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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band.

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selten, eine Autorität für den gemeinen Menschenverstand; darüber dürfe der
Philosoph sich denn auch erhaben dünken, wie er es jetzt mit der positiven
Religion gemacht habe.

Nach Ablauf der Ferien kehrte Gries nach Jena zurück. Hier hatte sich
mittlerweile A. W. Schlegel festgesetzt, dessen höchst geistvolle Frau Karoline
auf die jungen Männer eine unwiderstehliche Anziehungskraft ausübte. Nicht
blos Gries spricht mit Begeisterung von ihr, sondern ebenso Steffens und
überhaupt alle Dichter jener Zeit, die mit ihr in Berührung kamen. Bekannt¬
lich unterstützte sie ihren Mann bei seinen Recensionen in der Jenaer Literatur,
zeitung, doch fühlte sie keinen Trieb, persönlich in die Literatur einzugreifen.
Durch Schlegel ließ nun Gries seinen neugedichteten Phaeton an Schiller
übergeben, der ihn auch wirklich in den Musenalmanach aufnahm. Dadurch
hatte er Gelegenheit, Schillers persönliche Bekanntschaft zu machen. Schiller
lobte das Gedicht im Allgemeinen, setzte aber hinzu, daß Gries einen undank¬
baren Stoff gewählt habe. Stoffe dieser Art, wie Schlegels "Prometheus"
und "Pygmalion", sowie viele seiner eignen frühern Gedichte hätten zwar etwas
Anziehendes, weil sie zugleich als Gedicht und als Philosophen! betrachtet werden
könnten, eben dadurch aber genügten sie keinem von beiden recht; er selbst würde
ein solches Thema nicht wieder bearbeiten und widerrieth es Gries ebenfalls. --
Der letztere blieb seit der Zeit mit Schiller in dauerndem Verkehr und hat sehr
verschieden von der übrigen Schule dem Dichter eine bleibende und aufrichtige
Verehrung gewidmet. Auch mit Wieland, der sein poetisches Talent auf eine
überschwengliche Weise anerkannte, kam er in persönliche Berührung, die jedoch
keinen wesentlichen Einfluß aus ihn ausübte.

Der Winter von 1797--98 wurde durch die Rückkehr Bergers und
Hülsens eine Erneuerung der alten Beziehungen., Im Frühjahr 1798 begab
sich Gries mit Karoline und ihrer lieblichen Tochter Auguste Böhmer nachDresden,
wo er mit Novalis genauer bekannt wurde und wohin auch A. W. Schlegel
folgte. Während des halben Jahres, das er sich in..Dresden aufhielt,
beschäftigte er sich vorzugsweise mit Studien in der bildenden Kunst und der
Musik. Sehr einflußreich wurde auf ihn die Bekanntschaft Schellings, der
eben einen Ruf nach Jena erhalten hatte und im August -1798 in Dresden
ankam. Auch Fichte kam gelegentlich herüber. Mit Schelling kehrte er nun
im Oktober 1798 nach Jena zurück, wo bald darauf auch Steffens eintraf, der
Freund von Berger und Rist, der durch seine lebhafte, begeisterte Auffassung
der deutschen Literatur damals in Jena eine nicht unbedeutende Rolle spielte.
Er vermittelte auch die Bekanntschaft zwischen Schelling und Goethe und Gries
trat nun in diese neue Phase der literarischen Bewegung ein.

Der äußern Form nach hatte er bisher Jurisprudenz studirt, aber ohne
alles Interesse; nebenbei merkte er allmälig, daß er in poetischer Beziehung


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selten, eine Autorität für den gemeinen Menschenverstand; darüber dürfe der
Philosoph sich denn auch erhaben dünken, wie er es jetzt mit der positiven
Religion gemacht habe.

Nach Ablauf der Ferien kehrte Gries nach Jena zurück. Hier hatte sich
mittlerweile A. W. Schlegel festgesetzt, dessen höchst geistvolle Frau Karoline
auf die jungen Männer eine unwiderstehliche Anziehungskraft ausübte. Nicht
blos Gries spricht mit Begeisterung von ihr, sondern ebenso Steffens und
überhaupt alle Dichter jener Zeit, die mit ihr in Berührung kamen. Bekannt¬
lich unterstützte sie ihren Mann bei seinen Recensionen in der Jenaer Literatur,
zeitung, doch fühlte sie keinen Trieb, persönlich in die Literatur einzugreifen.
Durch Schlegel ließ nun Gries seinen neugedichteten Phaeton an Schiller
übergeben, der ihn auch wirklich in den Musenalmanach aufnahm. Dadurch
hatte er Gelegenheit, Schillers persönliche Bekanntschaft zu machen. Schiller
lobte das Gedicht im Allgemeinen, setzte aber hinzu, daß Gries einen undank¬
baren Stoff gewählt habe. Stoffe dieser Art, wie Schlegels „Prometheus"
und „Pygmalion", sowie viele seiner eignen frühern Gedichte hätten zwar etwas
Anziehendes, weil sie zugleich als Gedicht und als Philosophen! betrachtet werden
könnten, eben dadurch aber genügten sie keinem von beiden recht; er selbst würde
ein solches Thema nicht wieder bearbeiten und widerrieth es Gries ebenfalls. —
Der letztere blieb seit der Zeit mit Schiller in dauerndem Verkehr und hat sehr
verschieden von der übrigen Schule dem Dichter eine bleibende und aufrichtige
Verehrung gewidmet. Auch mit Wieland, der sein poetisches Talent auf eine
überschwengliche Weise anerkannte, kam er in persönliche Berührung, die jedoch
keinen wesentlichen Einfluß aus ihn ausübte.

