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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band.

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Theils will darüber umsoweniger mit Schweigen hingehen, je fester in mir die
Ueberzeugung aufrecht steht, daß eben jetzt der Moment gekommen ist, wo die
Großmächte gegen Rußland gewendet ein Wort zu wiederholen Anlaß haben, ,
waS einst der erste'Napoleon drohend Oestreich gegenüber sprach: l)n Kilo 6<Z8g"
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Nicht derjenige ist der wahre Freund der gerechten Sache und der europäischen
Freiheit, um welche es sich letztlich in diesem großen Kampfe handelt, welcher
die gegen beide in Wirksamkeit, befindlichen Mittel und Kräfte in ihrem Werthe
unterschätzt und dieser falschen Ansicht nach außenhin Geltung zu verschaffen
sucht. In dieser Beziehung ist es ungleich verzeihenswerther, zu hoch als zu
tief zu greifen. Am mindesten bin ich geneigt, die letztere Schuld auf mich zu
nehmen.

Die Lösung des von Kaiser Nikolaus sich vorgesetzten Problems , eine
Artillerie zu organisiren, die mächtiger wie die der übrigen Staaten sei, war
indeß nicht leicht. Er mußte zuvörderst darüber einig sein, worin er ein Ueber-
gewicht anstreben wollte. In der Beweglichkeit war unmöglich mehr zu leisten,
als die Artillerien der großen Continentalmächte und Englands, leisteten. Das
große Agens der Waffe, das Pulver, konnte ebenfalls nicht füglich wirksamer
gemacht werden. Dazu kam die Unfähigkeit der russischen Artillerie sür die
Fabrikation complicirterer Geschosse. (Man hat die Shrepnells, aber bei Si-
listria wirkten sie nur schlecht, weil ihre Anfertigung vernachlässigt worden war.
In den Kämpfen in Taurien wurden sie wol kaum angewendet.) Umsowenigcr
dürfte man sich auf den Irrwegen originaler Erfindungen in diesem Genre
betreten lassen. Nach den genannten Richtungen hin war demnach nichts
Neues, Großes, Uebergewichtgebendes zu erreichen. Allein wenn die Zer¬
störungsmacht eines Geschützes innerhalb einer bestimmten Sphäre, von der dem
besonderen Zwecke angepaßten richtigen Wahl und der Güte des Geschosses,
von der Genauigkeit der Richtvorrichtungcn, der Intelligenz der höheren Leitung
und der Dressur der Bedienung, endlich von der Stärke des Pulvers abhängt,
so kann die Sphäre selbst, zwar durch die Kraft der letzteren und durch die
Form des Geschosses erweitert, wesentlich aber nnr durch die Vergrößerung
der Maschinerie selbst über die bis dahin innegehaltenen Grenzen ausgedehnt
werden. Hierauf verfiel der Zar Nikolaus, und er machte diesen Gedanken zur
Grundlage seines neuen Systems. -

Für den Laien im Militärwesen bemerke ich, daß seit den napoleonischen
Kriegen die Feldartillerie in Rücksicht auf die Kaliber keine Veränderung erlitten
hatte, daß man in Frankreich den "Pfünder, in Preußen, Oestreich und Nu߬
land, desgleichen in England und vielen andern Staaten den kPfünder als
leichteres Feldkanon beibehielt und überhaupt über den ^Pfunder in keinem
Heere hinausging. Die Leistungsfähigkeit dieser verschiedenen Geschütze verhält


Theils will darüber umsoweniger mit Schweigen hingehen, je fester in mir die
Ueberzeugung aufrecht steht, daß eben jetzt der Moment gekommen ist, wo die
Großmächte gegen Rußland gewendet ein Wort zu wiederholen Anlaß haben, ,
waS einst der erste'Napoleon drohend Oestreich gegenüber sprach: l)n Kilo 6<Z8g»
mora, 8ne le ednmp, on vllo Kur» a soMsnir uns ^usrrc; cle 6<Zsti'NLtic>nI
Nicht derjenige ist der wahre Freund der gerechten Sache und der europäischen
Freiheit, um welche es sich letztlich in diesem großen Kampfe handelt, welcher
die gegen beide in Wirksamkeit, befindlichen Mittel und Kräfte in ihrem Werthe
unterschätzt und dieser falschen Ansicht nach außenhin Geltung zu verschaffen
sucht. In dieser Beziehung ist es ungleich verzeihenswerther, zu hoch als zu
tief zu greifen. Am mindesten bin ich geneigt, die letztere Schuld auf mich zu
nehmen.

Die Lösung des von Kaiser Nikolaus sich vorgesetzten Problems , eine
Artillerie zu organisiren, die mächtiger wie die der übrigen Staaten sei, war
indeß nicht leicht. Er mußte zuvörderst darüber einig sein, worin er ein Ueber-
gewicht anstreben wollte. In der Beweglichkeit war unmöglich mehr zu leisten,
als die Artillerien der großen Continentalmächte und Englands, leisteten. Das
große Agens der Waffe, das Pulver, konnte ebenfalls nicht füglich wirksamer
gemacht werden. Dazu kam die Unfähigkeit der russischen Artillerie sür die
Fabrikation complicirterer Geschosse. (Man hat die Shrepnells, aber bei Si-
listria wirkten sie nur schlecht, weil ihre Anfertigung vernachlässigt worden war.
In den Kämpfen in Taurien wurden sie wol kaum angewendet.) Umsowenigcr
dürfte man sich auf den Irrwegen originaler Erfindungen in diesem Genre
betreten lassen. Nach den genannten Richtungen hin war demnach nichts
Neues, Großes, Uebergewichtgebendes zu erreichen. Allein wenn die Zer¬
störungsmacht eines Geschützes innerhalb einer bestimmten Sphäre, von der dem
besonderen Zwecke angepaßten richtigen Wahl und der Güte des Geschosses,
von der Genauigkeit der Richtvorrichtungcn, der Intelligenz der höheren Leitung
und der Dressur der Bedienung, endlich von der Stärke des Pulvers abhängt,
so kann die Sphäre selbst, zwar durch die Kraft der letzteren und durch die
Form des Geschosses erweitert, wesentlich aber nnr durch die Vergrößerung
der Maschinerie selbst über die bis dahin innegehaltenen Grenzen ausgedehnt
werden. Hierauf verfiel der Zar Nikolaus, und er machte diesen Gedanken zur
Grundlage seines neuen Systems. -

Für den Laien im Militärwesen bemerke ich, daß seit den napoleonischen
Kriegen die Feldartillerie in Rücksicht auf die Kaliber keine Veränderung erlitten
hatte, daß man in Frankreich den «Pfünder, in Preußen, Oestreich und Nu߬
land, desgleichen in England und vielen andern Staaten den kPfünder als
leichteres Feldkanon beibehielt und überhaupt über den ^Pfunder in keinem
Heere hinausging. Die Leistungsfähigkeit dieser verschiedenen Geschütze verhält


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99385/69>, abgerufen am 03.07.2024.