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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band.

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der Reichsverfassung wurden die Bundeöstaatsfürsten Mitte Mai von dem
Neichsoberhauptc zu einem "Fürstcncongresse" nach Berlin geladen und hier
nicht blos über das Wie, sondern auch noch über das Ob befragt. Die
Union war todt. Die. neuprcußischc Presse, welche die Union haßte, schrieb:
"Preußen darf nicht urtergchen in Nassau und Waldeck!" Oestreich und seine
Genossen in Frankfurt faßten Bundesbeschlüsse, verfügten Bundeserecutionen,
stellten im October bairische und östreichische Bundeserecutionslrnppen an
der kurhesstschen Grenze auf. Am 3. November rückten wirklich die Baiern
in Kurhessen ein, dem von Preußen aufgestellten eaLus delli offen trotzend.
Preußen wich zurück. Die kölnische Zeitung sprach heftig ihren Schmerz und
Unmuth aus. Sie wurde "wegen Schmähung der Anordnungen der Obrig¬
keit" und wegen "Verletzung der Ehrfurcht gegen den König" vor Gericht ge¬
stellt, aber freigesprochen. Es folgten am 29. November die bekannten Punc-
tationen von Olmütz. 32 Millionen Thaler, welche die Kammern zur Durch¬
führung der Union bewilligt hatten, waren umsonst ausgegeben. Der Kreis¬
lauf der "deutschen Täuschungen" war vollendet. Mit dem November 1830 begann
der Sieg der Reaction. Die kölnische Zeitung predigte jetzt -- "denn müßige
Trauer stehe niemandem gut an, am wenigsten aber einer Zeitung" -- die feste
Verbindung Preußens mit den constitutionell-gesinnten deutschen Staaten, be¬
sonders Hannover, und mir dem antiruisischen europäischen Wesen. Die Ver¬
fassung vom 6. Februar 18i8 war immer noch ein breiterer Rechtsboden für
die Volksvertretung, als der vereinigte Landtag von 4848. Aber die Masse
des von der Contrerevolution am meisten bedrohten Mittelstandes zeigte eine
Mattigkeit, Bequemlichkeit und Mutlosigkeit, welche dem Andrang der ritter-
schaftlichen Reaction mit ihren Neactivirungen wenig Widerstand entgegensetzte.
Der Führer dieser Reaction, Herr von Gerlach, erklärte bereits am 7. Fe¬
bruar -1851 in der ersten Kummer bei Gelegenheit des Gesetzes über die Ab-
löslichkeit der Renten frommer Stiftungen, er würde, wenn er zur Annahme "
dieses Gesetzes riethe, eines größern Bruches des Vcrfassungöeides sich schuldig
machen, als wenn er die Cassirung der Paragraphen der Verfassungsurkunde,
die von den Kammern handele, durch eine Cabinetsordre empfehlen würde.
Ein zweiter Führer der Reaction, H e rr von Kleist-Retzow, widersetzte sich
in der zweiten Kammer der Ministerverantwortlichkeit mit der Erklärung: "die
Verfassungsurkunde von I8S0 enthält nicht unsre ganze preußische Verfassung:
es gibt Grundsätze, älter, wichtiger,'heiliger als irgendeine Bestimmung dieser'
Verfassungsurkunde. Einer derselben ist, daß Preußen eine Monarchie ist,
daß wir in Preußen einen König haben müssen." Das Organ dieser Partei,
die neue preußische Zeitung, nannte den Einfluß des mit revolutionären Irr¬
lehren reichlich durchwehten allgemeinen Landrechtö demoralisirend.

Gegen diese neue preußische Zeitung, gegen die kleine, aber mächtige


der Reichsverfassung wurden die Bundeöstaatsfürsten Mitte Mai von dem
Neichsoberhauptc zu einem „Fürstcncongresse" nach Berlin geladen und hier
nicht blos über das Wie, sondern auch noch über das Ob befragt. Die
Union war todt. Die. neuprcußischc Presse, welche die Union haßte, schrieb:
„Preußen darf nicht urtergchen in Nassau und Waldeck!" Oestreich und seine
Genossen in Frankfurt faßten Bundesbeschlüsse, verfügten Bundeserecutionen,
stellten im October bairische und östreichische Bundeserecutionslrnppen an
der kurhesstschen Grenze auf. Am 3. November rückten wirklich die Baiern
in Kurhessen ein, dem von Preußen aufgestellten eaLus delli offen trotzend.
Preußen wich zurück. Die kölnische Zeitung sprach heftig ihren Schmerz und
Unmuth aus. Sie wurde „wegen Schmähung der Anordnungen der Obrig¬
keit" und wegen „Verletzung der Ehrfurcht gegen den König" vor Gericht ge¬
stellt, aber freigesprochen. Es folgten am 29. November die bekannten Punc-
tationen von Olmütz. 32 Millionen Thaler, welche die Kammern zur Durch¬
führung der Union bewilligt hatten, waren umsonst ausgegeben. Der Kreis¬
lauf der „deutschen Täuschungen" war vollendet. Mit dem November 1830 begann
der Sieg der Reaction. Die kölnische Zeitung predigte jetzt — „denn müßige
Trauer stehe niemandem gut an, am wenigsten aber einer Zeitung" — die feste
Verbindung Preußens mit den constitutionell-gesinnten deutschen Staaten, be¬
sonders Hannover, und mir dem antiruisischen europäischen Wesen. Die Ver¬
fassung vom 6. Februar 18i8 war immer noch ein breiterer Rechtsboden für
die Volksvertretung, als der vereinigte Landtag von 4848. Aber die Masse
des von der Contrerevolution am meisten bedrohten Mittelstandes zeigte eine
Mattigkeit, Bequemlichkeit und Mutlosigkeit, welche dem Andrang der ritter-
schaftlichen Reaction mit ihren Neactivirungen wenig Widerstand entgegensetzte.
Der Führer dieser Reaction, Herr von Gerlach, erklärte bereits am 7. Fe¬
bruar -1851 in der ersten Kummer bei Gelegenheit des Gesetzes über die Ab-
löslichkeit der Renten frommer Stiftungen, er würde, wenn er zur Annahme "
dieses Gesetzes riethe, eines größern Bruches des Vcrfassungöeides sich schuldig
machen, als wenn er die Cassirung der Paragraphen der Verfassungsurkunde,
die von den Kammern handele, durch eine Cabinetsordre empfehlen würde.
Ein zweiter Führer der Reaction, H e rr von Kleist-Retzow, widersetzte sich
in der zweiten Kammer der Ministerverantwortlichkeit mit der Erklärung: „die
Verfassungsurkunde von I8S0 enthält nicht unsre ganze preußische Verfassung:
es gibt Grundsätze, älter, wichtiger,'heiliger als irgendeine Bestimmung dieser'
Verfassungsurkunde. Einer derselben ist, daß Preußen eine Monarchie ist,
daß wir in Preußen einen König haben müssen." Das Organ dieser Partei,
die neue preußische Zeitung, nannte den Einfluß des mit revolutionären Irr¬
lehren reichlich durchwehten allgemeinen Landrechtö demoralisirend.

