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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band.

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sagen, daß er dabei in großartiger Weise zu Werke gegangen ist, alle Even¬
tualitäten sorgsam erwogen und sich nicht eine bloße Nachahmung des Fremden,
sondern eine der Natur seiner Staaten angepaßte, ihrer Armee entsprechende
und durchaus national-originelle Schöpfung, die aber mit deu neueren
Erfahrungen in Einklang stehen sollte, zum Ziel gesetzt hatte. Dieses große
Ziel ist nicht unerreicht geblieben. Wiewol er der große Gegner unsrer Sache
und unsrer Interessen -- der deutschen nämlich! -- gewesen, sind wir es dem
dahingegangenen Aaren schuldig, anzuerkennen, daß er auf dem bezeichnete"
Gebiete große Triumphe gefeiert und die Organisation einer gewaltigen Waffe
nicht nur versucht, sondern vollendet hat.

Die gegenwärtige kriegerfüllte Zeit und zumal der Ort, von wo aus ich
Ihnen zu schreiben habe, werden mir hoffentlich die Berechtigung geben, bei
militärischen Erörterungen, auch in Ihren geehrten, den Damenhänden nicht
fremden Blättern kri'egswisfenschaftliche Details, wenn auch nur oberflächlich zu
berühren. Ich scheue es umsoweniger, als ich von jeher der Ansicht zuneigte,
daß sachliches und Fachliches nur dann dem Laien gegenüber zu vermeiden
sei, wenn es nicht gleichzeitig in eine knappe und klare Darstellung gebracht
zu werden vermag. In Hinsicht ans das mir vorliegende Thema glaube ich
indeß Hindernisse der Art nicht gegen mich zu haben.

Der Gesichtspunkt, von welchem aus Zar Nikolaus den Entwurf zu sei¬
ner ersten Schöpfung machte, verdient hier zunächst erwähnt und erörtert
zu werden, weil er zugleich den leitenden Gedanken für die Durchführung
bedingte. Der Kaiser war sich darüber vollkommen klar, daß seine Artillerie-
Neuorganisation ein verspätetes Unternehmen war, und er den Anfang damit
in einer Zeit machte, wo die meisten andern Staaten die ihrige längst begonnen
und viele unter ihnen sie vollendet hatten; mehr noch: wo bereits eine neue
Epoche der Heeresvervollkommnung anhob und die Ausrüstung der Infanterie
mit neuen, um das Dreifache weitertragenden und um daS Doppelte schneller
schießenden Handfeuerwaffen die Aufmerksamkeit der Gouvernements und die
ganze Thätigkeit ihrer Militärbehörden in Anspruch nahm; aber eben diese Um¬
stände bestimmten ihn, sich eine Lösung seiner Aufgabe im höheren Sinne vor¬
zusetzen und nicht allein darnach zu streben: eine Artillerie zu schaffen, welche
der Geschützwaffe seiner späteren Gegner ohne Scheu gegenübertreten, sondern
sie sogar übertreffen würde. Mit andern Worten: bis daß die russische In¬
fanterie durch Neubewaffnung ihre Feuerkraft verstärkt hätte, was erst nach
Verlauf von Decennien für den Zaren zu hoffen stand, sollte die Artillerie das
unter andern Verhältnissen zwischen dem Feind und ihr verlorengehende
Gleichgewicht wiederherstellen. Niemand wird leugnen, daß dieser Gedanke
folgerecht und großartig war. Aber die Art, wie er ins Werk gesetzt wurde,
verdient noch in höherem Maße die Anerkennung des Militärs. Ich meines


sagen, daß er dabei in großartiger Weise zu Werke gegangen ist, alle Even¬
tualitäten sorgsam erwogen und sich nicht eine bloße Nachahmung des Fremden,
sondern eine der Natur seiner Staaten angepaßte, ihrer Armee entsprechende
und durchaus national-originelle Schöpfung, die aber mit deu neueren
Erfahrungen in Einklang stehen sollte, zum Ziel gesetzt hatte. Dieses große
Ziel ist nicht unerreicht geblieben. Wiewol er der große Gegner unsrer Sache
und unsrer Interessen — der deutschen nämlich! — gewesen, sind wir es dem
dahingegangenen Aaren schuldig, anzuerkennen, daß er auf dem bezeichnete»
Gebiete große Triumphe gefeiert und die Organisation einer gewaltigen Waffe
nicht nur versucht, sondern vollendet hat.

Die gegenwärtige kriegerfüllte Zeit und zumal der Ort, von wo aus ich
Ihnen zu schreiben habe, werden mir hoffentlich die Berechtigung geben, bei
militärischen Erörterungen, auch in Ihren geehrten, den Damenhänden nicht
fremden Blättern kri'egswisfenschaftliche Details, wenn auch nur oberflächlich zu
berühren. Ich scheue es umsoweniger, als ich von jeher der Ansicht zuneigte,
daß sachliches und Fachliches nur dann dem Laien gegenüber zu vermeiden
sei, wenn es nicht gleichzeitig in eine knappe und klare Darstellung gebracht
zu werden vermag. In Hinsicht ans das mir vorliegende Thema glaube ich
indeß Hindernisse der Art nicht gegen mich zu haben.

Der Gesichtspunkt, von welchem aus Zar Nikolaus den Entwurf zu sei¬
ner ersten Schöpfung machte, verdient hier zunächst erwähnt und erörtert
zu werden, weil er zugleich den leitenden Gedanken für die Durchführung
bedingte. Der Kaiser war sich darüber vollkommen klar, daß seine Artillerie-
Neuorganisation ein verspätetes Unternehmen war, und er den Anfang damit
in einer Zeit machte, wo die meisten andern Staaten die ihrige längst begonnen
und viele unter ihnen sie vollendet hatten; mehr noch: wo bereits eine neue
Epoche der Heeresvervollkommnung anhob und die Ausrüstung der Infanterie
mit neuen, um das Dreifache weitertragenden und um daS Doppelte schneller
schießenden Handfeuerwaffen die Aufmerksamkeit der Gouvernements und die
ganze Thätigkeit ihrer Militärbehörden in Anspruch nahm; aber eben diese Um¬
stände bestimmten ihn, sich eine Lösung seiner Aufgabe im höheren Sinne vor¬
zusetzen und nicht allein darnach zu streben: eine Artillerie zu schaffen, welche
der Geschützwaffe seiner späteren Gegner ohne Scheu gegenübertreten, sondern
sie sogar übertreffen würde. Mit andern Worten: bis daß die russische In¬
fanterie durch Neubewaffnung ihre Feuerkraft verstärkt hätte, was erst nach
Verlauf von Decennien für den Zaren zu hoffen stand, sollte die Artillerie das
unter andern Verhältnissen zwischen dem Feind und ihr verlorengehende
Gleichgewicht wiederherstellen. Niemand wird leugnen, daß dieser Gedanke
folgerecht und großartig war. Aber die Art, wie er ins Werk gesetzt wurde,
verdient noch in höherem Maße die Anerkennung des Militärs. Ich meines


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99385/68>, abgerufen am 28.09.2024.