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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band.

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Hilden, Essen, Wesel und noch einigen Ortschaften zur diesjährigen Auf¬
führung gestellt hatten: 167 Soprane, lÄ-i Alte, -1^8 Tenore, 2"i Bässe, in
Summq 63i Sänger und Sängerinnen. Und nicht blos gute Stimmen hatten
sie mitgebracht und tüchtige Vorbereitung, sondern auch Unbefangenheit und
Freude am Singen. Wer die Lauheit der Chöre in manchen großen Städten
kennt, wo die Damen vor lauter Betrachtungen, wieweit der Anstand ihnen
erlaubt, den Mund aufzuthun, keinen ordentlichen Ton hervorbringen, während
die Herren sich fortwährend zu besinnen scheinen, ob es auch wirklich der Mühe
werth ist, daß sie mitsingen -- dem mußte das Herz aufgehen bei c>er Frische
und Fülle des Wohllauts dieser kräftigen und lebendigen Tonmassen, die sich
frei und freudig bewegten. Und wenn ja einer meinen sollte, die Wirkung eines
so starken Chors hätte noch größer sein können, als sie wirklich war, der möge
bedenken -- nicht sowol, daß selbst in einem rheinischen Chor immer einige
Figuranten sich finden werden, als daß über ein gewisses Maß hinaus die
Vermehrung der Kräfte nicht eine Verstärkung der Wirkung in gleichem Ver¬
hältniß zur Folge hat. Was aber die Hauptsache ist, das Verhältniß der ein¬
zelnen Stimmen zueinander, des ganzen Chors zum Orchester und zum Raum
war vollkommen befriedigend, der Chor trat überall in voller Klarheit und Kraft
als das herrschende Element hervor.

Frau Jenny G o it sah in ibd-Li ut hatte die Sopransoli übernommen und
dadurch dem Fest einen Glanz gegeben, den nur sie ihm verleihen konnte. Wer
sie zum ersten Mal hört, wird anfangs frappirt werden durch die Verschleierung,
welche namentlich die Mitteltöne etwas bedeckt, allein nur einen Augenblick,
so wird man ergriffen und gefesselt durch die innere Macht dieser Stimme, es
ist einem, als läutere sie sich im Singen von diesem Anfluge eines fremd¬
artigen Elements und -- täusche man sich darin oder nicht -- man hört dann nur
einen Klang, der die reinste und wahrhafteste Verkörperung "es musikalischen Ge¬
dankens ist. Wer Frau Jenny Goldschmidt die vollkommenste Reinheit und
Sicherheit der Intonation, die strengste Correctheit im Vortrag, Deutlichkeit
und Klarheit der Aussprache, (die nur bei einigen Lauten einen skandinavischen
Accent hat) die staunenswertheste Virtuosität in allem, was die Gesangslechnik
angeht und wie das Register uoch weiter fortgehen mag, nachrühmt, der wird
die Vorstellung einer großen Sängerin hervorrufen -- und das ist sie un¬
bestritten -- allein ihr eigentliches Wesen ist darin nicht beschlossen. Was sie
zu einer in ihrer Art einzigen Erscheinung macht, ist die geniale Kraft, mit
welcher sie, was sie auch immer singt, bis ins geringste Detail ans sich heraus in
einer Weise belebt, daß es ihr eigenstes Eigen wird, ohne daß dem Kunstwerk
etwas Fremdes hinzugethan wird -- das Geheimniß der künstlerischen Repro¬
duktion in ihrer höchsten Vollendung, das im Grnnde ebenso unbegreiflich ist,
als pas der Production selbst und womit man sich durch Bezeichnuncun wie


Hilden, Essen, Wesel und noch einigen Ortschaften zur diesjährigen Auf¬
führung gestellt hatten: 167 Soprane, lÄ-i Alte, -1^8 Tenore, 2»i Bässe, in
Summq 63i Sänger und Sängerinnen. Und nicht blos gute Stimmen hatten
sie mitgebracht und tüchtige Vorbereitung, sondern auch Unbefangenheit und
Freude am Singen. Wer die Lauheit der Chöre in manchen großen Städten
kennt, wo die Damen vor lauter Betrachtungen, wieweit der Anstand ihnen
erlaubt, den Mund aufzuthun, keinen ordentlichen Ton hervorbringen, während
die Herren sich fortwährend zu besinnen scheinen, ob es auch wirklich der Mühe
werth ist, daß sie mitsingen — dem mußte das Herz aufgehen bei c>er Frische
und Fülle des Wohllauts dieser kräftigen und lebendigen Tonmassen, die sich
frei und freudig bewegten. Und wenn ja einer meinen sollte, die Wirkung eines
so starken Chors hätte noch größer sein können, als sie wirklich war, der möge
bedenken — nicht sowol, daß selbst in einem rheinischen Chor immer einige
Figuranten sich finden werden, als daß über ein gewisses Maß hinaus die
Vermehrung der Kräfte nicht eine Verstärkung der Wirkung in gleichem Ver¬
hältniß zur Folge hat. Was aber die Hauptsache ist, das Verhältniß der ein¬
zelnen Stimmen zueinander, des ganzen Chors zum Orchester und zum Raum
war vollkommen befriedigend, der Chor trat überall in voller Klarheit und Kraft
als das herrschende Element hervor.

Frau Jenny G o it sah in ibd-Li ut hatte die Sopransoli übernommen und
dadurch dem Fest einen Glanz gegeben, den nur sie ihm verleihen konnte. Wer
sie zum ersten Mal hört, wird anfangs frappirt werden durch die Verschleierung,
welche namentlich die Mitteltöne etwas bedeckt, allein nur einen Augenblick,
so wird man ergriffen und gefesselt durch die innere Macht dieser Stimme, es
ist einem, als läutere sie sich im Singen von diesem Anfluge eines fremd¬
artigen Elements und — täusche man sich darin oder nicht — man hört dann nur
einen Klang, der die reinste und wahrhafteste Verkörperung »es musikalischen Ge¬
dankens ist. Wer Frau Jenny Goldschmidt die vollkommenste Reinheit und
Sicherheit der Intonation, die strengste Correctheit im Vortrag, Deutlichkeit
und Klarheit der Aussprache, (die nur bei einigen Lauten einen skandinavischen
Accent hat) die staunenswertheste Virtuosität in allem, was die Gesangslechnik
angeht und wie das Register uoch weiter fortgehen mag, nachrühmt, der wird
die Vorstellung einer großen Sängerin hervorrufen — und das ist sie un¬
bestritten — allein ihr eigentliches Wesen ist darin nicht beschlossen. Was sie
zu einer in ihrer Art einzigen Erscheinung macht, ist die geniale Kraft, mit
welcher sie, was sie auch immer singt, bis ins geringste Detail ans sich heraus in
einer Weise belebt, daß es ihr eigenstes Eigen wird, ohne daß dem Kunstwerk
etwas Fremdes hinzugethan wird — das Geheimniß der künstlerischen Repro¬
duktion in ihrer höchsten Vollendung, das im Grnnde ebenso unbegreiflich ist,
als pas der Production selbst und womit man sich durch Bezeichnuncun wie


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99919/10>, abgerufen am 20.06.2024.