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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band.

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ruhend, ist das Ausführlichste, was -in Deutschland bisher über die Sekte
veröffentlicht worden ist.

Die Art und Weise, wie sie ihren Gottesdienst feiern, unterscheidet sich
nicht erheblich von dem Gottesdienste andrer Sekten Amerikas. Sie kommen
Sonntag zu bestimmter Stunde zusammen; der nach Rang oder Alter oberste
Priester eröffnet die Feier mit einem Segensspruche; dann wird gewöhnlich
nach einer volksthümlichen Melodie und in raschem Tempo ein geistliches Lied
gesungen, hierauf spricht einer der Priester ein Gebet, dann folgt wieder ein Lied,
dann folgt die Predigt, und dann spricht einer aus der Gemeinde einige Worte der
Ermahnung oder Belehrung. Zum Schlüsse liest der Schreiber des hohen Rathes
die Anordnung der öffentlichen Arbeiren für die nächste Woche, Belobungen der
Fleißigen, Zurechtweisungen der Tragen und ähnliche Bekanntmachungen mehr
weltlicher Art vor, worauf die Gemeinde mit einem Segensspruche entlassen
wird. Die Mormonen sind nichts weniger als düstre Schwärmer und so darf
es nicht Wunder nehmen, wenn zu Anfang wie zu Ende des Gottesdienstes
ihre Musikbande die heitersten Weisen, Arien, Märsche und Walzer spielt.
Da sich eine große Menge von Walisern unter dem Bewohnern Neujerusalems
finden und viele von diesen kein Englisch verstehen, so wird denselben gemei¬
niglich eine Verd.olmetschung der hauptsächlichsten von den Reden vorgetragen,
worauf ein wälsches Singchor alle Anwesenden durch den Gesang einer ihrer
Hymnen erheitert, deren wilde Melodien einen seltsamen Eindruck machen.

Die Mormonen haben bis auf die neueste Zeit in Abrede gestellt, daß die
Vielweiberei bei ihnen gestattet sei. Seit längerer Zeit jedoch berichteten Rei¬
sende, die sie besucht, übereinstimmend, daß ein großer Theil der Heiligen die
Ehe der Hühner nachahme, und daß namentlich die Führer der Sekte Frauen
ZU mehren Dutzenden hätten. Die Sache schien zweifelhaft, da in England und
in den Staaten diesseits des Mississippi dergleichen nicht vorkam, und da die
Masse der Menschen weiblichen Geschlechts in neugegründeten Colonien ge¬
wöhnlich geringer zu sein pflegt, als die der Männer. Indeß jene Angaben
wiederholen sich, und seit zwei Jahren bekennen sich die Mormonen nicht nur
offen zu der Sache, sondern predigen die Vielweiberei sogar in Zeitungen und
andern Druckschriften als Erfüllung eines göttlichen Gebotes. Sie berufen sich
dabei auf das Gottesgeheiß: Seid fruchtbar und mehret euch und füllet die Erde
(1. Moses 1, 28), behaupten, daß auch Christus vermählt gewesen sei und
Zwar mit drei Frauen, weisen auf das Beispiel Abrahams, Davids und
Salomos hin, und beziehen sich schließlich auf eine Offenbarung, welche Jo¬
seph Smith kurz vor seinem Tode empfangen habe.

Sie lehren, daß das Institut der Ehe eingesetzt worden sei, um dem
Herrn ein besonders heiliges Volk zu schaffen und die Erde mit geistigen Ge¬
schöpfen zu füllen. Jemehr ein Mann zur Erfüllung der Welt mit geistigen


Grenzbvte". II. 18it!i. 12

ruhend, ist das Ausführlichste, was -in Deutschland bisher über die Sekte
veröffentlicht worden ist.

Die Art und Weise, wie sie ihren Gottesdienst feiern, unterscheidet sich
nicht erheblich von dem Gottesdienste andrer Sekten Amerikas. Sie kommen
Sonntag zu bestimmter Stunde zusammen; der nach Rang oder Alter oberste
Priester eröffnet die Feier mit einem Segensspruche; dann wird gewöhnlich
nach einer volksthümlichen Melodie und in raschem Tempo ein geistliches Lied
gesungen, hierauf spricht einer der Priester ein Gebet, dann folgt wieder ein Lied,
dann folgt die Predigt, und dann spricht einer aus der Gemeinde einige Worte der
Ermahnung oder Belehrung. Zum Schlüsse liest der Schreiber des hohen Rathes
die Anordnung der öffentlichen Arbeiren für die nächste Woche, Belobungen der
Fleißigen, Zurechtweisungen der Tragen und ähnliche Bekanntmachungen mehr
weltlicher Art vor, worauf die Gemeinde mit einem Segensspruche entlassen
wird. Die Mormonen sind nichts weniger als düstre Schwärmer und so darf
es nicht Wunder nehmen, wenn zu Anfang wie zu Ende des Gottesdienstes
ihre Musikbande die heitersten Weisen, Arien, Märsche und Walzer spielt.
Da sich eine große Menge von Walisern unter dem Bewohnern Neujerusalems
finden und viele von diesen kein Englisch verstehen, so wird denselben gemei¬
niglich eine Verd.olmetschung der hauptsächlichsten von den Reden vorgetragen,
worauf ein wälsches Singchor alle Anwesenden durch den Gesang einer ihrer
Hymnen erheitert, deren wilde Melodien einen seltsamen Eindruck machen.

Die Mormonen haben bis auf die neueste Zeit in Abrede gestellt, daß die
Vielweiberei bei ihnen gestattet sei. Seit längerer Zeit jedoch berichteten Rei¬
sende, die sie besucht, übereinstimmend, daß ein großer Theil der Heiligen die
Ehe der Hühner nachahme, und daß namentlich die Führer der Sekte Frauen
ZU mehren Dutzenden hätten. Die Sache schien zweifelhaft, da in England und
in den Staaten diesseits des Mississippi dergleichen nicht vorkam, und da die
Masse der Menschen weiblichen Geschlechts in neugegründeten Colonien ge¬
wöhnlich geringer zu sein pflegt, als die der Männer. Indeß jene Angaben
wiederholen sich, und seit zwei Jahren bekennen sich die Mormonen nicht nur
offen zu der Sache, sondern predigen die Vielweiberei sogar in Zeitungen und
andern Druckschriften als Erfüllung eines göttlichen Gebotes. Sie berufen sich
dabei auf das Gottesgeheiß: Seid fruchtbar und mehret euch und füllet die Erde
(1. Moses 1, 28), behaupten, daß auch Christus vermählt gewesen sei und
Zwar mit drei Frauen, weisen auf das Beispiel Abrahams, Davids und
Salomos hin, und beziehen sich schließlich auf eine Offenbarung, welche Jo¬
seph Smith kurz vor seinem Tode empfangen habe.

Sie lehren, daß das Institut der Ehe eingesetzt worden sei, um dem
Herrn ein besonders heiliges Volk zu schaffen und die Erde mit geistigen Ge¬
schöpfen zu füllen. Jemehr ein Mann zur Erfüllung der Welt mit geistigen


Grenzbvte». II. 18it!i. 12
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99385/97>, abgerufen am 03.07.2024.