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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band.

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4- Januar 1849 protestirte Schwarzenberg gegen jede Neugestaltung Deutsch¬
lands ohne Oestreichs Zustimmung. In diesem Sinne arbeiteten auch die
östreichischen Abgeordneten in Frankfurt. Endlich kam es zu den Compromiß-
beschlüssen und zur Kaiserwahl vom ij0. März -I8/i9.

Die kölnische Zeitung verlangte Annahme der deutschen Krone von Preu¬
ßen, jedoch in einer Form, welche die Revision der von den Oestreichern und
den Demokraten verdorbenen Reichsverfassung und die formelle Freiwilligkeit
des Beitritts der Einzelnstaaten zum Reiche vorbehielt. Sie tadelte die berliner
Ablehnung und die frankfurter Störrigkeit. Sie und die ganze constitutionelle
Partei war in peinlichster Lage. scheiterte das Verfassungswerk, so stand es
schlimmer als vor dem März -1848. Der kleinere Bürgerstand am Rheine war
infolge der jüngsten Novemberenttäuschungen theils indifferent geworden, theils
zu den Demokraten übergetreten. Sehr viele intelligente Männer erklärten,
die Constiuttionellen hätten die Uebertreibungen der Revolution dulden, ja
fördern müssen, bis diese die Grundlagen der feudalen und absolutistischen
Reaction erst gründlich zerstört hätten: jetzt bleibe nur noch übrig, daß die
Reaction recht maßlos auftrete, und sich selbst zu Grunde richte. Da erfolgte am
27. April 1849 in Berlin die Auflösung der zweiten Kammer und ein octroyir-
teö neues Wahlgesetz ließ nicht auf sich warten.

Die constitutionelle Partei der Rheinprovinz berief einen rheinischen' Ge¬
meinderag nach.Köln. Derselbe entschied sich sür einen "allgemeinen Adressen¬
sturm an den Thron". Aber die mitvertretenen "Demokratisch-Constitutionellen,"
welche einen förmlichen' Widerstand gegen die Einziehung der Landwehr zur
Unterdrückung der süddeutschen Bewegungen für die Reichsverfassung organisir-
ten, brachten in die abzugebende Erklärung den Satz hinein: "bei Nichtbeach¬
tung dieser Erklärung drohen dem Vaterlande die größten Gefahren, durch die
^ selbst der Bestand Preußens in seiner gegenwärtigen Zusauunensetzung gefährdet
werden kann." Diese Erklärung wurde jedoch von den Constitutionellen und
von Herrn Brüggemann nicht unterzeichnet. Dennoch warf der Oberpräsident
Eichmann der kölnischen Zeitung vor, sie "habe mit dem Abfall der Rheinpro¬
vinz" gedroht; die kölnische Zeitung protestirte sofort gegen diese Anschul¬
digung lind maß die Schuld an dem deutschen Bürgerkriege dem "unseligen"
Ministerium bei.

Inzwischen erfolgte die allerhöchste Proclamation vom Is. Mai 1849,
das Dreikönigsbündniß und der berliner Entwurf einer "Reichsverfassung vom
28. Mai 1849. Die kölnische Zeitung begrüßte denselben mit warmer Zu¬
stimmung und.ließ sich sogar das octroyirte, preußische neue Wahlgesetz gefallen.
Sie rieth ihren Freunden, nach demselben zu wählen, damit die Kammern der
Regierung in ihrem deutschen Werke kräftig zu Seite ständen. Aber der
"Reichstag" zu Erfurt im April blieb erfolglos. Nach der Endton.inuahme


Grenzboten. III. ILüö. >>8

4- Januar 1849 protestirte Schwarzenberg gegen jede Neugestaltung Deutsch¬
lands ohne Oestreichs Zustimmung. In diesem Sinne arbeiteten auch die
östreichischen Abgeordneten in Frankfurt. Endlich kam es zu den Compromiß-
beschlüssen und zur Kaiserwahl vom ij0. März -I8/i9.

Die kölnische Zeitung verlangte Annahme der deutschen Krone von Preu¬
ßen, jedoch in einer Form, welche die Revision der von den Oestreichern und
den Demokraten verdorbenen Reichsverfassung und die formelle Freiwilligkeit
des Beitritts der Einzelnstaaten zum Reiche vorbehielt. Sie tadelte die berliner
Ablehnung und die frankfurter Störrigkeit. Sie und die ganze constitutionelle
Partei war in peinlichster Lage. scheiterte das Verfassungswerk, so stand es
schlimmer als vor dem März -1848. Der kleinere Bürgerstand am Rheine war
infolge der jüngsten Novemberenttäuschungen theils indifferent geworden, theils
zu den Demokraten übergetreten. Sehr viele intelligente Männer erklärten,
die Constiuttionellen hätten die Uebertreibungen der Revolution dulden, ja
fördern müssen, bis diese die Grundlagen der feudalen und absolutistischen
Reaction erst gründlich zerstört hätten: jetzt bleibe nur noch übrig, daß die
Reaction recht maßlos auftrete, und sich selbst zu Grunde richte. Da erfolgte am
27. April 1849 in Berlin die Auflösung der zweiten Kammer und ein octroyir-
teö neues Wahlgesetz ließ nicht auf sich warten.

