Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

sche Aesthetik verspottet wurde; eine Apotheose Herders bildete den Schluß,
Jean Paul gehörte also ganz zur streitenden Kirche, umsomehr, da ihm nach
seiner Ansicht die Goethe-Schillersche Partei den Hof vertrat, "Hier ist alles
revolutionär kühn," schreibt er, "und Gattinnen gelten nichts. Wieland
nimmt im Frühling seine frühere Geliebte, die Laroche ins Haus, um aufzu¬
leben und die Kalb stellte seiner Frau den Nutzen vor." Das Verhältniß zur
letztern wurde wieder aufgenommen. "Herder achtet sie tief und höher, als
die Berlepsch und küßte sie sogar in Feuer neben seiner Frau." Jean Paul
hatte schon im voraus einige Briefe an seinen Freund fertig gemacht, worin
er ihm bereits seine Heirat!) anzeigte. Indeß trat ihm ein neues beseligendes
Verhältniß entgegen mit einer hildburghausenschen Hofdame Karoline v. F.,
welches soweit gedieh, daß mit Einwilligung der Verwandten die Heirath
förmlich beschlossen ward und daß es -- ein ganzes Jahr dauerte. Naiürlich
machte ihm Frau von Kalb heftige Scenen. "Die glühenden Briefe werden
Dir einmal unbegreiflich machen, wie ich meine Entsagung ohne Orkane
wiederholen konnte. Müßte ich ihr den Namen einer Geliebten ansagen, so
thäte sich ein Fegefeuer auf." --- Charlotte wollte ihn mit Gewalt heirathen und
er hatte Noth, sich ihrer zu erwehren. Es kam ihm hauptsächlich auf Studien
zum Titan an: er war sehr neugierig, wen Albano eigentlich heirathen werde, ob
Liane oder Linda, oder wen sonst. Nun war Linda durch vielfältige Aeußer-
lichkeiten als eine Copie der Frau von Kalb bezeichnet und wer den Ausgang
dieser Figur kennt, wird zugestehen müssen, daß es damals etwas Bedenkliches
hatte, die Geliebte eines Dichters zu sein. In andrer Beziehung aber möchten
wir diesen Ausgang rechtfertigen. Das Bestreben, ein großes Weib zu sein,
eine "Faustine" oder Titanide und die zertrümmerte sittliche Welt prächtiger im
eignen Busen wieder aufzubauen, führt zu ähnlichen Resultaten, wie die Scene
Lindas mit Roquairol.

, Der erste Band des Titan erschien 1800. Er war den vier Töchtern
des Herzogs von Mecklenburg gewidmet, deren eine die Königin von Preußen
war. Schon jetzt strebte Jean Paul, mittlerweile zum hildburghausischcn
Legationsrath erhoben, die Aristokratie in einer höhern Sphäre aufzusuchen
und so finden wir ihn im Juni 1800 in Berlin. Berlin war damals ebenso
hungrig nach ungewöhnlichen Persönlichkeiten, die es anbeten könnte, als jetzt.
Die Huldigungen, die Jean Paul von der Damenwelt zu Theil wurden,
übertrafen noch den Cultus von Weimar. Die Mittelpunkte der Gesellschaft
bei Henriette Herz, Rahel Levin u. s. w. erschlossen sich ihm, aber auch die
Equipagen der höchsten Aristokratie standen vor seiner Thür und er empfing
im Schlafrock die Besuche von Gräfinnen und Baronessen, die es sich zur
Ehre rechneten, Haare seines Pudels auf der Brust zu tragen. Selbst die
Königin Louise führte ihn in Sanssouci umher. Dem König wurde die Be-


sche Aesthetik verspottet wurde; eine Apotheose Herders bildete den Schluß,
Jean Paul gehörte also ganz zur streitenden Kirche, umsomehr, da ihm nach
seiner Ansicht die Goethe-Schillersche Partei den Hof vertrat, „Hier ist alles
revolutionär kühn," schreibt er, „und Gattinnen gelten nichts. Wieland
nimmt im Frühling seine frühere Geliebte, die Laroche ins Haus, um aufzu¬
leben und die Kalb stellte seiner Frau den Nutzen vor." Das Verhältniß zur
letztern wurde wieder aufgenommen. „Herder achtet sie tief und höher, als
die Berlepsch und küßte sie sogar in Feuer neben seiner Frau." Jean Paul
hatte schon im voraus einige Briefe an seinen Freund fertig gemacht, worin
er ihm bereits seine Heirat!) anzeigte. Indeß trat ihm ein neues beseligendes
Verhältniß entgegen mit einer hildburghausenschen Hofdame Karoline v. F.,
welches soweit gedieh, daß mit Einwilligung der Verwandten die Heirath
förmlich beschlossen ward und daß es — ein ganzes Jahr dauerte. Naiürlich
machte ihm Frau von Kalb heftige Scenen. „Die glühenden Briefe werden
Dir einmal unbegreiflich machen, wie ich meine Entsagung ohne Orkane
wiederholen konnte. Müßte ich ihr den Namen einer Geliebten ansagen, so
thäte sich ein Fegefeuer auf." —- Charlotte wollte ihn mit Gewalt heirathen und
er hatte Noth, sich ihrer zu erwehren. Es kam ihm hauptsächlich auf Studien
zum Titan an: er war sehr neugierig, wen Albano eigentlich heirathen werde, ob
Liane oder Linda, oder wen sonst. Nun war Linda durch vielfältige Aeußer-
lichkeiten als eine Copie der Frau von Kalb bezeichnet und wer den Ausgang
dieser Figur kennt, wird zugestehen müssen, daß es damals etwas Bedenkliches
hatte, die Geliebte eines Dichters zu sein. In andrer Beziehung aber möchten
wir diesen Ausgang rechtfertigen. Das Bestreben, ein großes Weib zu sein,
eine „Faustine" oder Titanide und die zertrümmerte sittliche Welt prächtiger im
eignen Busen wieder aufzubauen, führt zu ähnlichen Resultaten, wie die Scene
Lindas mit Roquairol.

