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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band.

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railliren wird der Feind mürbe gemacht, dann wirft sich plötzlich Infanterie
in dichten Haufen im schnellsten Marsch auf die schwachen Punkte der feind¬
lichen Stellung und durchbricht durch den Druck und das Bajonett den
Gegner. Unterdeß bewegen sich vielleicht andre Massen gegen die Flanken
und bon Rücken der feindlichen Stellung und drohen ihn zu umwickeln. So
zwingen sie ihn zum Rückzüge und die Verfolgung des Weichenden gewinnt
bei der größeren Beweglichkeit der Sieger die größte Energie und viel bedeu¬
tendere Erfolge, als zur Zeit der Lineartaktik möglich war. Allerdings setzt
diese Methode: Umgehen des Feindes oder Durchbrechen der feindlichen Stel¬
lung mit Colonnen, eine Ueberlegenheit in der Zahl der Streiter voraus.
Und vielleicht war die größte strategische Virtuosität Napoleons die, daß er
am Tage der Entscheidung seine Massen immer zu concentriren verstand. Als
die Majorität der Streiter seinen Gegnern wurde und diese seine Methode der
Kriegführung gegen ihn selbst anwandten, unterlag er. Aber er unterlag erst,
nachdem er das stolzeste Heer der Welt, das preußische vernichtet und daS
östreichische nach zahlreichen Niederlagen gezwungen hatte, seine alte Organi¬
sation vollständig aufzugeben.

Die Veränderungen, welche in den einzelnen Waffengattungen durch und
gegen Napoleon eingeführt wurden, sind demnach nicht nur Ausbildung der
Infanterie für das Tiraillenrgefecht, Vermehrung und schnellere Evolutionen
der Artillerie, eine andere Verpflegung des Heeres und Einführung einzelner
Verbesserungen in Ausrüstung und Erercitium, sondern es ist eine total ver¬
änderte Führung des Gefechts. Denn jetzt treten an die Stelle der stehenden
Linie und ihres Frontalangriffs alle drei bei einem Heere möglichen Arten des
Gefechts, das zerstreute Gefecht, das Gefecht in Linie und in Colonne.
Ferner aber entstand eine neue Gliederung der Armee. Wahrend- zur Zeit
Friedrichs des Großen Infanterie, Cavalerie und Artillerie von einander ge¬
trennte besondere Körper waren, welche erst in dem Heere durch die Dispositionen
des Feldherrn zu einer einzigen Einheit zusammengebracht wurden, gliederte sich
jetzt die Armee ^in eine Anzahl taktischer Körper, von denen jeder alle drei
Waffen in sich vereinigte. Es entstanden feste Abtheilungen gemischter
Waffen in deren jeder sich das Bild der Armee im Kleinen wiederholte, von
denen jede, außer Infanterie, auch Artillerie und Cavalerie, also die Befähigung
für das Fern- und Nahgefecht, für Angriff und Vertheidigung im höchsten
Grade erhielt, und eine möglichst große Widerstandsfähigkeit und Angriffskraft
besaß. Es entstand, um die preußischen Bezeichnungen zu gebrauchen, der be¬
kannte Organismus unsrer Divisionen und Armeecorps. Ihre Führer erhiel¬
ten größere Selbstständigkeit, und was als Gegengewicht dazu nothwendig war,
die Kriegführung erhielt eine neue ausgebildete Methodik, welche den Ober-
feldherrn der massenhaften Sorge um das Detail überhob und ihm die Frei-


railliren wird der Feind mürbe gemacht, dann wirft sich plötzlich Infanterie
in dichten Haufen im schnellsten Marsch auf die schwachen Punkte der feind¬
lichen Stellung und durchbricht durch den Druck und das Bajonett den
Gegner. Unterdeß bewegen sich vielleicht andre Massen gegen die Flanken
und bon Rücken der feindlichen Stellung und drohen ihn zu umwickeln. So
zwingen sie ihn zum Rückzüge und die Verfolgung des Weichenden gewinnt
bei der größeren Beweglichkeit der Sieger die größte Energie und viel bedeu¬
tendere Erfolge, als zur Zeit der Lineartaktik möglich war. Allerdings setzt
diese Methode: Umgehen des Feindes oder Durchbrechen der feindlichen Stel¬
lung mit Colonnen, eine Ueberlegenheit in der Zahl der Streiter voraus.
Und vielleicht war die größte strategische Virtuosität Napoleons die, daß er
am Tage der Entscheidung seine Massen immer zu concentriren verstand. Als
die Majorität der Streiter seinen Gegnern wurde und diese seine Methode der
Kriegführung gegen ihn selbst anwandten, unterlag er. Aber er unterlag erst,
nachdem er das stolzeste Heer der Welt, das preußische vernichtet und daS
östreichische nach zahlreichen Niederlagen gezwungen hatte, seine alte Organi¬
sation vollständig aufzugeben.

Die Veränderungen, welche in den einzelnen Waffengattungen durch und
gegen Napoleon eingeführt wurden, sind demnach nicht nur Ausbildung der
Infanterie für das Tiraillenrgefecht, Vermehrung und schnellere Evolutionen
der Artillerie, eine andere Verpflegung des Heeres und Einführung einzelner
Verbesserungen in Ausrüstung und Erercitium, sondern es ist eine total ver¬
änderte Führung des Gefechts. Denn jetzt treten an die Stelle der stehenden
Linie und ihres Frontalangriffs alle drei bei einem Heere möglichen Arten des
Gefechts, das zerstreute Gefecht, das Gefecht in Linie und in Colonne.
Ferner aber entstand eine neue Gliederung der Armee. Wahrend- zur Zeit
Friedrichs des Großen Infanterie, Cavalerie und Artillerie von einander ge¬
trennte besondere Körper waren, welche erst in dem Heere durch die Dispositionen
des Feldherrn zu einer einzigen Einheit zusammengebracht wurden, gliederte sich
jetzt die Armee ^in eine Anzahl taktischer Körper, von denen jeder alle drei
Waffen in sich vereinigte. Es entstanden feste Abtheilungen gemischter
Waffen in deren jeder sich das Bild der Armee im Kleinen wiederholte, von
denen jede, außer Infanterie, auch Artillerie und Cavalerie, also die Befähigung
für das Fern- und Nahgefecht, für Angriff und Vertheidigung im höchsten
Grade erhielt, und eine möglichst große Widerstandsfähigkeit und Angriffskraft
besaß. Es entstand, um die preußischen Bezeichnungen zu gebrauchen, der be¬
kannte Organismus unsrer Divisionen und Armeecorps. Ihre Führer erhiel¬
ten größere Selbstständigkeit, und was als Gegengewicht dazu nothwendig war,
die Kriegführung erhielt eine neue ausgebildete Methodik, welche den Ober-
feldherrn der massenhaften Sorge um das Detail überhob und ihm die Frei-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99385/520>, abgerufen am 03.07.2024.