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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band.

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besitzen, dem andächtigen Zuhörer oft sehr schöne Dinge herausdeuten.
Wenn daher ein Frommer den Wunsch hegt, sich in der Gemeinde hören zu
lassen, aber keine Worte finden kann, die Gedanken seines Herzens auszu¬
drücken, so "braucht er sich nur auf seine Füße zu stellen, sich im Glauben an
Christum zu lehnen, seine Lippen zu öffnen und ein Lied in einer beliebigen
Eadenz hören zu lassen. Der Herr wird dann einen Dolmetscher geben und
es zu einer Rede machen. " -

Die Priesterschaft zerfällt in zwei Classen: die aaronische Ordnung und
die höhere Ordnung Melchisedeks. Die erstere Classe sollte eigentlich aus
wirklichen Nachkommen Levis bestehen; da die Juden sich indeß bis jetzt noch
nicht bekehrt haben, so werden die Geschäfte dieser Ordnung einstweilen von
Mitgliedern des höhern Grades versehen. Die Priesterschaft empfängt den
zehnten Theil von allem Gut, welches ein in der Kirche Eintretender besitzt,
den Zehnten von allem Einkommen der Kirchenglieder, welche letztere noch
überdies jeden zehnten Tag ihrer Zeit der Förderung des Tempelbaues und
andrer öffentlichen Arbeiten zu widmen haben. Die Hierarchie der Mormonen¬
kirche hat vielerlei Grade und Stufen. Sie reicht, in ihrer Spitze in den
Himmel hinein. Der Urgott auf dem Centralsterne Kolob, regiert die
Millionen von Göttern auf den übrigen Sonnen und Erben des Universums
durch Boten. Jeder der Götter beherrscht wieder seine Söhne, diese wieder die
ihren, bis auf den Gott, den wir vorzugsweise unsern Vater nennen. Dieser
theilt seinen Willen zunächst dem "Seher" Brigham Noung mit, welchem in
der Regierung der Kirche zwei andre Präsidenten an die Seite gesetzt sind, die
"gleiche Macht, aber nicht gleiche Gabe der Offenbarung haben." Nach der
dreipersönlichen Präsidentschaft, welche nach den Mormonen ein Abbild der
himmlischen Dreieinigkeit ist, hat das Apostelcollegium das meiste Ansehen,
dessen Mitgliedern die Beaufsichtigung und Erweiterung der auswärtigen Ge¬
meinden obliegt, und welche bei wichtigen Gelegenheiten eine Art hohen Raths
bilden. Dann gliedert sich die Hierarchie in Oberpriester, Priester, Aelteste,
Bischöfe (die el"^i untergeordneten Rang haben und sich nur mit weltlichen
Dingen, z. B. der Einsammlung der Zehnten, beschäftigen) Lehrer und Helfer
oder Diakonen, wozu noch die Missio rare der drei Siebzigercollcgien" kommen.
Jede dieser Nnterclassen bildet ein volles "Quorum" (Gerichtshof) sür die
Disciplin ihrer Angehörigen, jede appellirt bei schwierigen Fällen an das
Quorum der nächst höhern. "Die oberste Entscheidung liegt in der Hand der
gesammten Kirche, die sich dann zu einem Generalconcilium versammelt." Dieser
demokratische Zug ist aber nur ein scheinbarer, nur eine Accommodation der
Form , gegenüber dem demokratischen Bewußtsein der amerikanischen Gläubigen.
Die Kirche wird thatsächlich nur vom Scher beherrscht. Ein hoher Rath von
zwölf Mitgliedern verhandelt unter dem Vorsitze des Sehers die Lebensfragen


besitzen, dem andächtigen Zuhörer oft sehr schöne Dinge herausdeuten.
Wenn daher ein Frommer den Wunsch hegt, sich in der Gemeinde hören zu
lassen, aber keine Worte finden kann, die Gedanken seines Herzens auszu¬
drücken, so „braucht er sich nur auf seine Füße zu stellen, sich im Glauben an
Christum zu lehnen, seine Lippen zu öffnen und ein Lied in einer beliebigen
Eadenz hören zu lassen. Der Herr wird dann einen Dolmetscher geben und
es zu einer Rede machen. " -

Die Priesterschaft zerfällt in zwei Classen: die aaronische Ordnung und
die höhere Ordnung Melchisedeks. Die erstere Classe sollte eigentlich aus
wirklichen Nachkommen Levis bestehen; da die Juden sich indeß bis jetzt noch
nicht bekehrt haben, so werden die Geschäfte dieser Ordnung einstweilen von
Mitgliedern des höhern Grades versehen. Die Priesterschaft empfängt den
zehnten Theil von allem Gut, welches ein in der Kirche Eintretender besitzt,
den Zehnten von allem Einkommen der Kirchenglieder, welche letztere noch
überdies jeden zehnten Tag ihrer Zeit der Förderung des Tempelbaues und
andrer öffentlichen Arbeiten zu widmen haben. Die Hierarchie der Mormonen¬
kirche hat vielerlei Grade und Stufen. Sie reicht, in ihrer Spitze in den
Himmel hinein. Der Urgott auf dem Centralsterne Kolob, regiert die
Millionen von Göttern auf den übrigen Sonnen und Erben des Universums
durch Boten. Jeder der Götter beherrscht wieder seine Söhne, diese wieder die
ihren, bis auf den Gott, den wir vorzugsweise unsern Vater nennen. Dieser
theilt seinen Willen zunächst dem „Seher" Brigham Noung mit, welchem in
der Regierung der Kirche zwei andre Präsidenten an die Seite gesetzt sind, die
„gleiche Macht, aber nicht gleiche Gabe der Offenbarung haben." Nach der
dreipersönlichen Präsidentschaft, welche nach den Mormonen ein Abbild der
himmlischen Dreieinigkeit ist, hat das Apostelcollegium das meiste Ansehen,
dessen Mitgliedern die Beaufsichtigung und Erweiterung der auswärtigen Ge¬
meinden obliegt, und welche bei wichtigen Gelegenheiten eine Art hohen Raths
bilden. Dann gliedert sich die Hierarchie in Oberpriester, Priester, Aelteste,
Bischöfe (die el„^i untergeordneten Rang haben und sich nur mit weltlichen
Dingen, z. B. der Einsammlung der Zehnten, beschäftigen) Lehrer und Helfer
oder Diakonen, wozu noch die Missio rare der drei Siebzigercollcgien" kommen.
Jede dieser Nnterclassen bildet ein volles „Quorum" (Gerichtshof) sür die
Disciplin ihrer Angehörigen, jede appellirt bei schwierigen Fällen an das
Quorum der nächst höhern. „Die oberste Entscheidung liegt in der Hand der
gesammten Kirche, die sich dann zu einem Generalconcilium versammelt." Dieser
demokratische Zug ist aber nur ein scheinbarer, nur eine Accommodation der
Form , gegenüber dem demokratischen Bewußtsein der amerikanischen Gläubigen.
Die Kirche wird thatsächlich nur vom Scher beherrscht. Ein hoher Rath von
zwölf Mitgliedern verhandelt unter dem Vorsitze des Sehers die Lebensfragen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99385/94>, abgerufen am 03.07.2024.