Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band.Meisterung zuletzt zu stark. Als sich Jen" Paul um eine Präbende bewarb, Der Roman wurde in vier Bänden Ostern 1800 bis Ostern 1803 voll¬ Die Reise nach Weimar sollte die Farben geben, mit denen er seine Skizze Für seine Stellung zur Literatur wurde der Aufenthalt in Berlin sehr ') Die Frauen, sagt Henriette Herz, wußten es ihm Dank, daß er sich in seinen
Werken so angelegentlich mit ihnen beschäftigt und bis in die tiefsten Falten ihres Kcmnths zu dringe" gesucht hatte; hauptsächlich aber dankten es ihm die vornehmen Damen, daß er sie loviel bedeutender nud idealer darstellte, als sie in der That waren, Dies hatte seinen Grund darin, daß, als er zuerst Frauen der höhern Stände schilderte, er noch gar keine kannte und einer reichen und wohlwollenden Einbildungskraft freien Spielraum ließ, diejenigen ans diejeu Classen jedoch, welche er später kennen lernte, alles anwendeten, um die ihnen schmei¬ chelhafte Täuschung in ihm zu erhalten und ihm möglichst ideal zu erscheinen. So hat er die Frauen der lodern Stände, sopicle er deren auch später sah, eigentlich niemals kennen gelernt, ja diejenigen, deren Bekanntschaft er machte, in gewisser Beziehung immer falsch beurtheilt. Meisterung zuletzt zu stark. Als sich Jen» Paul um eine Präbende bewarb, Der Roman wurde in vier Bänden Ostern 1800 bis Ostern 1803 voll¬ Die Reise nach Weimar sollte die Farben geben, mit denen er seine Skizze Für seine Stellung zur Literatur wurde der Aufenthalt in Berlin sehr ') Die Frauen, sagt Henriette Herz, wußten es ihm Dank, daß er sich in seinen
Werken so angelegentlich mit ihnen beschäftigt und bis in die tiefsten Falten ihres Kcmnths zu dringe» gesucht hatte; hauptsächlich aber dankten es ihm die vornehmen Damen, daß er sie loviel bedeutender nud idealer darstellte, als sie in der That waren, Dies hatte seinen Grund darin, daß, als er zuerst Frauen der höhern Stände schilderte, er noch gar keine kannte und einer reichen und wohlwollenden Einbildungskraft freien Spielraum ließ, diejenigen ans diejeu Classen jedoch, welche er später kennen lernte, alles anwendeten, um die ihnen schmei¬ chelhafte Täuschung in ihm zu erhalten und ihm möglichst ideal zu erscheinen. So hat er die Frauen der lodern Stände, sopicle er deren auch später sah, eigentlich niemals kennen gelernt, ja diejenigen, deren Bekanntschaft er machte, in gewisser Beziehung immer falsch beurtheilt. <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0101" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/100021"/> <p xml:id="ID_275" prev="#ID_274"> Meisterung zuletzt zu stark. Als sich Jen» Paul um eine Präbende bewarb,<lb/> wurde sie ihm nicht bewilligt und der König äußerte: „Höre denn doch zu<lb/> viel diesen Jean Paul herausstreichen. Wie will man erst von einem großen<lb/> Staatsmann sprechen oder von einem Helden? Die Damen verstehen immer<lb/> das Maßhalten nicht/") ^_</p><lb/> <p xml:id="ID_276"> Der Roman wurde in vier Bänden Ostern 1800 bis Ostern 1803 voll¬<lb/> endet, Jean Paul hatte fast zehn Jahre daran gearbeitet, oder wenn man<lb/> will, daran gelebt. Angeregt durch Jacob! Uttonis, schrieb er 1792 Studien<lb/> über das verirrte Genie, über den Schwächling, der durch absichtliche Phautasie-<lb/> schwelgerei moralisch und physisch sich selbst übertäubt und zerstört. Roquairol<lb/> war der erste Held seiner Dichtung. Als Gegensatz wurde ihm im Albano<lb/> ein hoher Mensch gegenübergestellt, und der Siebenkäs oder Leibgebcr-Schoppe<lb/> fand sich von selbst dazu.</p><lb/> <p xml:id="ID_277"> Die Reise nach Weimar sollte die Farben geben, mit denen er seine Skizze<lb/> ausfüllen wollte. Er begann die Ausarbeitung 1798, ohne das Ganze zu<lb/> übersehen, ohne die Lösung der organischen Punkte gefunden zu haben. Nun<lb/> blieben von den ursprünglichen Entwürfen zahlreiche Reste, die zu der späteren<lb/> Entwicklung nicht stimmen wollten. Hätte er sich nicht zu sehr von den ein¬<lb/> zelnen empirischen Eindrücken in die Irre führen lassen, hätte er die ursprüng¬<lb/> liche Tendenz festgehalten, die Berderblichkeit des subjectiven Phantasielebens<lb/> (in Roquairol und Linda) nachzuweisen, so würde der Roman eine bedeutendere<lb/> Stelle in unsrer Entwicklung einnehmen. Freilich konnte es ihm, der selbst<lb/> im Phantasieleben befangen war, nicht gegeben sein, dasselbe mit kritischem<lb/> Ernst aufzulösen. Wie der Roman jetzt vor uns liegt, steht er dem „Wilhelm<lb/> Meister" zur Seite, Er zeigt einen ebenso lebhaften und allseitigen Bildungs-<lb/> trieb, eine ebenso unfertige