhin ab, einzig und allein daS Ziel im Auge haltend, daß sie sich ein klares Bild von dem Verlaufe des peloponnesischen Krieges macheu sollten. Wenn nun so das Stoffliche in den Oberclassen stark heraustreten soll, so handelt es sich nur darum, wie man die Schwierigkeit des Verständ¬ nisses der Sprachen auf die leichteste und einfachste Weise in den Unterclassen besiege. Ohne viel Federlesen, ohne irgendein grammatisches Systematisieren sollen zunächst die Formen fest eingeprägt und durch vieles Ueben ganz zur Gewohnheit gemacht werden, Lectüre und zwar recht amüsante, wie die Jacobs- schen Elementmbücher fürs Griechische, wie die ältern Lehrbücher des Lateini¬ schen, z. B. Bröder, waren, werden am besten dazu führen. Nur uns Himmels¬ willen keine wissenschaftliche Hanswurstiaden aufgeführt, und immer bedacht, daß Kinder Kinder sind, und kindlich einfach und durchaus uicht in folgerechtem System, sondern hier und da wie immer durch Zufall und Gelegenheit belehrt kein wollen: und man wird nicht jenen traurigen Widerwillen erwecken, der die Elemente der classischen Sprachen zu begleiten pflegt. Viel Lesen, viel Schreiben mit scharfer, aber ja nicht zu häufiger Analyse der syntaktischen Ver¬ hältnisse ist dann das zweite Mittel, das einzige, welches in die Routine des Ver¬ ständnisses und des eignen Ausdruckes hineinbringt. Dann tritt auf der dritten Stufe das ästhetische Lesen der Classiker ein, mit dem eben dargelegten Ziele; ich gebe zu, daß man bei einzelnen Autoren wie Horaz das kritisch-philologische Element zur Schärfung des Geistes überhaupt hinzutreten lassen kann, aber das Wesentlichste ist es nicht. Die Hauptsache ist auch dort, daß der Schüler seinen Horaz kenne und liebe, und wem es nicht gegeben ist, seine philologische Gelehrsamkeit aus eine anziehende Weise damit zu verbinden, der lasse doch ja seine Difteleien und Conjecturen und versuche lieber am Ganzen der Composition, an der Entwicklung der Gedanken und.Gefühle das Interesse festzuhalten, ja er lese lieber, wenn er selbst nicht viel Geist hat, nur schlichtweg den ganzen Horaz mit seinen Schülern durch und lasse sie selbst urtheilen. Viel Raison- niren verdirbt immer die Lust, wie lange Saucen den Braten. Nachgrade weiß man das auch; die Weidmannsche Sammlung ist ein redender Beweis der erwachten Vernunft. Nicht viel anders sollte der Sprachunterricht auf der Realschule betrieben werden, es ist aber hier, obgleich nicht solange, doch schon ebenso schwer ge¬ sündigt worden, als dort. Statt also im Französischen einfach, klar, kindlich zu Werke zu gehen, wie Uhus Bücher wollen, diese so meisterhaft angelegten und auf die Knabenlust zur Räthsellösung berechneten Büchlein, nimmt man einen gewaltigen Anlauf, zerrt die armen Jungen durch Sprachphilosophie

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99919/151>, abgerufen am 22.07.2024.