Die constitutionelle Partei der Rheinprovinz berief einen rheinischen' Ge¬
meinderag nach.Köln. Derselbe entschied sich sür einen „allgemeinen Adressen¬
sturm an den Thron". Aber die mitvertretenen „Demokratisch-Constitutionellen,"
welche einen förmlichen' Widerstand gegen die Einziehung der Landwehr zur
Unterdrückung der süddeutschen Bewegungen für die Reichsverfassung organisir-
ten, brachten in die abzugebende Erklärung den Satz hinein: „bei Nichtbeach¬
tung dieser Erklärung drohen dem Vaterlande die größten Gefahren, durch die
^ selbst der Bestand Preußens in seiner gegenwärtigen Zusauunensetzung gefährdet
werden kann." Diese Erklärung wurde jedoch von den Constitutionellen und
von Herrn Brüggemann nicht unterzeichnet. Dennoch warf der Oberpräsident
Eichmann der kölnischen Zeitung vor, sie „habe mit dem Abfall der Rheinpro¬
vinz" gedroht; die kölnische Zeitung protestirte sofort gegen diese Anschul¬
digung lind maß die Schuld an dem deutschen Bürgerkriege dem „unseligen"
Ministerium bei.

Inzwischen erfolgte die allerhöchste Proclamation vom Is. Mai 1849,
das Dreikönigsbündniß und der berliner Entwurf einer „Reichsverfassung vom
28. Mai 1849. Die kölnische Zeitung begrüßte denselben mit warmer Zu¬
stimmung und.ließ sich sogar das octroyirte, preußische neue Wahlgesetz gefallen.
Sie rieth ihren Freunden, nach demselben zu wählen, damit die Kammern der
Regierung in ihrem deutschen Werke kräftig zu Seite ständen. Aber der
„Reichstag" zu Erfurt im April blieb erfolglos. Nach der Endton.inuahme


Grenzboten. III. ILüö. >>8
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[0145] 4- Januar 1849 protestirte Schwarzenberg gegen jede Neugestaltung Deutsch¬ lands ohne Oestreichs Zustimmung. In diesem Sinne arbeiteten auch die östreichischen Abgeordneten in Frankfurt. Endlich kam es zu den Compromiß- beschlüssen und zur Kaiserwahl vom ij0. März -I8/i9. Die kölnische Zeitung verlangte Annahme der deutschen Krone von Preu¬ ßen, jedoch in einer Form, welche die Revision der von den Oestreichern und den Demokraten verdorbenen Reichsverfassung und die formelle Freiwilligkeit des Beitritts der Einzelnstaaten zum Reiche vorbehielt. Sie tadelte die berliner Ablehnung und die frankfurter Störrigkeit. Sie und die ganze constitutionelle Partei war in peinlichster Lage. scheiterte das Verfassungswerk, so stand es schlimmer als vor dem März -1848. Der kleinere Bürgerstand am Rheine war infolge der jüngsten Novemberenttäuschungen theils indifferent geworden, theils zu den Demokraten übergetreten. Sehr viele intelligente Männer erklärten, die Constiuttionellen hätten die Uebertreibungen der Revolution dulden, ja fördern müssen, bis diese die Grundlagen der feudalen und absolutistischen Reaction erst gründlich zerstört hätten: jetzt bleibe nur noch übrig, daß die Reaction recht maßlos auftrete, und sich selbst zu Grunde richte. Da erfolgte am 27. April 1849 in Berlin die Auflösung der zweiten Kammer und ein octroyir- teö neues Wahlgesetz ließ nicht auf sich warten. Die constitutionelle Partei der Rheinprovinz berief einen rheinischen' Ge¬ meinderag nach.Köln. Derselbe entschied sich sür einen „allgemeinen Adressen¬ sturm an den Thron". Aber die mitvertretenen „Demokratisch-Constitutionellen," welche einen förmlichen' Widerstand gegen die Einziehung der Landwehr zur Unterdrückung der süddeutschen Bewegungen für die Reichsverfassung organisir- ten, brachten in die abzugebende Erklärung den Satz hinein: „bei Nichtbeach¬ tung dieser Erklärung drohen dem Vaterlande die größten Gefahren, durch die ^ selbst der Bestand Preußens in seiner gegenwärtigen Zusauunensetzung gefährdet werden kann." Diese Erklärung wurde jedoch von den Constitutionellen und von Herrn Brüggemann nicht unterzeichnet. Dennoch warf der Oberpräsident Eichmann der kölnischen Zeitung vor, sie „habe mit dem Abfall der Rheinpro¬ vinz" gedroht; die kölnische Zeitung protestirte sofort gegen diese Anschul¬ digung lind maß die Schuld an dem deutschen Bürgerkriege dem „unseligen" Ministerium bei. Inzwischen erfolgte die allerhöchste Proclamation vom Is. Mai 1849, das Dreikönigsbündniß und der berliner Entwurf einer „Reichsverfassung vom 28. Mai 1849. Die kölnische Zeitung begrüßte denselben mit warmer Zu¬ stimmung und.ließ sich sogar das octroyirte, preußische neue Wahlgesetz gefallen. Sie rieth ihren Freunden, nach demselben zu wählen, damit die Kammern der Regierung in ihrem deutschen Werke kräftig zu Seite ständen. Aber der „Reichstag" zu Erfurt im April blieb erfolglos. Nach der Endton.inuahme Grenzboten. III. ILüö. >>8

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99919/145>, abgerufen am 22.07.2024.