geschichtliche Auffassung, Der Trotzkopf Albano<lb/> fügt sich dem Gegebenen, wie der bescheidene und empfängliche Wilhelm<lb/> Meister; aber die Welt, deren Gesetzen er sich fügt, ist im Grunde ebenso hohl<lb/> und trostlos, als die unsichtbare Loge, die den strebsamen Kaufmannssohn<lb/> empfängt</p><lb/> <p xml:id="ID_278" next="#ID_279"> Für seine Stellung zur Literatur wurde der Aufenthalt in Berlin sehr</p><lb/> <note xml:id="FID_3" place="foot"> ') Die Frauen, sagt Henriette Herz, wußten es ihm Dank, daß er sich in seinen<lb/> Werken so angelegentlich mit ihnen beschäftigt und bis in die tiefsten Falten ihres Kcmnths<lb/> zu dringe» gesucht hatte; hauptsächlich aber dankten es ihm die vornehmen Damen, daß er sie<lb/> loviel bedeutender nud idealer darstellte, als sie in der That waren, Dies hatte seinen Grund<lb/> darin, daß, als er zuerst Frauen der höhern Stände schilderte, er noch gar keine kannte und<lb/> einer reichen und wohlwollenden Einbildungskraft freien Spielraum ließ, diejenigen ans<lb/> diejeu Classen jedoch, welche er später kennen lernte, alles anwendeten, um die ihnen schmei¬<lb/> chelhafte Täuschung in ihm zu erhalten und ihm möglichst ideal zu erscheinen. So hat er<lb/> die Frauen der lodern Stände, sopicle er deren auch später sah, eigentlich niemals kennen<lb/> gelernt, ja diejenigen, deren Bekanntschaft er machte, in gewisser Beziehung immer falsch<lb/> beurtheilt.</note><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0101]
Meisterung zuletzt zu stark. Als sich Jen» Paul um eine Präbende bewarb,
wurde sie ihm nicht bewilligt und der König äußerte: „Höre denn doch zu
viel diesen Jean Paul herausstreichen. Wie will man erst von einem großen
Staatsmann sprechen oder von einem Helden? Die Damen verstehen immer
das Maßhalten nicht/") ^_
Der Roman wurde in vier Bänden Ostern 1800 bis Ostern 1803 voll¬
endet, Jean Paul hatte fast zehn Jahre daran gearbeitet, oder wenn man
will, daran gelebt. Angeregt durch Jacob! Uttonis, schrieb er 1792 Studien
über das verirrte Genie, über den Schwächling, der durch absichtliche Phautasie-
schwelgerei moralisch und physisch sich selbst übertäubt und zerstört. Roquairol
war der erste Held seiner Dichtung. Als Gegensatz wurde ihm im Albano
ein hoher Mensch gegenübergestellt, und der Siebenkäs oder Leibgebcr-Schoppe
fand sich von selbst dazu.
Die Reise nach Weimar sollte die Farben geben, mit denen er seine Skizze
ausfüllen wollte. Er begann die Ausarbeitung 1798, ohne das Ganze zu
übersehen, ohne die Lösung der organischen Punkte gefunden zu haben. Nun
blieben von den ursprünglichen Entwürfen zahlreiche Reste, die zu der späteren
Entwicklung nicht stimmen wollten. Hätte er sich nicht zu sehr von den ein¬
zelnen empirischen Eindrücken in die Irre führen lassen, hätte er die ursprüng¬
liche Tendenz festgehalten, die Berderblichkeit des subjectiven Phantasielebens
(in Roquairol und Linda) nachzuweisen, so würde der Roman eine bedeutendere
Stelle in unsrer Entwicklung einnehmen. Freilich konnte es ihm, der selbst
im Phantasieleben befangen war, nicht gegeben sein, dasselbe mit kritischem
Ernst aufzulösen. Wie der Roman jetzt vor uns liegt, steht er dem „Wilhelm
Meister" zur Seite, Er zeigt einen ebenso lebhaften und allseitigen Bildungs-
trieb, eine ebenso unfertige geschichtliche Auffassung, Der Trotzkopf Albano
fügt sich dem Gegebenen, wie der bescheidene und empfängliche Wilhelm
Meister; aber die Welt, deren Gesetzen er sich fügt, ist im Grunde ebenso hohl
und trostlos, als die unsichtbare Loge, die den strebsamen Kaufmannssohn
empfängt
Für seine Stellung zur Literatur wurde der Aufenthalt in Berlin sehr
') Die Frauen, sagt Henriette Herz, wußten es ihm Dank, daß er sich in seinen
Werken so angelegentlich mit ihnen beschäftigt und bis in die tiefsten Falten ihres Kcmnths
zu dringe» gesucht hatte; hauptsächlich aber dankten es ihm die vornehmen Damen, daß er sie
loviel bedeutender nud idealer darstellte, als sie in der That waren, Dies hatte seinen Grund
darin, daß, als er zuerst Frauen der höhern Stände schilderte, er noch gar keine kannte und
einer reichen und wohlwollenden Einbildungskraft freien Spielraum ließ, diejenigen ans
diejeu Classen jedoch, welche er später kennen lernte, alles anwendeten, um die ihnen schmei¬
chelhafte Täuschung in ihm zu erhalten und ihm möglichst ideal zu erscheinen. So hat er
die Frauen der lodern Stände, sopicle er deren auch später sah, eigentlich niemals kennen
gelernt, ja diejenigen, deren Bekanntschaft er machte, in gewisser Beziehung immer falsch
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