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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band.

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Herr Brüggemann und die kölnische Zeitung von
184K bis 1855.")

Der auf administrativen Wege von der preußischen Negierung erzwungene
Rücktritt des Herrn Brüggemann von der Redaction der "kölnischen Zeitung"
hat in weitesten Kreisen gerechtes Aufsehen erregt; Herr Brüggemann hat jetzt
eine genauere Darstellung dieses Vorganges und zugleich eine Rechtfertigung
seiner neunjährigen Redaction erscheinen lassen.

Herr Brüggemann, 1810 in Westphalen geboren, hatte in Bonn und
Heidelberg Staatswissenschaften heübin. Er hatte eine jugendliche demagogische
Verirrung mit achtjähriger Gefängnißhaft gebüßt, in Berlin 18i2 eine "kri¬
tische Beleuchtung von Lifts nationalem System der politischen Oekonomie" und
1843 "Preußens Beruf in der deutschen Staatsentwicklung" herausgegeben,
als er im October 18is die Redaction der kölnischen Zeitung antrat. Vor
seinem Abgange nach Köln erklärte ihm warnend der damalige Minister
des Innern von Bodelschwingh, daß eine etwaige "communistisch-subversive
Tendenz seiner Redaction sofort eine Unterdrückung der Zeitung unfehlbar zur
Folge haben würde, indem die Censur nur zur Beseitigung einzelner Aus¬
wüchse, nicht aber gegen beharrliche gefährliche Tendenzen der Presse aus¬
reiche." Herr Brüggemann war indeß von Communismus sehr weit entfernt.
Schon 1842 hatte er drucken lassen: "Vor allem wird die Rettung der Prole¬
tarier aus der Schmach und Noth des Pöbelthums unsre Aufgabe sein. Es
muß dem Proletarier der Geist der Ehre und der Freiheit eingehaucht und der
Teufel des ehrlosen Leichtsinns und der Genußsucht ausgetrieben werden. Er
soll nichts als erniedrigendes Almosen empfangen, was ihm als Lohn recht¬
mäßig gebührt! Freilich läßt sich solche Umwandlung nur sehr allmälig schaffen.
Das Mittel ist die Gründung von Versicherungskassen (Kranken-, Penstons-
Wittwenkassen) selbst mit Zwangsbeiträgen und zunächst unter Oberleitung der
Behörden, aber jedenfalls auch vom Anfange an mit einiger und zwar
sich immer erweiternder Ehre der Selbstverwaltung. Hierin liegt das ein¬
zige irgend gründliche Heilmittel und Präservativ gegen Communismus."

Der Kern von Brüggemanns politischem Redactionsprogramm war ein
"von der Ortsgemeinde bis zum Staate und bis zum nationalen Reiche durch¬
geführtes Selfgov ernmen t -- im Gegensatz zu dem französischen Schein-
constitutionalismus mit seiner blos theoretischen Theilung der Gewalten und
in der unmittelbaren Anlehnung an die bestehenden, noch lebensfähigen Zustände
und zwar für Preußen insbesondere an die Stein-Hardenbergische Gesetzgebung



Meine Leitung der kölnischen Zeitung und die Krisen der preußischen Politik von
18i>6 bis 18so. Von K. H- Brüggemann. Leipzig, ->8ö6.
Herr Brüggemann und die kölnische Zeitung von
184K bis 1855.»)

Der auf administrativen Wege von der preußischen Negierung erzwungene
Rücktritt des Herrn Brüggemann von der Redaction der „kölnischen Zeitung"
hat in weitesten Kreisen gerechtes Aufsehen erregt; Herr Brüggemann hat jetzt
eine genauere Darstellung dieses Vorganges und zugleich eine Rechtfertigung
seiner neunjährigen Redaction erscheinen lassen.