, Der erste Band des Titan erschien 1800. Er war den vier Töchtern
des Herzogs von Mecklenburg gewidmet, deren eine die Königin von Preußen
war. Schon jetzt strebte Jean Paul, mittlerweile zum hildburghausischcn
Legationsrath erhoben, die Aristokratie in einer höhern Sphäre aufzusuchen
und so finden wir ihn im Juni 1800 in Berlin. Berlin war damals ebenso
hungrig nach ungewöhnlichen Persönlichkeiten, die es anbeten könnte, als jetzt.
Die Huldigungen, die Jean Paul von der Damenwelt zu Theil wurden,
übertrafen noch den Cultus von Weimar. Die Mittelpunkte der Gesellschaft
bei Henriette Herz, Rahel Levin u. s. w. erschlossen sich ihm, aber auch die
Equipagen der höchsten Aristokratie standen vor seiner Thür und er empfing
im Schlafrock die Besuche von Gräfinnen und Baronessen, die es sich zur
Ehre rechneten, Haare seines Pudels auf der Brust zu tragen. Selbst die
Königin Louise führte ihn in Sanssouci umher. Dem König wurde die Be-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0100" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/100020"/>
          <p xml:id="ID_273" prev="#ID_272"> sche Aesthetik verspottet wurde; eine Apotheose Herders bildete den Schluß,<lb/>
Jean Paul gehörte also ganz zur streitenden Kirche, umsomehr, da ihm nach<lb/>
seiner Ansicht die Goethe-Schillersche Partei den Hof vertrat, &#x201E;Hier ist alles<lb/>
revolutionär kühn," schreibt er, &#x201E;und Gattinnen gelten nichts. Wieland<lb/>
nimmt im Frühling seine frühere Geliebte, die Laroche ins Haus, um aufzu¬<lb/>
leben und die Kalb stellte seiner Frau den Nutzen vor." Das Verhältniß zur<lb/>
letztern wurde wieder aufgenommen. &#x201E;Herder achtet sie tief und höher, als<lb/>
die Berlepsch und küßte sie sogar in Feuer neben seiner Frau." Jean Paul<lb/>
hatte schon im voraus einige Briefe an seinen Freund fertig gemacht, worin<lb/>
er ihm bereits seine Heirat!) anzeigte. Indeß trat ihm ein neues beseligendes<lb/>
Verhältniß entgegen mit einer hildburghausenschen Hofdame Karoline v. F.,<lb/>
welches soweit gedieh, daß mit Einwilligung der Verwandten die Heirath<lb/>
förmlich beschlossen ward und daß es &#x2014; ein ganzes Jahr dauerte. Naiürlich<lb/>
machte ihm Frau von Kalb heftige Scenen. &#x201E;Die glühenden Briefe werden<lb/>
Dir einmal unbegreiflich machen, wie ich meine Entsagung ohne Orkane<lb/>
wiederholen konnte. Müßte ich ihr den Namen einer Geliebten ansagen, so<lb/>
thäte sich ein Fegefeuer auf." &#x2014;- Charlotte wollte ihn mit Gewalt heirathen und<lb/>
er hatte Noth, sich ihrer zu erwehren. Es kam ihm hauptsächlich auf Studien<lb/>
zum Titan an: er war sehr neugierig, wen Albano eigentlich heirathen werde, ob<lb/>
Liane oder Linda, oder wen sonst. Nun war Linda durch vielfältige Aeußer-<lb/>
lichkeiten als eine Copie der Frau von Kalb bezeichnet und wer den Ausgang<lb/>
dieser Figur kennt, wird zugestehen müssen, daß es damals etwas Bedenkliches<lb/>
hatte, die Geliebte eines Dichters zu sein. In andrer Beziehung aber möchten<lb/>
wir diesen Ausgang rechtfertigen. Das Bestreben, ein großes Weib zu sein,<lb/>
eine &#x201E;Faustine" oder Titanide und die zertrümmerte sittliche Welt prächtiger im<lb/>
eignen Busen wieder aufzubauen, führt zu ähnlichen Resultaten, wie die Scene<lb/>
Lindas mit Roquairol.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_274" next="#ID_275"> , Der erste Band des Titan erschien 1800. Er war den vier Töchtern<lb/>
des Herzogs von Mecklenburg gewidmet, deren eine die Königin von Preußen<lb/>
war. Schon jetzt strebte Jean Paul, mittlerweile zum hildburghausischcn<lb/>
Legationsrath erhoben, die Aristokratie in einer höhern Sphäre aufzusuchen<lb/>
und so finden wir ihn im Juni 1800 in Berlin. Berlin war damals ebenso<lb/>
hungrig nach ungewöhnlichen Persönlichkeiten, die es anbeten könnte, als jetzt.<lb/>
