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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band.

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Schiller, mit Fichte und Schelling, mit Schlegel und Tieck in unmittelbarer
Berührung stand. Zum Theil waren es noch wirklich Studirende, zum Theil
aber auch solche, die den akademischen Cursus bereits anderwärts absolvirt hatten
und nur noch der höhern Ausbildung wegen nach dem damaligen Centralpunkt
aller deutschen Bildung gekommen waren. Das Kränzchen wurde gestiftet von
August Hülsen, geboren 1765 in Brandenburg, in Jena 179i--97, eifriger
Mitarbeiter an den Zeitschriften der Schlegel und Schellings, und von Erich
von Berger, auf den wir später ausführlicher eingehen. Ferner gehörte dazu
Herbart, Rist, Smidt, der spätere Bürgermeister von Bremen, und andere, aber
den Mittelpunkt der Verbindung bildete Gries, der in Jena zurückblieb, nach¬
dem alle frühern Verbündeten sich in alle Weltgegenden zerstreut hatten.

Gries war in einer wohlhabenden Kaufmannsfamilie in Hamburg 177ö ge¬
boren und ursprünglich zum KaufmannSstandc bestimmt, doch konnte er bei seinem
lebhaften Bildungstrieb die Einseitigkeit des Geschäftslebens aus die Länge nicht
ertragen und er bestimmte seinen Vater, ihn noch im 20. Jahr, October 179S,
nach Jena zu schicken, wo er durch Rist und Herbart in die Gesellschaft freier
Männer eingeführt wurde. Als guter Klavierspieler und mit einer ungewöhn¬
lichen musikalischen Bildung ausgestattet wurde er in alle geselligen Kreise der
Stadt leicht eingeführt, namentlich bei Wittmann und Mereau, dessen geist¬
reiche Gemahlin Sophie sich später von ihrem Manne scheiden ließ und sich
mit Brentano verheirathete. Der Sylvesterabend von 1793 führte ihn nach
Weimar zu Herder, von dem er einen bleibenden Eindruck mitnahm, bald dar¬
auf wurde er auch Goethe persönlich bekannt. Damals mußte jeder strebsame
Mann Philosophie treiben; auch Gries ließ sich durch seine Freunde Berger
und Herbart in die Mysterien derselben einweihen, doch hatte er keinen innern
Trieb dazu und bekümmerte sich später nur noch historisch darum. Am Ä2. März
1797 versammelte sich die Gesellschaft zum letzten Male. Auch Fichte bewirthete
sie noch einmal mit saurem Punsch. Die Mitglieder gingen nach allen Seiten
hin auseinander, Gries ging nach Hamburg zurück. Dort fand er Gelegen¬
heit, einen Besuch bei Jacobi in Wandsbeck zu machen. Der eben von Jena
kommende, mit Fichte und der Philosophie befreundete und vertraute Musen¬
jünger war für Jacobi eine willkommene Erscheinung. Sie blieben mehre Tage
zusammen und alles, was sich damals in der Literatur regte, wurde ausführ¬
lich besprochen. Jacobi versicherte, daß Fichtes Begriff'der Wissenschaftslehre
ihn in Entzücken versetzt habe, er rühmte die Wahrheitsliebe Reinholds, der
sich nachträglich zu derselben bekehrt hatte. Doch meinte er halb im Scherz,
daß die Principien der Wissenschaftslehre eigentlich im Anfange des Evange¬
listen Johannes zu finden wären. Mit dem Christenthum sei es nun wol
vorbei, setzte er dann hinzu, aber die Menschen müßten doch etwas Festes,
Positives haben, sich daran zu hallen, eine Summe philosophischer Wahr-


Schiller, mit Fichte und Schelling, mit Schlegel und Tieck in unmittelbarer
Berührung stand. Zum Theil waren es noch wirklich Studirende, zum Theil
aber auch solche, die den akademischen Cursus bereits anderwärts absolvirt hatten
und nur noch der höhern Ausbildung wegen nach dem damaligen Centralpunkt
aller deutschen Bildung gekommen waren. Das Kränzchen wurde gestiftet von
August Hülsen, geboren 1765 in Brandenburg, in Jena 179i—97, eifriger
Mitarbeiter an den Zeitschriften der Schlegel und Schellings, und von Erich
von Berger, auf den wir später ausführlicher eingehen. Ferner gehörte dazu
Herbart, Rist, Smidt, der spätere Bürgermeister von Bremen, und andere, aber
den Mittelpunkt der Verbindung bildete Gries, der in Jena zurückblieb, nach¬
dem alle frühern Verbündeten sich in alle Weltgegenden zerstreut hatten.

Gries war in einer wohlhabenden Kaufmannsfamilie in Hamburg 177ö ge¬
boren und ursprünglich zum KaufmannSstandc bestimmt, doch konnte er bei seinem
lebhaften Bildungstrieb die Einseitigkeit des Geschäftslebens aus die Länge nicht
ertragen und er bestimmte seinen Vater, ihn noch im 20. Jahr, October 179S,
nach Jena zu schicken, wo er durch Rist und Herbart in die Gesellschaft freier
Männer eingeführt wurde. Als guter Klavierspieler und mit einer ungewöhn¬
lichen musikalischen Bildung ausgestattet wurde er in alle geselligen Kreise der
Stadt leicht eingeführt, namentlich bei Wittmann und Mereau, dessen geist¬
reiche Gemahlin Sophie sich später von ihrem Manne scheiden ließ und sich
mit Brentano verheirathete. Der Sylvesterabend von 1793 führte ihn nach
Weimar zu Herder, von dem er einen bleibenden Eindruck mitnahm, bald dar¬
auf wurde er auch Goethe persönlich bekannt. Damals mußte jeder strebsame
Mann Philosophie treiben; auch Gries ließ sich durch seine Freunde Berger
und Herbart in die Mysterien derselben einweihen, doch hatte er keinen innern
Trieb dazu und bekümmerte sich später nur noch historisch darum. Am Ä2. März
1797 versammelte sich die Gesellschaft zum letzten Male. Auch Fichte bewirthete
sie noch einmal mit saurem Punsch. Die Mitglieder gingen nach allen Seiten
hin auseinander, Gries ging nach Hamburg zurück. Dort fand er Gelegen¬
heit, einen Besuch bei Jacobi in Wandsbeck zu machen. Der eben von Jena
kommende, mit Fichte und der Philosophie befreundete und vertraute Musen¬
jünger war für Jacobi eine willkommene Erscheinung. Sie blieben mehre Tage
zusammen und alles, was sich damals in der Literatur regte, wurde ausführ¬
lich besprochen. Jacobi versicherte, daß Fichtes Begriff'der Wissenschaftslehre
ihn in Entzücken versetzt habe, er rühmte die Wahrheitsliebe Reinholds, der
sich nachträglich zu derselben bekehrt hatte. Doch meinte er halb im Scherz,
daß die Principien der Wissenschaftslehre eigentlich im Anfange des Evange¬
listen Johannes zu finden wären. Mit dem Christenthum sei es nun wol
vorbei, setzte er dann hinzu, aber die Menschen müßten doch etwas Festes,
Positives haben, sich daran zu hallen, eine Summe philosophischer Wahr-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99385/50>, abgerufen am 01.07.2024.