Herr Brüggemann, 1810 in Westphalen geboren, hatte in Bonn und
Heidelberg Staatswissenschaften heübin. Er hatte eine jugendliche demagogische
Verirrung mit achtjähriger Gefängnißhaft gebüßt, in Berlin 18i2 eine „kri¬
tische Beleuchtung von Lifts nationalem System der politischen Oekonomie" und
1843 „Preußens Beruf in der deutschen Staatsentwicklung" herausgegeben,
als er im October 18is die Redaction der kölnischen Zeitung antrat. Vor
seinem Abgange nach Köln erklärte ihm warnend der damalige Minister
des Innern von Bodelschwingh, daß eine etwaige „communistisch-subversive
Tendenz seiner Redaction sofort eine Unterdrückung der Zeitung unfehlbar zur
Folge haben würde, indem die Censur nur zur Beseitigung einzelner Aus¬
wüchse, nicht aber gegen beharrliche gefährliche Tendenzen der Presse aus¬
reiche." Herr Brüggemann war indeß von Communismus sehr weit entfernt.
Schon 1842 hatte er drucken lassen: „Vor allem wird die Rettung der Prole¬
tarier aus der Schmach und Noth des Pöbelthums unsre Aufgabe sein. Es
muß dem Proletarier der Geist der Ehre und der Freiheit eingehaucht und der
Teufel des ehrlosen Leichtsinns und der Genußsucht ausgetrieben werden. Er
soll nichts als erniedrigendes Almosen empfangen, was ihm als Lohn recht¬
mäßig gebührt! Freilich läßt sich solche Umwandlung nur sehr allmälig schaffen.
Das Mittel ist die Gründung von Versicherungskassen (Kranken-, Penstons-
Wittwenkassen) selbst mit Zwangsbeiträgen und zunächst unter Oberleitung der
Behörden, aber jedenfalls auch vom Anfange an mit einiger und zwar
sich immer erweiternder Ehre der Selbstverwaltung. Hierin liegt das ein¬
zige irgend gründliche Heilmittel und Präservativ gegen Communismus."

Der Kern von Brüggemanns politischem Redactionsprogramm war ein
„von der Ortsgemeinde bis zum Staate und bis zum nationalen Reiche durch¬
geführtes Selfgov ernmen t — im Gegensatz zu dem französischen Schein-
constitutionalismus mit seiner blos theoretischen Theilung der Gewalten und
in der unmittelbaren Anlehnung an die bestehenden, noch lebensfähigen Zustände
und zwar für Preußen insbesondere an die Stein-Hardenbergische Gesetzgebung



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[0140] Herr Brüggemann und die kölnische Zeitung von 184K bis 1855.») Der auf administrativen Wege von der preußischen Negierung erzwungene Rücktritt des Herrn Brüggemann von der Redaction der „kölnischen Zeitung" hat in weitesten Kreisen gerechtes Aufsehen erregt; Herr Brüggemann hat jetzt eine genauere Darstellung dieses Vorganges und zugleich eine Rechtfertigung seiner neunjährigen Redaction erscheinen lassen. Herr Brüggemann, 1810 in Westphalen geboren, hatte in Bonn und Heidelberg Staatswissenschaften heübin. Er hatte eine jugendliche demagogische Verirrung mit achtjähriger Gefängnißhaft gebüßt, in Berlin 18i2 eine „kri¬ tische Beleuchtung von Lifts nationalem System der politischen Oekonomie" und 1843 „Preußens Beruf in der deutschen Staatsentwicklung" herausgegeben, als er im October 18is die Redaction der kölnischen Zeitung antrat. Vor seinem Abgange nach Köln erklärte ihm warnend der damalige Minister des Innern von Bodelschwingh, daß eine etwaige „communistisch-subversive Tendenz seiner Redaction sofort eine Unterdrückung der Zeitung unfehlbar zur Folge haben würde, indem die Censur nur zur Beseitigung einzelner Aus¬ wüchse, nicht aber gegen beharrliche gefährliche Tendenzen der Presse aus¬ reiche." Herr Brüggemann war indeß von Communismus sehr weit entfernt. Schon 1842 hatte er drucken lassen: „Vor allem wird die Rettung der Prole¬ tarier aus der Schmach und Noth des Pöbelthums unsre Aufgabe sein. Es muß dem Proletarier der Geist der Ehre und der Freiheit eingehaucht und der Teufel des ehrlosen Leichtsinns und der Genußsucht ausgetrieben werden. Er soll nichts als erniedrigendes Almosen empfangen, was ihm als Lohn recht¬ mäßig gebührt! Freilich läßt sich solche Umwandlung nur sehr allmälig schaffen. Das Mittel ist die Gründung von Versicherungskassen (Kranken-, Penstons- Wittwenkassen) selbst mit Zwangsbeiträgen und zunächst unter Oberleitung der Behörden, aber jedenfalls auch vom Anfange an mit einiger und zwar sich immer erweiternder Ehre der Selbstverwaltung. Hierin liegt das ein¬ zige irgend gründliche Heilmittel und Präservativ gegen Communismus." Der Kern von Brüggemanns politischem Redactionsprogramm war ein „von der Ortsgemeinde bis zum Staate und bis zum nationalen Reiche durch¬ geführtes Selfgov ernmen t — im Gegensatz zu dem französischen Schein- constitutionalismus mit seiner blos theoretischen Theilung der Gewalten und in der unmittelbaren Anlehnung an die bestehenden, noch lebensfähigen Zustände und zwar für Preußen insbesondere an die Stein-Hardenbergische Gesetzgebung Meine Leitung der kölnischen Zeitung und die Krisen der preußischen Politik von 18i>6 bis 18so. Von K. H- Brüggemann. Leipzig, ->8ö6.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99919/140>, abgerufen am 22.07.2024.