Der Winter von 1797—98 wurde durch die Rückkehr Bergers und
Hülsens eine Erneuerung der alten Beziehungen., Im Frühjahr 1798 begab
sich Gries mit Karoline und ihrer lieblichen Tochter Auguste Böhmer nachDresden,
wo er mit Novalis genauer bekannt wurde und wohin auch A. W. Schlegel
folgte. Während des halben Jahres, das er sich in..Dresden aufhielt,
beschäftigte er sich vorzugsweise mit Studien in der bildenden Kunst und der
Musik. Sehr einflußreich wurde auf ihn die Bekanntschaft Schellings, der
eben einen Ruf nach Jena erhalten hatte und im August -1798 in Dresden
ankam. Auch Fichte kam gelegentlich herüber. Mit Schelling kehrte er nun
im Oktober 1798 nach Jena zurück, wo bald darauf auch Steffens eintraf, der
Freund von Berger und Rist, der durch seine lebhafte, begeisterte Auffassung
der deutschen Literatur damals in Jena eine nicht unbedeutende Rolle spielte.
Er vermittelte auch die Bekanntschaft zwischen Schelling und Goethe und Gries
trat nun in diese neue Phase der literarischen Bewegung ein.

Der äußern Form nach hatte er bisher Jurisprudenz studirt, aber ohne
alles Interesse; nebenbei merkte er allmälig, daß er in poetischer Beziehung


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[0051] selten, eine Autorität für den gemeinen Menschenverstand; darüber dürfe der Philosoph sich denn auch erhaben dünken, wie er es jetzt mit der positiven Religion gemacht habe. Nach Ablauf der Ferien kehrte Gries nach Jena zurück. Hier hatte sich mittlerweile A. W. Schlegel festgesetzt, dessen höchst geistvolle Frau Karoline auf die jungen Männer eine unwiderstehliche Anziehungskraft ausübte. Nicht blos Gries spricht mit Begeisterung von ihr, sondern ebenso Steffens und überhaupt alle Dichter jener Zeit, die mit ihr in Berührung kamen. Bekannt¬ lich unterstützte sie ihren Mann bei seinen Recensionen in der Jenaer Literatur, zeitung, doch fühlte sie keinen Trieb, persönlich in die Literatur einzugreifen. Durch Schlegel ließ nun Gries seinen neugedichteten Phaeton an Schiller übergeben, der ihn auch wirklich in den Musenalmanach aufnahm. Dadurch hatte er Gelegenheit, Schillers persönliche Bekanntschaft zu machen. Schiller lobte das Gedicht im Allgemeinen, setzte aber hinzu, daß Gries einen undank¬ baren Stoff gewählt habe. Stoffe dieser Art, wie Schlegels „Prometheus" und „Pygmalion", sowie viele seiner eignen frühern Gedichte hätten zwar etwas Anziehendes, weil sie zugleich als Gedicht und als Philosophen! betrachtet werden könnten, eben dadurch aber genügten sie keinem von beiden recht; er selbst würde ein solches Thema nicht wieder bearbeiten und widerrieth es Gries ebenfalls. — Der letztere blieb seit der Zeit mit Schiller in dauerndem Verkehr und hat sehr verschieden von der übrigen Schule dem Dichter eine bleibende und aufrichtige Verehrung gewidmet. Auch mit Wieland, der sein poetisches Talent auf eine überschwengliche Weise anerkannte, kam er in persönliche Berührung, die jedoch keinen wesentlichen Einfluß aus ihn ausübte. Der Winter von 1797—98 wurde durch die Rückkehr Bergers und Hülsens eine Erneuerung der alten Beziehungen., Im Frühjahr 1798 begab sich Gries mit Karoline und ihrer lieblichen Tochter Auguste Böhmer nachDresden, wo er mit Novalis genauer bekannt wurde und wohin auch A. W. Schlegel folgte. Während des halben Jahres, das er sich in..Dresden aufhielt, beschäftigte er sich vorzugsweise mit Studien in der bildenden Kunst und der Musik. Sehr einflußreich wurde auf ihn die Bekanntschaft Schellings, der eben einen Ruf nach Jena erhalten hatte und im August -1798 in Dresden ankam. Auch Fichte kam gelegentlich herüber. Mit Schelling kehrte er nun im Oktober 1798 nach Jena zurück, wo bald darauf auch Steffens eintraf, der Freund von Berger und Rist, der durch seine lebhafte, begeisterte Auffassung der deutschen Literatur damals in Jena eine nicht unbedeutende Rolle spielte. Er vermittelte auch die Bekanntschaft zwischen Schelling und Goethe und Gries trat nun in diese neue Phase der literarischen Bewegung ein. Der äußern Form nach hatte er bisher Jurisprudenz studirt, aber ohne alles Interesse; nebenbei merkte er allmälig, daß er in poetischer Beziehung 6*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99385/51>, abgerufen am 03.07.2024.