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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band.

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Die nächsten großen Fortschritte in Taktik und Strategie sind französischen
Ursprungs. Die Revolutionskriege brachten eine totale Umwälzung in der
Methode, Schlachten zu schlagen, hervor und die geniale Kraft Napoleons
wußte dieser neuen Taktik durch seine großen strategischen Combinationen Er¬
folge zu geben, welche die Physiognomie von ganz Europa änderten. "

Zunächst ward die Waffe der Infanterie verbessert, das Steinschloßgewehr
erhielt statt des geraden Kolbens einen geschwungenen und wurde so zu einer
Waffe, mit welcher man, wie Griesheim sagt, doch allenfalls auf einen Mann
zielen und ihn unter Umständen auch treffen konnte. Diese Verbesserung des
Gewehrs wurde für die Franzosen von um so größrer Wichtigkeit, weil sie
ihnen nach dem Beginn der Revolution die einzige Möglichkeit an die Hand
gab, den überlegnen Feinden in ihrem Lande Widerstand zu leisten. Das
königliche Heer Frankreichs war völlig desörganisirt, die Principien der Re¬
volution, welche die alte geworbene Armee ausgelöst hatten, führten in der Noth
ein neues Princip ein, das der allgemeinen Wehrpflicht. Dadurch wurde ein
ungeheures Menschenmaterial unter die Waffen gerufen, aber es fehlte an
Zeit, sie auszubilden. Die alte Drillmethode war bei ihnen nur schwer durch¬
zuführen) das alte Verproviantirungssystem mußte in der Eile aufgegeben
werden. Von neuem trat der seit länger als einem Jahrhundert ausgegebene
Grundsatz ins Leben, daß der Krieg selbst die Armee erhalten müsse. Die
schnell zusammengeworfenen Bataillone der Franzosen waren nicht im Stande,
auf offnem Felde dem systematischen Angriff alter Truppen zu widerstehn, so
kam man darauf, große Schlachten zu vermeiden, die geschlossenen Feuerlinien
aufzulösen, im kleinen Kriege durch schnelles Umherwerfen der Truppen, durch
Benutzung aller Terrainvortheile einen Kampf der Einzelnen zu organisiren,
bei welchem die größere Behendigkeit und Anstelligkeit der Franzosen ihnen ein
Uebergewicht über die verhältnißmäßig unbehilflichen Linien der Gegner ver¬
sprach. Das Gefecht in "er zerstreuten Ordnung, das Tirailleurgefecht
entstand. Neben der Auflösung der geschlossenen Linien in Tiraillcurschwäriiie
führte dieselbe eiserne Noth der Franzosen zu einem zweiten Fortschritt. Gegen¬
über den langgezogenen Linien der Feinde bildete sich der Colonnenangriff mit
dem Bajonett aus. Schnelle Märsche derselben, Umgehung der Gegner, furioses
Eindringen in den Feind wurde Regel der französischen Kriegführung. So
gewann der Krieg im Großen wie im Kleinen Beweglichkeit, das Gefecht selbst
war in der Lineartaktik wesentlich ein stehendes gewesen, jetzt wurde es im
höchsten Grabe beweglich. Man steht in ven Gefechten der Republikaner
ganze Bataillone sich in Tirailleurschwärme auflösen, Colonnen ziehen in
dichten Haufen hinterher, die ganze Infanterie ficht als leichte Infanterie,
unterstützt durch leichte Artillerie, die Artillerie volante. Ebenso verwandelt
sich die ganze Cavalerie in leichte Cavalerie. Durch stundenlanges Ti-


Die nächsten großen Fortschritte in Taktik und Strategie sind französischen
Ursprungs. Die Revolutionskriege brachten eine totale Umwälzung in der
Methode, Schlachten zu schlagen, hervor und die geniale Kraft Napoleons
wußte dieser neuen Taktik durch seine großen strategischen Combinationen Er¬
folge zu geben, welche die Physiognomie von ganz Europa änderten. »

