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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band.

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Dies kann allerdings nicht durch Musikfeste erreicht werden, allein darauf
dürste man dort wol das Augenmerk mehr richten, daß nicht ein Theil des
Orchesters dem andern so merklich nachstehe. Auch das schien eines Musikfestes
nicht ganz würdig, das; man bei Schumanns Oratorium die Harfe gespart
hatte. Freilich hat sie unbequem wenig zu thun; allein bei einer solchen Ge¬
legenheit sollte wol auch nach dieser Seite hin alles aufgeboten werden, die
vom Komponisten beabsichtigte Wirkung zu erreichen.

Es ist keine kleine Aufgabe, eine Masse, wie sie Sänger und Orchester
bildeten -- es waren im Ganzen 825 Mitwirkende -- zu dirigiren. Freilich
sind die Einzelnen bereits eingeübt oder doch bekannt mit dem, was zu leisten
ist -- dies gilt von den Singenden ganz allgemein, vom Orchester doch der
überwiegenden Mehrzahl nach -- und es kommt also wesentlich darauf an, alle
die verschiedenartigen zusammengeströmten Elemente zu einer Einheit zu ver¬
schmelzen und zu beleben. Grade dies aber, ist und bleibt bei allem guten
Willen und der Uebung, welche die lange Reihe ähnlicher Zusammenkünfte gebracht
hat, eine Aufgabe, die immer wieder neue Schwierigkeiten mit sich führt. Ehe
der Einzelne sich gewöhnt, sein Wollen und Können ganz daran zu geben an
die Ordre des Höchstcommandirenden, bedarf es gewöhnlich einiger Kämpfe
und trotz aller Vorbereitungen bringen mitunter die ersten Proben ein Chaos
zuwege, das einen ganz andern Eindruck als das Haydnsche macht. Ferdi¬
nand Hiller, dem die Leitung dieses Mal übertragen war, hat seit vielen
Jahren unter so verschiedenen Verhältnissen sich als Dirigenten bewährt, daß
es ihm anch für außerordentliche Gelegenheiten an Umsicht, Festigkeit und
Nuhe nicht fehlen kann; außerdem besitzt er eine reiche Lebenserfahrung, ge¬
winnende Formen im persönlichen Verkehr und die Gabe vortrefflich zuspreche",
endlich Autorität als Künstler -- lauter Bürgschaften für einen günstigen Er¬
folg. Dazu kam, daß er einen wesentlichen Theil der Vorbereitungen selbst
geleitet hatte, als Musikdirector in Köln und früher in Düsseldorf mit allen
Verhältnissen genau bekannt geworden war und sich in jeder Beziehung heimisch
fühlen konnte. Er hatte sich deshalb auch uicht auf seine Function als Dirigent
beschränkt, er war Mitglied deS FestcvmitL und hatte sich um das Zustande¬
kommen und die Einrichtung des ganzen Festes durch eifrige und erfolgreiche
Thätigkeit die größten Verdienste erworben.

Vor allen Dingen aber bedarf der Dirigent an einem Musikfeste einer
festen Gesundheit, denn es ist eine so unausgesetzte geistige und körperliche An¬
spannung, in welcher alle Mitwirkenden, der Dirigent also in ungleich höherem
Grade, gehalten werden, daß man kaum begreift, wie es auszuhalten ist. Am
Freitag, den 25. Mai, Morgens neun Uhr begann die erste Probe, die bis
Mittag, Nachmittags um vier die zweite, die bis in den Abend dauerte; am
Sonnabend sing die Probe schon Morgens um acht Uhr, dafür denn auch


Dies kann allerdings nicht durch Musikfeste erreicht werden, allein darauf
dürste man dort wol das Augenmerk mehr richten, daß nicht ein Theil des
Orchesters dem andern so merklich nachstehe. Auch das schien eines Musikfestes
nicht ganz würdig, das; man bei Schumanns Oratorium die Harfe gespart
hatte. Freilich hat sie unbequem wenig zu thun; allein bei einer solchen Ge¬
legenheit sollte wol auch nach dieser Seite hin alles aufgeboten werden, die
vom Komponisten beabsichtigte Wirkung zu erreichen.

Es ist keine kleine Aufgabe, eine Masse, wie sie Sänger und Orchester
bildeten — es waren im Ganzen 825 Mitwirkende — zu dirigiren. Freilich
sind die Einzelnen bereits eingeübt oder doch bekannt mit dem, was zu leisten
ist — dies gilt von den Singenden ganz allgemein, vom Orchester doch der
überwiegenden Mehrzahl nach — und es kommt also wesentlich darauf an, alle
die verschiedenartigen zusammengeströmten Elemente zu einer Einheit zu ver¬
schmelzen und zu beleben. Grade dies aber, ist und bleibt bei allem guten
Willen und der Uebung, welche die lange Reihe ähnlicher Zusammenkünfte gebracht
hat, eine Aufgabe, die immer wieder neue Schwierigkeiten mit sich führt. Ehe
der Einzelne sich gewöhnt, sein Wollen und Können ganz daran zu geben an
die Ordre des Höchstcommandirenden, bedarf es gewöhnlich einiger Kämpfe
und trotz aller Vorbereitungen bringen mitunter die ersten Proben ein Chaos
zuwege, das einen ganz andern Eindruck als das Haydnsche macht. Ferdi¬
nand Hiller, dem die Leitung dieses Mal übertragen war, hat seit vielen
Jahren unter so verschiedenen Verhältnissen sich als Dirigenten bewährt, daß
es ihm anch für außerordentliche Gelegenheiten an Umsicht, Festigkeit und
Nuhe nicht fehlen kann; außerdem besitzt er eine reiche Lebenserfahrung, ge¬
winnende Formen im persönlichen Verkehr und die Gabe vortrefflich zuspreche»,
endlich Autorität als Künstler — lauter Bürgschaften für einen günstigen Er¬
folg. Dazu kam, daß er einen wesentlichen Theil der Vorbereitungen selbst
geleitet hatte, als Musikdirector in Köln und früher in Düsseldorf mit allen
Verhältnissen genau bekannt geworden war und sich in jeder Beziehung heimisch
fühlen konnte. Er hatte sich deshalb auch uicht auf seine Function als Dirigent
beschränkt, er war Mitglied deS FestcvmitL und hatte sich um das Zustande¬
kommen und die Einrichtung des ganzen Festes durch eifrige und erfolgreiche
Thätigkeit die größten Verdienste erworben.

Vor allen Dingen aber bedarf der Dirigent an einem Musikfeste einer
festen Gesundheit, denn es ist eine so unausgesetzte geistige und körperliche An¬
spannung, in welcher alle Mitwirkenden, der Dirigent also in ungleich höherem
Grade, gehalten werden, daß man kaum begreift, wie es auszuhalten ist. Am
Freitag, den 25. Mai, Morgens neun Uhr begann die erste Probe, die bis
Mittag, Nachmittags um vier die zweite, die bis in den Abend dauerte; am
Sonnabend sing die Probe schon Morgens um acht Uhr, dafür denn auch


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99919/14>, abgerufen am 22.07.2024.