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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band.

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nur sie haben eine echte Pn'esterschaft. Ihnen endlich in Gemeinschaft mit den
bekehrten Jndianerstämmrn als Nachkommen der Kinder Israel und den Juden
wird bei dem Eintrittte des tausendjährigen Reiches die ganze Erde gehören.

Die Sacramente sind Taufe und Abendmahl. Aber die erstere ist nach
dem "Buche der Lehre und der Bündnisse" nur dann heilskräftig, wenn sie durch
Untertauchung an Zurechnungsfähigen und zum Zwecke der Vergebung der
Sünden vollzogen wird. Eine besondere Art ist die Taufe für die Todten,
eine stellvertretende Untertauchung lebender Personen für ihre todten Freunde
und Verwandten, welche keine Gelegenheit, sich die Mormonentaufe appliciren
zu lassen, gehabt, oder dieselbe im Leben mißachtet haben. Nach der Lehre der
Latterday-Saints gibt es nämlich in der Geisterwelt einen Läuterungszustand,
ähnlich dem katholischen Fegfeuer. Von den dort befindlichen Seelen wird an¬
genommen, daß sie bereut haben und sich nach den Segnungen der Taufe sehnen.
Diese ihnen zu Theil werden zu lassen, ist Pflicht, und so ist die Anordnung
getroffen, daß man sich für seine sämmtlichen abgeschiedenen Verwandten bis
zum Ureltervater hinauf taufen lassen kann. Wie die Mormonen alle ihre Dog¬
men auf das reichlichste mit Bibelstellen belegen, so haben sie auch für diesen
seltsamen Gebrauch ein Apostelwort aufgesunoen. Die Taufe wird an Kindern
erst mit dem achten Jahre vollzogen. Der Administrator muß den Priestern
der Ordnung Melchisedek (von denen später) angehören. Unmittelbar auf die
Untertauchung hat die Mittheilung des heiligen Geistes durch Handauflegung
zu folgen, die als Conftrmation bezeichnet wird.

Das Abendmahl wird, ähnlich wie in der reformirten Kirche, "zum Ge¬
dächtniß an den Leib und das Blut des Sohnes" gefeiert. Eine Offenbarung
verbot den Gebrauch des "Weins, der von den Heiden kommt" und da die
Mormonen gegenwärtig noch keine Reben bauen können, so bedienen sie sich
statt des Saftes der Traube des Wassers. Jeden Sonntag gehen die Bischöfe
in der Kirche von Sitz zu Sitz, um den Gläubigen Brot und Wasser darzu¬
bieten, welches letztere in einem Kruge mit einem Glase oder Zinnbecher zum
Herausschöpsen befindlich ist.

Die wiederkehrenden Gnadengaben der urchristlicher Zeit, wunderbare
Heilungen, Weissagungen u. s. w. beschränken sich auf die Priesterschaft
Gottes, doch kommen einige bisweilen auch bei den Laien vor. Dies ist
namentlich mit dem "Reden in Zungen" der Fall. Diese Gabe ist indeß nicht
ganz die der Pfingstsage, wo die Apostels bekanntermaßen plötzlich alle
Sprachen der Welt reden konnten, sondern besteht darin, daß in ihren schwär¬
merischen Zusammenkünften bisweilen der Eine oder der Andre "vom Geiste er¬
füllt" einige unzusammenhängend" Worte, oft ein bloßes Lallen, Krähen
oder Gurgeln hören läßt, von dessen Sinn er selbst durchaus nichts weiß,
ans dem aber andre, welche "die Gabe des Verdolmetschens der Zungen"


nur sie haben eine echte Pn'esterschaft. Ihnen endlich in Gemeinschaft mit den
bekehrten Jndianerstämmrn als Nachkommen der Kinder Israel und den Juden
wird bei dem Eintrittte des tausendjährigen Reiches die ganze Erde gehören.

Die Sacramente sind Taufe und Abendmahl. Aber die erstere ist nach
dem „Buche der Lehre und der Bündnisse" nur dann heilskräftig, wenn sie durch
Untertauchung an Zurechnungsfähigen und zum Zwecke der Vergebung der
Sünden vollzogen wird. Eine besondere Art ist die Taufe für die Todten,
eine stellvertretende Untertauchung lebender Personen für ihre todten Freunde
und Verwandten, welche keine Gelegenheit, sich die Mormonentaufe appliciren
zu lassen, gehabt, oder dieselbe im Leben mißachtet haben. Nach der Lehre der
Latterday-Saints gibt es nämlich in der Geisterwelt einen Läuterungszustand,
ähnlich dem katholischen Fegfeuer. Von den dort befindlichen Seelen wird an¬
genommen, daß sie bereut haben und sich nach den Segnungen der Taufe sehnen.
Diese ihnen zu Theil werden zu lassen, ist Pflicht, und so ist die Anordnung
getroffen, daß man sich für seine sämmtlichen abgeschiedenen Verwandten bis
zum Ureltervater hinauf taufen lassen kann. Wie die Mormonen alle ihre Dog¬
men auf das reichlichste mit Bibelstellen belegen, so haben sie auch für diesen
seltsamen Gebrauch ein Apostelwort aufgesunoen. Die Taufe wird an Kindern
erst mit dem achten Jahre vollzogen. Der Administrator muß den Priestern
der Ordnung Melchisedek (von denen später) angehören. Unmittelbar auf die
Untertauchung hat die Mittheilung des heiligen Geistes durch Handauflegung
zu folgen, die als Conftrmation bezeichnet wird.

Das Abendmahl wird, ähnlich wie in der reformirten Kirche, „zum Ge¬
dächtniß an den Leib und das Blut des Sohnes" gefeiert. Eine Offenbarung
verbot den Gebrauch des „Weins, der von den Heiden kommt" und da die
Mormonen gegenwärtig noch keine Reben bauen können, so bedienen sie sich
statt des Saftes der Traube des Wassers. Jeden Sonntag gehen die Bischöfe
in der Kirche von Sitz zu Sitz, um den Gläubigen Brot und Wasser darzu¬
bieten, welches letztere in einem Kruge mit einem Glase oder Zinnbecher zum
Herausschöpsen befindlich ist.

Die wiederkehrenden Gnadengaben der urchristlicher Zeit, wunderbare
Heilungen, Weissagungen u. s. w. beschränken sich auf die Priesterschaft
Gottes, doch kommen einige bisweilen auch bei den Laien vor. Dies ist
namentlich mit dem „Reden in Zungen" der Fall. Diese Gabe ist indeß nicht
ganz die der Pfingstsage, wo die Apostels bekanntermaßen plötzlich alle
Sprachen der Welt reden konnten, sondern besteht darin, daß in ihren schwär¬
merischen Zusammenkünften bisweilen der Eine oder der Andre „vom Geiste er¬
füllt" einige unzusammenhängend« Worte, oft ein bloßes Lallen, Krähen
oder Gurgeln hören läßt, von dessen Sinn er selbst durchaus nichts weiß,
ans dem aber andre, welche „die Gabe des Verdolmetschens der Zungen"


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99385/93>, abgerufen am 03.07.2024.