Zunächst ward die Waffe der Infanterie verbessert, das Steinschloßgewehr
erhielt statt des geraden Kolbens einen geschwungenen und wurde so zu einer
Waffe, mit welcher man, wie Griesheim sagt, doch allenfalls auf einen Mann
zielen und ihn unter Umständen auch treffen konnte. Diese Verbesserung des
Gewehrs wurde für die Franzosen von um so größrer Wichtigkeit, weil sie
ihnen nach dem Beginn der Revolution die einzige Möglichkeit an die Hand
gab, den überlegnen Feinden in ihrem Lande Widerstand zu leisten. Das
königliche Heer Frankreichs war völlig desörganisirt, die Principien der Re¬
volution, welche die alte geworbene Armee ausgelöst hatten, führten in der Noth
ein neues Princip ein, das der allgemeinen Wehrpflicht. Dadurch wurde ein
ungeheures Menschenmaterial unter die Waffen gerufen, aber es fehlte an
Zeit, sie auszubilden. Die alte Drillmethode war bei ihnen nur schwer durch¬
zuführen) das alte Verproviantirungssystem mußte in der Eile aufgegeben
werden. Von neuem trat der seit länger als einem Jahrhundert ausgegebene
Grundsatz ins Leben, daß der Krieg selbst die Armee erhalten müsse. Die
schnell zusammengeworfenen Bataillone der Franzosen waren nicht im Stande,
auf offnem Felde dem systematischen Angriff alter Truppen zu widerstehn, so
kam man darauf, große Schlachten zu vermeiden, die geschlossenen Feuerlinien
aufzulösen, im kleinen Kriege durch schnelles Umherwerfen der Truppen, durch
Benutzung aller Terrainvortheile einen Kampf der Einzelnen zu organisiren,
bei welchem die größere Behendigkeit und Anstelligkeit der Franzosen ihnen ein
Uebergewicht über die verhältnißmäßig unbehilflichen Linien der Gegner ver¬
sprach. Das Gefecht in »er zerstreuten Ordnung, das Tirailleurgefecht
entstand. Neben der Auflösung der geschlossenen Linien in Tiraillcurschwäriiie
führte dieselbe eiserne Noth der Franzosen zu einem zweiten Fortschritt. Gegen¬
über den langgezogenen Linien der Feinde bildete sich der Colonnenangriff mit
dem Bajonett aus. Schnelle Märsche derselben, Umgehung der Gegner, furioses
Eindringen in den Feind wurde Regel der französischen Kriegführung. So
gewann der Krieg im Großen wie im Kleinen Beweglichkeit, das Gefecht selbst
war in der Lineartaktik wesentlich ein stehendes gewesen, jetzt wurde es im
höchsten Grabe beweglich. Man steht in ven Gefechten der Republikaner
ganze Bataillone sich in Tirailleurschwärme auflösen, Colonnen ziehen in
dichten Haufen hinterher, die ganze Infanterie ficht als leichte Infanterie,
unterstützt durch leichte Artillerie, die Artillerie volante. Ebenso verwandelt
sich die ganze Cavalerie in leichte Cavalerie. Durch stundenlanges Ti-


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[0519] Die nächsten großen Fortschritte in Taktik und Strategie sind französischen Ursprungs. Die Revolutionskriege brachten eine totale Umwälzung in der Methode, Schlachten zu schlagen, hervor und die geniale Kraft Napoleons wußte dieser neuen Taktik durch seine großen strategischen Combinationen Er¬ folge zu geben, welche die Physiognomie von ganz Europa änderten. » Zunächst ward die Waffe der Infanterie verbessert, das Steinschloßgewehr erhielt statt des geraden Kolbens einen geschwungenen und wurde so zu einer Waffe, mit welcher man, wie Griesheim sagt, doch allenfalls auf einen Mann zielen und ihn unter Umständen auch treffen konnte. Diese Verbesserung des Gewehrs wurde für die Franzosen von um so größrer Wichtigkeit, weil sie ihnen nach dem Beginn der Revolution die einzige Möglichkeit an die Hand gab, den überlegnen Feinden in ihrem Lande Widerstand zu leisten. Das königliche Heer Frankreichs war völlig desörganisirt, die Principien der Re¬ volution, welche die alte geworbene Armee ausgelöst hatten, führten in der Noth ein neues Princip ein, das der allgemeinen Wehrpflicht. Dadurch wurde ein ungeheures Menschenmaterial unter die Waffen gerufen, aber es fehlte an Zeit, sie auszubilden. Die alte Drillmethode war bei ihnen nur schwer durch¬ zuführen) das alte Verproviantirungssystem mußte in der Eile aufgegeben werden. Von neuem trat der seit länger als einem Jahrhundert ausgegebene Grundsatz ins Leben, daß der Krieg selbst die Armee erhalten müsse. Die schnell zusammengeworfenen Bataillone der Franzosen waren nicht im Stande, auf offnem Felde dem systematischen Angriff alter Truppen zu widerstehn, so kam man darauf, große Schlachten zu vermeiden, die geschlossenen Feuerlinien aufzulösen, im kleinen Kriege durch schnelles Umherwerfen der Truppen, durch Benutzung aller Terrainvortheile einen Kampf der Einzelnen zu organisiren, bei welchem die größere Behendigkeit und Anstelligkeit der Franzosen ihnen ein Uebergewicht über die verhältnißmäßig unbehilflichen Linien der Gegner ver¬ sprach. Das Gefecht in »er zerstreuten Ordnung, das Tirailleurgefecht entstand. Neben der Auflösung der geschlossenen Linien in Tiraillcurschwäriiie führte dieselbe eiserne Noth der Franzosen zu einem zweiten Fortschritt. Gegen¬ über den langgezogenen Linien der Feinde bildete sich der Colonnenangriff mit dem Bajonett aus. Schnelle Märsche derselben, Umgehung der Gegner, furioses Eindringen in den Feind wurde Regel der französischen Kriegführung. So gewann der Krieg im Großen wie im Kleinen Beweglichkeit, das Gefecht selbst war in der Lineartaktik wesentlich ein stehendes gewesen, jetzt wurde es im höchsten Grabe beweglich. Man steht in ven Gefechten der Republikaner ganze Bataillone sich in Tirailleurschwärme auflösen, Colonnen ziehen in dichten Haufen hinterher, die ganze Infanterie ficht als leichte Infanterie, unterstützt durch leichte Artillerie, die Artillerie volante. Ebenso verwandelt sich die ganze Cavalerie in leichte Cavalerie. Durch stundenlanges Ti-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99385/519>, abgerufen am 01.10.2024.