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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band.

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geistreiche Auffassung und dergleichen nicht abfinden kann. Die Wirkung aller
ist um so tiefer, als daS Mittel dieser Reproduction das geistigste, das freiste
ist, in welchem daS Innere am tiefsten und reinsten sich ausdrückt, die Stimme;
und es ist nicht zu sagen, mit welcher Innigkeit und Wahrheit Frau Gold¬
schmidt den einzelnen Ton zu beseelen vermag, so daß der Hörer, von jener
Bewegung und Rührung ergriffen wird, die allein die vollendete Schönheit in
einem empfänglichen Gemüth erzeugt. Jeder wird sich leicht an Einzelheiten
erinnern, die ihn besonders ergriffen haben, ich will nur an eins erinnern.
Die erste Sopranarie der Schöpfung schließt bekanntlich mit den Worten "Hier
sproßt der Wunden Heil." Haydn hat hier den Wunden durch das eilf im
Baß einen stark accentuirtem Ausdruck des Schmerzes gegeben, die wohlthuende
Auflösung >n den Durdreiklang genügte ihm das Heil zu bezeichnen. Wäh¬
rend nun die meisten Sängerinnen sich bemühen, den schmerzlichen Ausdruck
noch mehr hervorzuheben, wußte Frau Goldschmidt dem Ton, mit welchem sie
das Wort Heil sang, ohne ihn ungebürlich herauszuheben, einen Charakter
zu geben, daß er wie mit einer sühnenden Kraft in die Seele des Hörers
drang.

So leicht es ist, Frau Goldschmidt zu loben, so schwer ist es, den
Sängerinnen, welche neben ihr auftraten, Gerechtigkeit widerfahren zu lassen.
Fräulein Mathilde Hartmann aus Düsseldorf, weiche dort und in den
benachbarten Städten einen wohlerworbenen Ruf als Eonccrtsängerin genießt,
hatte die Sopransoli, Fräulein Pels-Leuöden aus Köln die Altsoli über¬
nommen und einige Schülerinnen der Kölner Musikschule traten bei kleinen
Ensemblesätzen mit ein - Es wird niemand einfallen, rücksichtlich der Stimme
oder Virtuosität Vergleichungen anstellen zu wollen, die ungerecht und unbillig
wären, allein es ist unmöglich, neben dem Gesang der Goldschmidt alles, was
in geistiger Durchdringung und völlig freier lebendiger Darstellung jeder Aus¬
gabe hinter ihr zurückbleibt, nicht als einen absoluten Mangel zu empfinden.
Man mag die Unbilligkeit der Anforderung erkennen, sie bleibt nichtsdesto¬
weniger unabweisbar. Und da dürfen sich die Damen beklagen, wenn ihr"
sehr anerkennenswerther Leistungen nicht den Eindruck machten, den sie unter
etwas andern Umgebungen zu machen nicht verfehlt hätten und wenn sie sich
mit dem Lobe begnügen müssen, auf dankenswerthe Weise dem Ganzen gedient
zu haben.

Herr Schneider aus Leipzig war der Tenorist des Musikfestes, und
daß man ihm nachrühmen darf, den zweiten Platz neben Frau Goldschmidt
mit Ehren eingenommen zu haben, schließt gewiß kein geringes Lob in sich.
Er ist bekannt als ein Sänger von tüchtiger Bildung, der es ernst nimmt,
Dem die Würde der Kunst mehr gilt, als ein durch einen Kunstgriff leicht er¬
rungener Beifall, und von dem man einen durchdachten Vortrag mit Sicher-


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geistreiche Auffassung und dergleichen nicht abfinden kann. Die Wirkung aller
ist um so tiefer, als daS Mittel dieser Reproduction das geistigste, das freiste
ist, in welchem daS Innere am tiefsten und reinsten sich ausdrückt, die Stimme;
und es ist nicht zu sagen, mit welcher Innigkeit und Wahrheit Frau Gold¬
schmidt den einzelnen Ton zu beseelen vermag, so daß der Hörer, von jener
Bewegung und Rührung ergriffen wird, die allein die vollendete Schönheit in
einem empfänglichen Gemüth erzeugt. Jeder wird sich leicht an Einzelheiten
erinnern, die ihn besonders ergriffen haben, ich will nur an eins erinnern.
Die erste Sopranarie der Schöpfung schließt bekanntlich mit den Worten „Hier
sproßt der Wunden Heil." Haydn hat hier den Wunden durch das eilf im
Baß einen stark accentuirtem Ausdruck des Schmerzes gegeben, die wohlthuende
Auflösung >n den Durdreiklang genügte ihm das Heil zu bezeichnen. Wäh¬
rend nun die meisten Sängerinnen sich bemühen, den schmerzlichen Ausdruck
noch mehr hervorzuheben, wußte Frau Goldschmidt dem Ton, mit welchem sie
das Wort Heil sang, ohne ihn ungebürlich herauszuheben, einen Charakter
zu geben, daß er wie mit einer sühnenden Kraft in die Seele des Hörers
drang.

So leicht es ist, Frau Goldschmidt zu loben, so schwer ist es, den
Sängerinnen, welche neben ihr auftraten, Gerechtigkeit widerfahren zu lassen.
Fräulein Mathilde Hartmann aus Düsseldorf, weiche dort und in den
benachbarten Städten einen wohlerworbenen Ruf als Eonccrtsängerin genießt,
hatte die Sopransoli, Fräulein Pels-Leuöden aus Köln die Altsoli über¬
nommen und einige Schülerinnen der Kölner Musikschule traten bei kleinen
Ensemblesätzen mit ein - Es wird niemand einfallen, rücksichtlich der Stimme
oder Virtuosität Vergleichungen anstellen zu wollen, die ungerecht und unbillig
wären, allein es ist unmöglich, neben dem Gesang der Goldschmidt alles, was
in geistiger Durchdringung und völlig freier lebendiger Darstellung jeder Aus¬
gabe hinter ihr zurückbleibt, nicht als einen absoluten Mangel zu empfinden.
Man mag die Unbilligkeit der Anforderung erkennen, sie bleibt nichtsdesto¬
weniger unabweisbar. Und da dürfen sich die Damen beklagen, wenn ihr«
sehr anerkennenswerther Leistungen nicht den Eindruck machten, den sie unter
etwas andern Umgebungen zu machen nicht verfehlt hätten und wenn sie sich
mit dem Lobe begnügen müssen, auf dankenswerthe Weise dem Ganzen gedient
zu haben.

Herr Schneider aus Leipzig war der Tenorist des Musikfestes, und
daß man ihm nachrühmen darf, den zweiten Platz neben Frau Goldschmidt
mit Ehren eingenommen zu haben, schließt gewiß kein geringes Lob in sich.
Er ist bekannt als ein Sänger von tüchtiger Bildung, der es ernst nimmt,
Dem die Würde der Kunst mehr gilt, als ein durch einen Kunstgriff leicht er¬
rungener Beifall, und von dem man einen durchdachten Vortrag mit Sicher-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99919/11>, abgerufen am 22.12.2024.