Gegen diese neue preußische Zeitung, gegen die kleine, aber mächtige


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[0146] der Reichsverfassung wurden die Bundeöstaatsfürsten Mitte Mai von dem Neichsoberhauptc zu einem „Fürstcncongresse" nach Berlin geladen und hier nicht blos über das Wie, sondern auch noch über das Ob befragt. Die Union war todt. Die. neuprcußischc Presse, welche die Union haßte, schrieb: „Preußen darf nicht urtergchen in Nassau und Waldeck!" Oestreich und seine Genossen in Frankfurt faßten Bundesbeschlüsse, verfügten Bundeserecutionen, stellten im October bairische und östreichische Bundeserecutionslrnppen an der kurhesstschen Grenze auf. Am 3. November rückten wirklich die Baiern in Kurhessen ein, dem von Preußen aufgestellten eaLus delli offen trotzend. Preußen wich zurück. Die kölnische Zeitung sprach heftig ihren Schmerz und Unmuth aus. Sie wurde „wegen Schmähung der Anordnungen der Obrig¬ keit" und wegen „Verletzung der Ehrfurcht gegen den König" vor Gericht ge¬ stellt, aber freigesprochen. Es folgten am 29. November die bekannten Punc- tationen von Olmütz. 32 Millionen Thaler, welche die Kammern zur Durch¬ führung der Union bewilligt hatten, waren umsonst ausgegeben. Der Kreis¬ lauf der „deutschen Täuschungen" war vollendet. Mit dem November 1830 begann der Sieg der Reaction. Die kölnische Zeitung predigte jetzt — „denn müßige Trauer stehe niemandem gut an, am wenigsten aber einer Zeitung" — die feste Verbindung Preußens mit den constitutionell-gesinnten deutschen Staaten, be¬ sonders Hannover, und mir dem antiruisischen europäischen Wesen. Die Ver¬ fassung vom 6. Februar 18i8 war immer noch ein breiterer Rechtsboden für die Volksvertretung, als der vereinigte Landtag von 4848. Aber die Masse des von der Contrerevolution am meisten bedrohten Mittelstandes zeigte eine Mattigkeit, Bequemlichkeit und Mutlosigkeit, welche dem Andrang der ritter- schaftlichen Reaction mit ihren Neactivirungen wenig Widerstand entgegensetzte. Der Führer dieser Reaction, Herr von Gerlach, erklärte bereits am 7. Fe¬ bruar -1851 in der ersten Kummer bei Gelegenheit des Gesetzes über die Ab- löslichkeit der Renten frommer Stiftungen, er würde, wenn er zur Annahme " dieses Gesetzes riethe, eines größern Bruches des Vcrfassungöeides sich schuldig machen, als wenn er die Cassirung der Paragraphen der Verfassungsurkunde, die von den Kammern handele, durch eine Cabinetsordre empfehlen würde. Ein zweiter Führer der Reaction, H e rr von Kleist-Retzow, widersetzte sich in der zweiten Kammer der Ministerverantwortlichkeit mit der Erklärung: „die Verfassungsurkunde von I8S0 enthält nicht unsre ganze preußische Verfassung: es gibt Grundsätze, älter, wichtiger,'heiliger als irgendeine Bestimmung dieser' Verfassungsurkunde. Einer derselben ist, daß Preußen eine Monarchie ist, daß wir in Preußen einen König haben müssen." Das Organ dieser Partei, die neue preußische Zeitung, nannte den Einfluß des mit revolutionären Irr¬ lehren reichlich durchwehten allgemeinen Landrechtö demoralisirend. Gegen diese neue preußische Zeitung, gegen die kleine, aber mächtige

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99919/146>, abgerufen am 22.12.2024.