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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band.

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habe. Seine satanische Majestät zog die Bettdecke weg und ließ einen wahren
Platzregen von Prügeln auf sein Opfer herabfallen. Dann nahm er Ehren
Rigdon bei den Füßen, schleppte ihn, ohne Rücksicht auf sein graues Haupt
zu nehmen, welches auf jede Stufe aufschlug, die Treppe hinab, warf ihn in
den Rinnstein -- und verschwand wie Dampf. Einige Tage darauf tractirte
er den Unglücklichen ganz in derselben Weise; aber niemand gab der Vermuthung
Raum, daß irgendeine menschliche Macht in Gestalt eines Schabernack lieben¬
den Mormonen die Hand im Spiele gehabt haben könnte; denn man hatte die
Vorsicht gebraucht, sich beim ersten Male nach der Farbe deS Haares, den
Gesichtszügen und andern unfehlbaren Erkennungszeichen zu erkundigen, an
denen sie Joseph der Prophet den echten Beelzebub entdecken gelehrt hatte,
wenn er in einen Engel des Lichts verkleidet oder in höchsteigner Person er¬
scheine.

Mit dem Bisherigen ist der wüste Mischmasch willkürlich erfundener, zu¬
sammenhanglos aneinandergereihter, zum Theil an die gnostische Aeonenlehre,
zum Theil an parsische und indische Dogmen anklingender Phantasien, der die
esoterische Lehre der Sekte bildet, genugsam charakterisiert, und wir können im
Folgenden kürzer sein.

Gott ist kein bloßer Geist, sondern er hat einen Körper und zwar einen
menschlichen Körper mit Gliedern und Verrichtungen wie wir. Er ißt und trinkt
(wie die Bibel unter Anderm durch seinen Besuch bei Abraham und den bei dieser
Gelegenheit ihm vorgesetzten Kalbsbraten zeigt), könnte sogar ein Handwerk und
andre Geschäfte treiben, und hat sich mit der Jungfrau Maria auf den Gefil¬
den Palästinas ganz ebenso vermählt, wie ein menschlicher Bräutigam. Jesus
Christus, der vorher nur ein geistiges Leben führte, gewann dadurch einen
"Leibestempel" (tabernaelo). Der heilige Geist aber ist ohne Körper und des¬
halb weniger vollkommen, als die beiden andern Personen, deren übereinstim¬
mender Wille er ist.

Nachdem Christus in Judäa aufgetreten und' sein Leben gelassen, ist er
auch in Amerika erschienen und hat dort Aehnliches vollbracht, indeß ohne ge¬
kreuzigt zu werden. Wie aber hier die von ihm gestiftete wahre Kirche Gottes
nach einigen Jahrhunderten erlosch, so auch in der alten Welt. Irrlehren
kamen auf (z. B. die, daß der Christ nur eine Frau, der Priester gar keine
haben dürfe) und das Priesterthum kam abhanden, mit ihm aber gingen alle
die Charismata,,die Gott den Gläubigen verliehen, verloren. Die Welt ver¬
sank in Sünde und Laster, Unglauben und Verkehrtheit, bis der Herr sich
erbarmte und in Joseph Smirh einen Wiederhersteller des Gnadenständes
erweckte, der nunmehr in den Mormonen in vollster Blüte steht. Nur sie
stehen in unmittelbarem Verkehr mit dem Himmel, nur bei ihnen werden die
Sacramente recht verwaltet, nur sie besitzen jene Gaben der urchristlicher Welt,


habe. Seine satanische Majestät zog die Bettdecke weg und ließ einen wahren
Platzregen von Prügeln auf sein Opfer herabfallen. Dann nahm er Ehren
Rigdon bei den Füßen, schleppte ihn, ohne Rücksicht auf sein graues Haupt
zu nehmen, welches auf jede Stufe aufschlug, die Treppe hinab, warf ihn in
den Rinnstein — und verschwand wie Dampf. Einige Tage darauf tractirte
er den Unglücklichen ganz in derselben Weise; aber niemand gab der Vermuthung
Raum, daß irgendeine menschliche Macht in Gestalt eines Schabernack lieben¬
den Mormonen die Hand im Spiele gehabt haben könnte; denn man hatte die
Vorsicht gebraucht, sich beim ersten Male nach der Farbe deS Haares, den
Gesichtszügen und andern unfehlbaren Erkennungszeichen zu erkundigen, an
denen sie Joseph der Prophet den echten Beelzebub entdecken gelehrt hatte,
wenn er in einen Engel des Lichts verkleidet oder in höchsteigner Person er¬
scheine.

Mit dem Bisherigen ist der wüste Mischmasch willkürlich erfundener, zu¬
sammenhanglos aneinandergereihter, zum Theil an die gnostische Aeonenlehre,
zum Theil an parsische und indische Dogmen anklingender Phantasien, der die
esoterische Lehre der Sekte bildet, genugsam charakterisiert, und wir können im
Folgenden kürzer sein.

Gott ist kein bloßer Geist, sondern er hat einen Körper und zwar einen
menschlichen Körper mit Gliedern und Verrichtungen wie wir. Er ißt und trinkt
(wie die Bibel unter Anderm durch seinen Besuch bei Abraham und den bei dieser
Gelegenheit ihm vorgesetzten Kalbsbraten zeigt), könnte sogar ein Handwerk und
andre Geschäfte treiben, und hat sich mit der Jungfrau Maria auf den Gefil¬
den Palästinas ganz ebenso vermählt, wie ein menschlicher Bräutigam. Jesus
Christus, der vorher nur ein geistiges Leben führte, gewann dadurch einen
„Leibestempel" (tabernaelo). Der heilige Geist aber ist ohne Körper und des¬
halb weniger vollkommen, als die beiden andern Personen, deren übereinstim¬
mender Wille er ist.

Nachdem Christus in Judäa aufgetreten und' sein Leben gelassen, ist er
auch in Amerika erschienen und hat dort Aehnliches vollbracht, indeß ohne ge¬
kreuzigt zu werden. Wie aber hier die von ihm gestiftete wahre Kirche Gottes
nach einigen Jahrhunderten erlosch, so auch in der alten Welt. Irrlehren
kamen auf (z. B. die, daß der Christ nur eine Frau, der Priester gar keine
haben dürfe) und das Priesterthum kam abhanden, mit ihm aber gingen alle
die Charismata,,die Gott den Gläubigen verliehen, verloren. Die Welt ver¬
sank in Sünde und Laster, Unglauben und Verkehrtheit, bis der Herr sich
erbarmte und in Joseph Smirh einen Wiederhersteller des Gnadenständes
erweckte, der nunmehr in den Mormonen in vollster Blüte steht. Nur sie
stehen in unmittelbarem Verkehr mit dem Himmel, nur bei ihnen werden die
Sacramente recht verwaltet, nur sie besitzen jene Gaben der urchristlicher Welt,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99385/92>, abgerufen am 01.10.2024.