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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band.

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berechtigt ist. Es keimen einzelne Versehen vor, welche, wie billig man
auch über Unglücksfälle denken mag, sich wenigstens nicht wiederholen dursten,
im Allgemeinen war Ton und Vortrag der Bläser nicht über dem Gewöhn¬
lichen und ohne die kräftige Stütze der Saiteninstrumente wären sie kaum gut
durchgekommen. Es ist eine eigenthümliche Erscheinung, daß heutzutage mit
Ausnahme einiger großer Kipellen allenthalben geklagt wird, daß die Blas-
instrumente immer weniger cultivirt werden und an guten Bläsern der größte
Mangel ist -- zu einer Zeit, wo die Componisten diese Partie des Orchesters
mehr in Anspruch nehmen, als je. Es ist das auch ein Beweis dafür, daß die
künstlerische Produktion sich mehr und mehr von der realen Bedingung einer ge¬
deihlichen Wirksamkeit losgelöst hat. Wer jetzt componirt, fragt zuletzt nach der
Möglichkeit der Ausführung und gewöhnt sich lieber daran, den Werth, seiner
Gedanken nach den Mitteln zu schätzen, die er dafür in Bewegung setzt- in
früheren Zeiten waren die vorhandenen Mittel dein Componisten in der Regel
die gegebene Bedingung für Anlage und Umfang seiner Arbeit und die Kunst
hat sich bei dieser Beschränkung nicht schlecht befunden. Allerdings läßt sich
die zunehmende Vernachlässigung der Blasinstrumente dabei doch wol erklären.
Früher gab es eine Menge Kapellen, welche, wenn auch nickt stark besetzt und
mäßig besoldet, doch den Mitgliedern es möglich machten, sich aus ihren In¬
strumenten unausgesetzt künstlerisch fortzubilden und die damals herrsckende
Vorliebe für Harmoniemusik ließ auf die Blasinstrumente einen großen Werth
legen. Man glaube nicht, daß die weit vorgeschrittene Militärmusik jetzt eine
ähnliche Wirkung übe; sowenig als die einseitige Ausübung des Männer¬
gesangs eine gute Vorbereitung für eigentlichen Chorgesang ist, sowenig nützt
die Militärmusik der Ausbildung deS Orchesters; beide schaden, weil sie leicht
roh und beschränkt machen. Die meisten Mitglieder von Orchestern sind aber
ja leider in der Lage, daß sie von dem, was sie in dieser Stellung verdienen/
nickt leben können, sondern wo nur eine Gelegenheit sich bietet, oft selbst zum
Tanz spielen müssen, um nur zu eristiren. Das verdirbt nicht allein allmälig
Ansatz und Vortrag; manche Instrumente, die im Orchester unentbehrlich
sind, werden auch dort allein gebraucht z. B. das Fagott und es erheischt
gradezu erhebliche Opfer, wenn einer sich die Meisterschaft auf einem Instrument,
das ihn nicht ernähren kann, fortwährend erhalten soll. Will man gute
Orchester haben, so muß vor allen Dingen dahin gestrebt werden, daß es den
Mitgliedern materiell möglich werde, sich künstlerische Bildung zu verschaffen
und zu erhalten. Wie in den andern Künsten, so gilt auch in der Musik die
Mahnung, nicht die einzelne glänzende Leistung, nicht die Virtuosität durch
unverchältnißmäßi'^e Belohnungen auszuzeichnen, sondern das Handwerk zu bilden
und auch materiell z" h^.,^ ^"ut es frei werden und Theil haben könne an
der Kunst, für welche es allein den Boden bildet, in dem sie wurzeln kann.


berechtigt ist. Es keimen einzelne Versehen vor, welche, wie billig man
auch über Unglücksfälle denken mag, sich wenigstens nicht wiederholen dursten,
im Allgemeinen war Ton und Vortrag der Bläser nicht über dem Gewöhn¬
lichen und ohne die kräftige Stütze der Saiteninstrumente wären sie kaum gut
durchgekommen. Es ist eine eigenthümliche Erscheinung, daß heutzutage mit
Ausnahme einiger großer Kipellen allenthalben geklagt wird, daß die Blas-
instrumente immer weniger cultivirt werden und an guten Bläsern der größte
Mangel ist — zu einer Zeit, wo die Componisten diese Partie des Orchesters
mehr in Anspruch nehmen, als je. Es ist das auch ein Beweis dafür, daß die
künstlerische Produktion sich mehr und mehr von der realen Bedingung einer ge¬
deihlichen Wirksamkeit losgelöst hat. Wer jetzt componirt, fragt zuletzt nach der
Möglichkeit der Ausführung und gewöhnt sich lieber daran, den Werth, seiner
Gedanken nach den Mitteln zu schätzen, die er dafür in Bewegung setzt- in
früheren Zeiten waren die vorhandenen Mittel dein Componisten in der Regel
die gegebene Bedingung für Anlage und Umfang seiner Arbeit und die Kunst
hat sich bei dieser Beschränkung nicht schlecht befunden. Allerdings läßt sich
die zunehmende Vernachlässigung der Blasinstrumente dabei doch wol erklären.
Früher gab es eine Menge Kapellen, welche, wenn auch nickt stark besetzt und
mäßig besoldet, doch den Mitgliedern es möglich machten, sich aus ihren In¬
strumenten unausgesetzt künstlerisch fortzubilden und die damals herrsckende
Vorliebe für Harmoniemusik ließ auf die Blasinstrumente einen großen Werth
legen. Man glaube nicht, daß die weit vorgeschrittene Militärmusik jetzt eine
ähnliche Wirkung übe; sowenig als die einseitige Ausübung des Männer¬
gesangs eine gute Vorbereitung für eigentlichen Chorgesang ist, sowenig nützt
die Militärmusik der Ausbildung deS Orchesters; beide schaden, weil sie leicht
roh und beschränkt machen. Die meisten Mitglieder von Orchestern sind aber
ja leider in der Lage, daß sie von dem, was sie in dieser Stellung verdienen/
nickt leben können, sondern wo nur eine Gelegenheit sich bietet, oft selbst zum
Tanz spielen müssen, um nur zu eristiren. Das verdirbt nicht allein allmälig
Ansatz und Vortrag; manche Instrumente, die im Orchester unentbehrlich
sind, werden auch dort allein gebraucht z. B. das Fagott und es erheischt
gradezu erhebliche Opfer, wenn einer sich die Meisterschaft auf einem Instrument,
das ihn nicht ernähren kann, fortwährend erhalten soll. Will man gute
Orchester haben, so muß vor allen Dingen dahin gestrebt werden, daß es den
Mitgliedern materiell möglich werde, sich künstlerische Bildung zu verschaffen
und zu erhalten. Wie in den andern Künsten, so gilt auch in der Musik die
Mahnung, nicht die einzelne glänzende Leistung, nicht die Virtuosität durch
unverchältnißmäßi'^e Belohnungen auszuzeichnen, sondern das Handwerk zu bilden
und auch materiell z« h^.,^ ^„ut es frei werden und Theil haben könne an
der Kunst, für welche es allein den Boden bildet, in dem sie wurzeln kann.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99919/13>, abgerufen am 23.06.2024.