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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band.

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Wesen beigetragen hat, um so größer wird einst sein Lohn, seine Seligkeit
und Herrlichkeit sein. Dies zu erleichtern, sagen sie, ist die Polygamie erlaubt;
doch müssen bei der Wahl der Frauen religiöse Beweggründe die leitenden
sein und das Gefühl der Pflicht, nicht die Sinnlichkeit, muß den Ausschlag
geben. Ehebruch soll künftig durch Enthauptung bestraft werden, und als im
Jahre 1831 ein Mormone den Verführer seiner Frau umbrachte, wurde nicht
nur derselbe frei von aller Schuld gesprochen, sondern sogar an höchster Gerichtsstelle
behauptet, er sei damit einer Pflicht nachgekommen. Indem sie sich auf die
Schrift beziehen, wo es heißt, daß der Mann nicht ohne Weib, das Weib
nicht ohne Mann sei, betrachten sie es als die Obliegenheit eines jeden Man¬
nes, wenigstens einmal zu heirathen. Ferner sagen sie, daß ein Weib nicht
in das Himmelreich eingehen kann ohne einen Mann, der sie als zu sich
gehörig einführt. Jede Verheirathung muß durch einen Priester vollzogen
werden (in Amerika sowol, wie in England, wird das bekanntlich vom Gesetze
nicht gefordert, sondern die Trauung kann vor der bürgerlichen Behörde statt¬
finden); denn "eine Heirath außerhalb der Priesterschaft ist eine Heirath für
die Hölle." Wer zu der ersten Frau eine zweite oder dritte nimmt, wird mit
ihr "versiegelt". Eine solche Versieglung hat vollkommen dieselbe.Bedeutung
als die Ehe und vollkommen dieselben Rechte und Pflichten, wie diese. Die
"romanhafte Vorstellung" einer einzigen Liebe gilt als unstatthaft, ja als ruch¬
los. Die Liebe zum Weibe ist thuen nicht Selbstzweck, nur Mittel; das Ziel
der Ehe ist lediglich die Würde und Herrlichkeit eines Vaters und einer Mut¬
ter, die von vielen Kindern umgeben sind und darin dem Gotte gleichen, der
unzählige seiner Söhne und Töchter um sich' sieht. Zu einer Trauung ist
jeder Priester befugt, zur Versieglung dagegen, die auch "himmlische Heirath"
genannt wird, muß die Erlaubniß vom Seher eingeholt werden. Dieser
allein hat die Macht dazu, und zwar hat der Freier ihm zu beweisen,
daß erstens die Eltern der betreffenden Dame und sodann diese selbst in die
von ihm beliebte Vergrößerung seines Haushalts eingewilligt. Jedes unverhei-
rathete Weib hat das Recht, sich beim Präsidium einen Ehemann auszubitten,
und derselbe darf ihr nicht verweigert werden, da ja ihre einstige Seligkeit da¬
von abhängt. Der Präsident hat die Vollmacht, auf Empfang einer derartigen
Petition hin dem ersten Besten, der ihm tauglich scheint, Befehl zu ertheilen,
die Einsame zu seiner Frau zu machen, er kann sie aber auch -- sich selbst "ver¬
siegeln" oder in seinen Harem ausnehmen. Hat der Betreffende keine Neigung
zu dem ihm angesonnenen Ehebunde, so muß er einen plausibeln Verhinde¬
runsgrund angeben, sonst gerät!) er in Gefahr, vor den hohen Rath gefordert
und wegen Widersetzlichkeit gestraft zu werden. Mitunter geschieht es auch, daß
der "Seher" Einspruch wegen Versieglungen thut, die aus "unwürdigen Be¬
weggründen" vorgenommen werden sollen.


Wesen beigetragen hat, um so größer wird einst sein Lohn, seine Seligkeit
und Herrlichkeit sein. Dies zu erleichtern, sagen sie, ist die Polygamie erlaubt;
doch müssen bei der Wahl der Frauen religiöse Beweggründe die leitenden
sein und das Gefühl der Pflicht, nicht die Sinnlichkeit, muß den Ausschlag
geben. Ehebruch soll künftig durch Enthauptung bestraft werden, und als im
Jahre 1831 ein Mormone den Verführer seiner Frau umbrachte, wurde nicht
nur derselbe frei von aller Schuld gesprochen, sondern sogar an höchster Gerichtsstelle
behauptet, er sei damit einer Pflicht nachgekommen. Indem sie sich auf die
Schrift beziehen, wo es heißt, daß der Mann nicht ohne Weib, das Weib
nicht ohne Mann sei, betrachten sie es als die Obliegenheit eines jeden Man¬
nes, wenigstens einmal zu heirathen. Ferner sagen sie, daß ein Weib nicht
in das Himmelreich eingehen kann ohne einen Mann, der sie als zu sich
gehörig einführt. Jede Verheirathung muß durch einen Priester vollzogen
werden (in Amerika sowol, wie in England, wird das bekanntlich vom Gesetze
nicht gefordert, sondern die Trauung kann vor der bürgerlichen Behörde statt¬
finden); denn „eine Heirath außerhalb der Priesterschaft ist eine Heirath für
die Hölle." Wer zu der ersten Frau eine zweite oder dritte nimmt, wird mit
ihr „versiegelt". Eine solche Versieglung hat vollkommen dieselbe.Bedeutung
als die Ehe und vollkommen dieselben Rechte und Pflichten, wie diese. Die
„romanhafte Vorstellung" einer einzigen Liebe gilt als unstatthaft, ja als ruch¬
los. Die Liebe zum Weibe ist thuen nicht Selbstzweck, nur Mittel; das Ziel
der Ehe ist lediglich die Würde und Herrlichkeit eines Vaters und einer Mut¬
ter, die von vielen Kindern umgeben sind und darin dem Gotte gleichen, der
unzählige seiner Söhne und Töchter um sich' sieht. Zu einer Trauung ist
jeder Priester befugt, zur Versieglung dagegen, die auch „himmlische Heirath"
genannt wird, muß die Erlaubniß vom Seher eingeholt werden. Dieser
allein hat die Macht dazu, und zwar hat der Freier ihm zu beweisen,
daß erstens die Eltern der betreffenden Dame und sodann diese selbst in die
von ihm beliebte Vergrößerung seines Haushalts eingewilligt. Jedes unverhei-
rathete Weib hat das Recht, sich beim Präsidium einen Ehemann auszubitten,
und derselbe darf ihr nicht verweigert werden, da ja ihre einstige Seligkeit da¬
von abhängt. Der Präsident hat die Vollmacht, auf Empfang einer derartigen
Petition hin dem ersten Besten, der ihm tauglich scheint, Befehl zu ertheilen,
die Einsame zu seiner Frau zu machen, er kann sie aber auch — sich selbst „ver¬
siegeln" oder in seinen Harem ausnehmen. Hat der Betreffende keine Neigung
zu dem ihm angesonnenen Ehebunde, so muß er einen plausibeln Verhinde¬
runsgrund angeben, sonst gerät!) er in Gefahr, vor den hohen Rath gefordert
und wegen Widersetzlichkeit gestraft zu werden. Mitunter geschieht es auch, daß
der „Seher" Einspruch wegen Versieglungen thut, die aus „unwürdigen Be¬
weggründen" vorgenommen werden sollen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99385/98>, abgerufen am 03.07.2024.