Die Huldigungen, die Jean Paul von der Damenwelt zu Theil wurden,<lb/>
übertrafen noch den Cultus von Weimar. Die Mittelpunkte der Gesellschaft<lb/>
bei Henriette Herz, Rahel Levin u. s. w. erschlossen sich ihm, aber auch die<lb/>
Equipagen der höchsten Aristokratie standen vor seiner Thür und er empfing<lb/>
im Schlafrock die Besuche von Gräfinnen und Baronessen, die es sich zur<lb/>
Ehre rechneten, Haare seines Pudels auf der Brust zu tragen. Selbst die<lb/>
Königin Louise führte ihn in Sanssouci umher.  Dem König wurde die Be-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0100] sche Aesthetik verspottet wurde; eine Apotheose Herders bildete den Schluß, Jean Paul gehörte also ganz zur streitenden Kirche, umsomehr, da ihm nach seiner Ansicht die Goethe-Schillersche Partei den Hof vertrat, „Hier ist alles revolutionär kühn," schreibt er, „und Gattinnen gelten nichts. Wieland nimmt im Frühling seine frühere Geliebte, die Laroche ins Haus, um aufzu¬ leben und die Kalb stellte seiner Frau den Nutzen vor." Das Verhältniß zur letztern wurde wieder aufgenommen. „Herder achtet sie tief und höher, als die Berlepsch und küßte sie sogar in Feuer neben seiner Frau." Jean Paul hatte schon im voraus einige Briefe an seinen Freund fertig gemacht, worin er ihm bereits seine Heirat!) anzeigte. Indeß trat ihm ein neues beseligendes Verhältniß entgegen mit einer hildburghausenschen Hofdame Karoline v. F., welches soweit gedieh, daß mit Einwilligung der Verwandten die Heirath förmlich beschlossen ward und daß es — ein ganzes Jahr dauerte. Naiürlich machte ihm Frau von Kalb heftige Scenen. „Die glühenden Briefe werden Dir einmal unbegreiflich machen, wie ich meine Entsagung ohne Orkane wiederholen konnte. Müßte ich ihr den Namen einer Geliebten ansagen, so thäte sich ein Fegefeuer auf." —- Charlotte wollte ihn mit Gewalt heirathen und er hatte Noth, sich ihrer zu erwehren. Es kam ihm hauptsächlich auf Studien zum Titan an: er war sehr neugierig, wen Albano eigentlich heirathen werde, ob Liane oder Linda, oder wen sonst. Nun war Linda durch vielfältige Aeußer- lichkeiten als eine Copie der Frau von Kalb bezeichnet und wer den Ausgang dieser Figur kennt, wird zugestehen müssen, daß es damals etwas Bedenkliches hatte, die Geliebte eines Dichters zu sein. In andrer Beziehung aber möchten wir diesen Ausgang rechtfertigen. Das Bestreben, ein großes Weib zu sein, eine „Faustine" oder Titanide und die zertrümmerte sittliche Welt prächtiger im eignen Busen wieder aufzubauen, führt zu ähnlichen Resultaten, wie die Scene Lindas mit Roquairol. , Der erste Band des Titan erschien 1800. Er war den vier Töchtern des Herzogs von Mecklenburg gewidmet, deren eine die Königin von Preußen war. Schon jetzt strebte Jean Paul, mittlerweile zum hildburghausischcn Legationsrath erhoben, die Aristokratie in einer höhern Sphäre aufzusuchen und so finden wir ihn im Juni 1800 in Berlin. Berlin war damals ebenso hungrig nach ungewöhnlichen Persönlichkeiten, die es anbeten könnte, als jetzt. Die Huldigungen, die Jean Paul von der Damenwelt zu Theil wurden, übertrafen noch den Cultus von Weimar. Die Mittelpunkte der Gesellschaft bei Henriette Herz, Rahel Levin u. s. w. erschlossen sich ihm, aber auch die Equipagen der höchsten Aristokratie standen vor seiner Thür und er empfing im Schlafrock die Besuche von Gräfinnen und Baronessen, die es sich zur Ehre rechneten, Haare seines Pudels auf der Brust zu tragen. Selbst die Königin Louise führte ihn in Sanssouci umher. Dem König wurde die Be-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99919
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99919/100
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99919/100>, abgerufen am 27.06.2024.